20. April 2011
Die neue HOAI ist da
Real Estate

(K)ein Störfall für die Baugenehmigungsbehörde?

Die Baugenehmigungsbehörden müssen sich in Zukunft vermehrt Gedanken über mögliche Störfälle machen – jedenfalls wenn es nach den Schlussanträgen der Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Eleanor Sharpston, in der Rechtssache „Mücksch″ (Schlussanträge vom 14.04.2011, C-53/10) geht.

In diesem Verfahren hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens um Hilfe gebeten (Beschluss vom 03.12.2009 – 4 C 5/09). Konkret geht es um die Auslegung von Artikel 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-Richtlinie) im Hinblick auf den sog. Trennungsgrundsatz, also die räumliche Trennung konfligierender Flächen oder Nutzungen.

Diese Richtlinie bezweckt die Verhütung schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen und die Begrenzung der Unfallfolgen für Mensch und Umwelt. Zum einen sind die Betreiber von sog. Störfall-Betrieben – insbesondere sind dies Betriebe der Chemie-Industrie – verpflichtet, die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Zum anderen sollen die betreffenden Betriebe so angesiedelt werden, dass die Folgen möglicher Unfälle begrenzt werden.

Art. 12 Abs. 1 Satz 3 der Seveso-II-Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägigen Politiken sowie den Verfahren zur Durchführung dieser Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten (…) andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt (…).″

Die Vorgaben der Seveso-II-Richtlinie wurden im deutschen Recht mit dem sog. Trennungsgrundsatz in § 50 BImSchG und im Wesentlichen durch die Störfall-Verordnung (12. BImSchV) umgesetzt.

Vor diesem Hintergrund hatte das BVerwG den EuGH insbesondere gefragt, ob aus Art. 12 Abs. 1 der Seveso-II-Richtlinie nicht nur auf Planungsebene, sondern auch bei Erteilung einer Baugenehmigung durch die Behörde die Pflicht folge, zwischen Störfallbetrieben und anderen öffentlich genutzten Gebäuden einen angemessenen Abstand zu gewährleisten.

Im konkreten Fall wäre nach Auffassung des BVerwG das streitgegenständliche Vorhaben – ein Gartencenter im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB in einer Entfernung von etwa 250 m zu einem Störfall-Betrieb – bauplanungsrechtlich zulässig, legte man allein die deutschen Vorschriften zugrunde. Insbesondere füge sich das Gartencenter nach § 34 Abs. 1 BauGB in die Umgebung ein und es nehme auch die gebotene Rücksicht auf den Betriebsbereich des Störfall-Betriebs und die sonstige Umgebung. Eine Unzulässigkeit könne sich jedoch ergeben, wenn die Seveso-II-Richtlinie auch auf Ebene der Genehmigungserteilung die Anforderung stellte, einen angemessenen Abstand zu wahren.

Nach Auffassung der Generalanwältin muss der Trennungsgrundsatz auch auf Ebene der Genehmigungserteilung beachtet werden. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 Seveso-II-Richtlinie, nach dem die entsprechenden Pflichten auch im Bereich von „anderen relevanten Politiken″ gelten. Zu diesen müssten zwangsläufig auch diejenigen für die Erteilung oder Versagung einzelner Baugenehmigungen gehören. Zudem diene das Baugenehmigungsverfahren „par excellence″ der Durchführung der Planungspolitik und gehöre damit zu den von der Richtlinie genannten „Verfahren für die Durchführung dieser Politiken″.

Die Baugenehmigungsbehörde müsste demnach also im Zweifel – etwa bei fehlender Bauleitplanung, aber auch bei bestehender Bauleitplanung, die dem Erfordernis eines angemessenen Abstands nicht hinreichend Rechnung trägt – im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens dafür Sorge tragen, dass ein angemessener Abstand zwischen Störfallbetrieben und anderer Nutzung gewahrt bleibt, z. B. durch Versagung der beantragten Baugenehmigung.

Bei der Prüfung, ob ein angemessener Abstand gewahrt ist, habe die Baugenehmigungsbehörde – jedenfalls sofern im konkreten Fall keine Bauleitplanung bestehe – verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen, insbesondere

- vorhandene Gebäude oder Gebiete, die in der Nachbarschaft des betreffenden Betriebs genutzt werden,

- die Frage, ob das Vorhaben zu einer stärkeren Frequentierung des Gebietes führen wird, und

- die Frage, ob das Vorhaben eine Verschärfung der an den betreffenden Betrieb gestellten Sicherheitsanforderungen erforderlich macht.

Nach Auffassung der Generalanwältin ist jedoch keiner dieser einzelnen Punkte allein ausschlaggebend für die Entscheidung über ein Baugesuch.

Wann der EuGH seine Entscheidung treffen wird, steht bislang noch nicht fest. Für das weitere hier im Blog besprochene Vorabentscheidungsersuchen zum Umweltrechtsbehelfsgesetz ist das Urteil mittlerweile für den 12.05.2011 angekündigt. Wir werden berichten…

Tags: Baugenehmigung Bundesverwaltungsgericht EuGH Seveso-II-Richtlinie Störfall Störfall-Verordnung Trennungsgrundsatz § 34 BauGB