Beschleunigung der Beschaffung für die Bundeswehr ist ein Daueranliegen der Politik: Ein in Rekordzeit durch den Bundestag gebrachtes Gesetz soll Abhilfe schaffen.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Sicherheitslage in Europa und für Deutschland gravierend verändert. Die deutsche Regierung hat erkannt, dass die Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr dringend verbessert werden muss. Zu diesem Zweck wurde ein Sondervermögen i.H.v. EUR 100 Mrd. zur Verfügung gestellt.
Dringlichkeitsvergaben und eine direkte Beauftragung unter Berufung auf Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht sind nur in engen Grenzen zulässig. Da der bestehende vergaberechtliche Rahmen als Hemmschuh für eine schnelle Beschaffung gesehen wird, legt die Regierungskoalition nun nach. Innerhalb von weniger als einem Monat nach Vorlage des Gesetzesentwurfs durch die Koalitionsfraktionen ist das Gesetz zur Beschleunigung der Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr (Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz – BwBBG) verabschiedet worden und am 19. Juli 2022 in Kraft getreten.
Beschleunigte Verabschiedung des Beschleunigungsgesetzes
Ziel des BwBBG ist es, die „schnellstmögliche Durchführung der entsprechenden Vergabeverfahren“ zur Erhöhung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu ermöglichen. Dazu sieht das BwBBG Änderungen des einschlägigen Vergaberechts und beim Rechtsschutz vor.
Die Änderungen gelten nur für Aufträge, deren geschätzte Auftragswerte die gesetzlichen Schwellenwerte überschreiten werden, sodass auch die Vorgaben des EU-Rechts gelten. Nach dem Willen des Gesetzgebers halten die Erleichterungen die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben ein.
Beschleunigung gilt nur für die Vergabe bestimmter verteidigungsspezifischer Aufträge
Der Anwendungsbereich des BwBBG ist beschränkt auf die Beschaffung bestimmter Militärausrüstung (einschließlich Software) und damit zusammenhängende Bau- und Instandhaltungsaufträge. Die Beschaffung von Militärausrüstung ist nur erfasst, soweit sie der „unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr“ dient. Eine Beschaffung, die nicht diesem Zweck dient, ist allerdings kaum vorstellbar. Es fragt sich aber, wann der geforderte Unmittelbarkeitszusammenhang vorliegen soll. Die Gesetzesbegründung nimmt hierzu wie folgt Stellung:
Eine Unmittelbarkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn der Auftrag der in § 1 genannten Zweckbestimmung, also dem zeitnahen Erreichen eines breiten, modernen und innovationsorientierten Fähigkeitsspektrums der Bundeswehr und damit der Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit, dient. Der Anwendungsbereich des Gesetzes nimmt damit einerseits Bezug auf das qualitative und quantitative Soll der Bundeswehr entsprechend der strategisch-politischen sowie konzeptionellen Vorgaben. Andererseits knüpft er an das Erfordernis eines schnellen Hochfahrens der Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte infolge der Veränderung der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen in Europa an.
Die Bau- und Instandhaltungsaufträge müssen darüber hinaus auch in „unmittelbarem Zusammenhang“ zu der Militärausrüstung in vorgenanntem Sinne stehen. Unsicherheiten bei der Anwendung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe sind trotz der Konkretisierung in der Gesetzesbegründung vorprogrammiert.
Weniger Mittelstandsschutz
Wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe es rechtfertigen, können Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden. Damit können entgegen der bisherigen Regelung zur losweisen Vergabe auch zeitliche Aspekte ein Absehen von diesen Vorgaben rechtfertigen. Zeitliche Gründe können dabei auch vorliegen, ohne dass eine Dringlichkeit i.S.d. Vergaberechts besteht. Zudem muss die Vergabestelle nicht zusätzlich begründen, dass solche Gründe die gemeinsame Vergabe „erfordern“.
Damit wird der Vorrang der losweisen Vergabe nicht vollständig abgeschafft, aber die gemeinsame Vergabe erleichtert. Insbesondere soll die hohe Hürde der Begründung einer Gesamtvergabe entfallen, die gerade im Interesse des Auftraggebers sinnvoll sein kann, um Schnittstellen- und Koordinierungsrisiken zu reduzieren.
Einschränkung des Zugangs zu effektivem Rechtsschutz
Bislang sieht § 135 Abs. 1 GWB die Erklärung der Nichtigkeit des Zuschlags vor, wenn der Auftraggeber den Zuschlag ohne Einhaltung der Informations- und Wartepflichten erteilt oder den Auftrag ohne vorherige europaweite Bekanntmachung erteilt. Nunmehr wird den Nachprüfungsinstanzen die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen einer Abwägungsentscheidung von der zwingenden Unwirksamkeitsfolge abzusehen und alternative Sanktionen zu verhängen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Voraussetzung ist, dass die
Prüfung aller maßgeblichen Gesichtspunkte unter Berücksichtigung […] der besonderen Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen sowie der unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es ausnahmsweise rechtfertigen, die Wirkung des Vertrages zu erhalten.
Als alternative Sanktionen kommen die Verhängung einer Geldsanktion i.H.v. max. 15 % des Auftragswertes und die Verkürzung der Laufzeit des Vertrages in Betracht. Die Geltendmachung von Schadensersatz bleibt unberührt. Schadensersatzansprüche stellen aber meist keine adäquate Kompensation für den eingeschränkten Primärrechtsschutz dar, da entgangener Gewinn nur in seltenen Ausnahmefällen zugesprochen wird.
Vorrang der Beschaffung marktverfügbarer Ausrüstung
Dass die Beschaffung durch den Einkauf bereits marktverfügbarer Lösungen beschleunigt und kosteneffizienter gestaltet werden kann, erscheint selbstredend. Deshalb soll im Rahmen der Markterkundung der Fokus auf verfügbare Leistungen, die den Beschaffungsbedarf befriedigen können, gelegt werden. Wird eine Leistung beschafft, die noch nicht am Markt verfügbar ist, sollen die Gründe im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung dargelegt werden. Ob dies das Einkaufsverhalten der Bundeswehr insoweit verändert, bleibt abzuwarten.
Ausschluss von Unternehmen aus Staaten mit Sicherheitsrisiken
Um den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik im Vergabeverfahren verstärkt Rechnung zu tragen, können auch Bewerber von der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen werden, wenn diese in Staaten mit Sicherheitsrisiken außerhalb der EU ansässig sind. Solche Staaten sind insbesondere in der den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes im Geschäftsbereich des BMVg beigefügten „Liste der Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken“ sowie der „Staatenliste nach § 13 Abs. 1 Nr. 17 SÜG und § 32 SÜG“ aufgeführt.
Indem auf den Sitz des Unternehmens abgestellt wird, greift die Regelung zu kurz, da auch in der EU ansässige juristische Personen von Staaten mit Sicherheitsrisiken beeinflusst sein können.
Stärkung der gemeinsamen europäischen Beschaffung beabsichtigt
Im Interesse einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit, der Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit und der Schaffung einer gemeinsamen industriellen und technologischen Basis der europäischen Verteidigung können Beschaffungen im Rahmen von Kooperationsprogrammen auf bestimmte Bieter, insbesondere Unternehmen aus der EU und dem EWR und ggf. aus Vertragsstaaten des Agreement on Government Procurement (GPA), beschränkt werden.
Darüber hinaus sieht das BwBBG weitere Erleichterungen für Vergaben im Rahmen von internationalen Kooperationen vor, etwa die Abweichung von dem Gebot der losweisen Vergabe oder Klarstellungen zur Begründung besonderer Sicherheitsinteressen oder zu technischen Alleinstellungsmerkmalen.
Änderungen im Verfahren des Vergaberechtsschutzes
Das BwBBG sieht Änderungen am Ablauf des Nachprüfungsverfahrens und im Hinblick auf die im Vergaberechtsschutz zu treffenden Entscheidungen vor. Die Vergabekammer kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn das „der Beschleunigung dient“, was faktisch immer der Fall sein dürfte.
Im Beschwerdeverfahren darf dagegen nur im Ausnahmefall von der mündlichen Verhandlung abgesehen werden, etwa wenn kein unmittelbarer Eindruck der Parteien oder direkter Austausch des tatsächlichen und rechtlichen Vortrags erforderlich ist.
Des Weiteren ist vorgesehen, dass die Vergabekammer bei der Auswahl der zu treffenden Entscheidung die besonderen Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen und die unmittelbare Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr berücksichtigt. Diese Ziele hat die Vergabekammer auch bei der vorzeitigen Gestattung des Zuschlags und das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über den Entfall der aufschiebenden Wirkung zu beachten. Dabei stellt das BwBBG die Regelvermutung auf, dass bei einer unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr die Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen überwiegen.
Der zuständige Vergabesenat muss nunmehr grds. innerhalb von sechs Monaten entscheiden. Ob und inwieweit dies mit der richterlichen Unabhängigkeit zu vereinbaren ist, wird von der Rechtsprechung entschieden werden müssen.
Anwendung der Sondervorschriften ist mit Unsicherheiten verbunden
Das BwBBG hat im Rahmen seines Anwendungsbereichs weitreichende Folgen für Vergabe- und Nachprüfverfahren. Die Sondervorschriften gelten auch für Vergabeverfahren, die bereits vor dem Inkrafttreten des BwBBG eingeleitet wurden. Das BwBBG soll 2026 außer Kraft treten. Bereits die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Gesetzes bringt zahlreiche Unsicherheiten mit sich, die wahrscheinlich die Nachprüfungsinstanzen beschäftigen werden. Bei der Ausübung der Rechte zur Beschleunigung im Rahmen des Rechtsschutzes müssen immer auch die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Gewährung eines fairen Verfahrens und eines effektiven Rechtsschutzes, beachtet werden. Das Gesetz ist ein weiterer Schritt in Richtung zusätzlicher Komplexität der Vergaberegeln. Ob es die Beschaffung dringend benötigter Militärausrüstung beschleunigt, kann daher bezweifelt werden, zumal die lange Beschaffungsdauer nicht zwingend im Vergabeverfahren ihren Grund findet.