26. November 2021
Koalitionsvertrag Arbeitsrecht
Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages Arbeitsrecht

Die Pläne der Ampel für die neue Legislaturperiode – Arbeits- und Sozialrecht

Die Ampel auf Bundesebene kommt. Welche Farbe zeigt sie für das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht?

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben es bis zum Schluss spannend gemacht. Am 24. November 2021 wurden die Inhalte des Koalitionsvertrags publik. Wir fassen hier für Sie ihre wichtigsten Pläne für das Arbeits- und Sozialrecht zusammen.

Ermöglichung flexiblerer Arbeitszeiten

Im Grundsatz soll der Acht-Stunden-Tag, wie er derzeit im Arbeitszeitgesetz vorgesehen ist, der Standard bleiben. Im Jahr 2022 soll jedoch eine befristete Regelung geschaffen werden. Durch diese soll erst einmal „auf Probe“ die Möglichkeit bestehen, in Tarifverträgen Arbeitnehmern Flexibilisierungen bei der Arbeitszeit zu ermöglichen. Dies dürfte darauf hindeuten, dass auch von der täglichen Höchstarbeitszeit abgewichen werden kann. 

Auch möchte die Ampel die Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18 – CCOO) angehen, nach der die Arbeitszeiterfassung in den Mitgliedsstaaten der EU durch ein objektives, verlässliches und zugängliches System erfolgen muss. Wie genau dies erfolgen soll, bleibt im Koalitionsvertrag offen. Allerdings bekennen sich die Ampel-Partner dazu, dass Vertrauensarbeitszeit auch in Zukunft möglich sein soll.

Homeoffice in einem geregelten rechtlichen Rahmen und mit Erörterungsanspruch

Homeoffice soll als eine Möglichkeit der mobilen Arbeit rechtlich von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung abgegrenzt werden. Arbeitsschutz soll auch für das mobile Arbeiten gelten.

Arbeitnehmer sollen, soweit ihre Tätigkeit sich dazu eignet, einen Erörterungsanspruch zu mobilem Arbeiten und Homeoffice erhalten. Arbeitgeber sollen dem Wunsch der Beschäftigten nur widersprechen dürfen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Eine Ablehnung darf nicht sachfremd oder willkürlich sein. Abweichendes soll kollektivrechtlich regelbar sein.

Mobile Arbeit soll EU-weit ohne Hindernisse möglich sein.

Einschränkungen der Befristung mit Sachgrund, aber nicht der sachgrundlosen Befristung 

Um Kettenbefristungen zu vermeiden, sollen mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge beim selben Arbeitgeber auf sechs Jahre begrenzt und Ausnahmen nur in seltenen Fällen möglich sein. 

Im Öffentlichen Dienst wird außerdem die nur dort bestehende Möglichkeit der Haushaltsbefristung abgeschafft. 

Die sachgrundlose Befristung soll aber offenbar weiterhin möglich bleiben und nicht modifiziert werden, was aus Arbeitgebersicht zu begrüßen ist. 

Keine Planungen zu Einschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung

Die neue Regierung plant keine Änderungen in Bezug auf die Möglichkeiten von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung, sondern erkennt sie als „notwendige Instrumente“ an. Anpassungsbedarf könnte sich jedoch aus den anstehenden Entscheidungen des EuGH zum Gleichstellungsgrundsatz und zur Überlassungshöchstdauer ergeben, auf die im Rahmen einer Evaluierung des AÜG laut Koalitionsvertrag reagiert werden kann.

Zudem soll der Schutz von Beschäftigten bei grenzüberschreitenden Entsendungen verbessert werden.

Tarifautonomie: Tariftreuegesetz und Erschwerung von Tariffluchten

Öffentliche Aufträge des Bundes sollen nur noch an Unternehmen vergeben werden, die an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden sind. So soll die Tarifbindung gestärkt werden. Somit steht der Erlass eines so genannten „Tariftreuegesetzes“ im Raum.

Eine Tarifflucht durch die Betriebsausgliederung bei gleichzeitiger Identität des bisherigen Eigentümers soll laut Koalitionsvertrag verhindert werden, indem die Fortgeltung des Tarifvertrags sichergestellt wird. Gleichzeitig bleibt § 613a BGB unberührt. 

Mehr Digitalisierung bei der betrieblichen Mitbestimmung

Betriebsräte sollen selbst entscheiden können, ob sie analog oder digital arbeiten. Im Rahmen eines Pilotprojekts sollen Online-Betriebsratswahlen erprobt werden. Da die Legislaturperiode im September 2025 endet und die Betriebsratswahlen im Frühjahr 2022 und danach erst wieder 2026 stattfinden, ist nicht auszuschließen, dass die entsprechenden Regelungen sehr zeitnah noch für die Wahl in wenigen Monaten umgesetzt werden.

Gewerkschaften erhalten einen Anspruch auf digitalen Zugang zum Betrieb. 

Die Behinderung der betrieblichen Mitbestimmung soll künftig als Offizialdelikt qualifiziert werden. 

Ein weiterer Punkt ist die Prüfung, inwiefern das kirchliche dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann.

Weniger Chancen zur Vermeidung von Unternehmensmitbestimmung 

Eine Änderung zeichnet sich für die Europäische Aktiengesellschaft (SE) ab: Durch eine Rechtsänderung soll künftig vermieden werden, dass es zu einer vollständigen Mitbestimmungsvermeidung kommen kann. 

Die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz soll auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen werden, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt.

Verbandsklagerecht zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit 

Das Entgelttransparenzgesetz soll weiterentwickelt und die Durchsetzung gestärkt werden, indem Arbeitnehmern ermöglicht wird, ihre individuellen Rechte durch Verbände im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen.

Erhöhung des Mindestlohns

Der gesetzliche Mindestlohn von derzeit EUR 9,60 (ab 1. Januar 2022: EUR 9,82) wird auf EUR 12,00 pro Stunde erhöht. Im Anschluss daran wird die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden.

Mehr Verdienst für Mini- und Midijobber

Künftig orientiert sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf EUR 520 erhöht, die Midijob-Grenze auf EUR 1.600.

Kapitaldeckung der Rente für ein stabiles Rentenniveau ohne Beitragssteigerung

Das Mindestrentenniveau von 48 Prozent soll beibehalten werden und der Beitragssatz soll nicht über 20 Prozent steigen. Um dies abzusichern, wird die gesetzliche Rentenversicherung teilweise kapitalgedeckt. Hierzu wird ein Fonds von zunächst EUR 10 Mrd. zur Verfügung gestellt.

Für Selbstständige, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, soll eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit eingeführt werden. Sie sollen, wenn sie keine private Altersvorsorge nachweisen, in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert werden.

Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge 

Die betriebliche Altersversorgung soll durch Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen gestärkt werden. 

Das bereits in der vorletzten Legislaturperiode auf den Weg gebrachte Sozialpartnermodell soll nun umgesetzt werden.  

Mehr Rechte für schwerbehinderte Beschäftigte und Eltern 

§ 160 SGB IX soll um eine vierte Stufe der Ausgleichsabgabe für Unternehmen ergänzt werden, die trotz Beschäftigungspflicht keinen Menschen mit Behinderungen beschäftigen. 

Vollständig an das Integrationsamt übermittelte Anträge, mutmaßlich für ordentliche Kündigungen, gelten nach sechs Wochen ohne Bescheid als genehmigt (Genehmigungsfiktion).

Weitere Änderungen sind für Familien geplant. Dazu gehören die Ansprüche von Eltern (Kinderkrankengeld, Sonderkündigungsschutz, Elternzeit, Partnermonate) und Kinderkrankentage. Letztere werden pro Kind und Elternteil auf 15 Tage und für Alleinerziehende auf 30 Tage erhöht. Rund um die Geburt eines Kindes werden die Rechte der Eltern gestärkt: 

Der elternzeitbedingte Kündigungsschutz soll um drei Monate nach Rückkehr in den Beruf verlängert werden. Nach der Geburt eines Kindes soll zudem parallel zum Mutterschutz dem Partner die Möglichkeit zu einer zweiwöchigen vergüteten Freistellung gegeben werden. Dies gilt auch für Alleinerziehende. Den Mutterschutz und die Freistellung für den Partner soll es bei Fehl- bzw. Totgeburt künftig nach der 20. Schwangerschaftswoche geben. Die Partnermonate beim Basis-Elterngeld werden um einen Monat erweitert, auch für Alleinerziehende. Außerdem soll der Elterngeldanspruch von Pflegeeltern, Selbstständigen und Eltern, deren Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, ausgeweitet und die Dynamisierung flexibler werden.

Bürgergeld statt Hartz IV und sonstige Vorhaben

Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) tritt das Bürgergeld. An Mitwirkungspflichten der Bezieher soll allerdings festgehalten werden.

Die berufliche Aus- und Weiterbildung soll ausgebaut werden, insbesondere sollen verstärkt Möglichkeiten geschaffen werden, diese in Teilzeit zu absolvieren. Hierfür soll u.a. eine „Bildungs(teil)zeit“ nach österreichischem Vorbild eingeführt werden, im Rahmen derer Beschäftigten eine finanzielle Unterstützung für arbeitsmarktbezogene Weiterbildung gewährt wird. Voraussetzung ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. 

Außerdem soll durch ein an das Kurzarbeitergeld angelehntes „Qualifizierungsgeld“ Unternehmen im Strukturwandel ermöglicht werden, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb zu halten und Fachkräfte zu sichern. Auch das Transfer-Kurzarbeitergeld soll ausgeweitet werden.

In unserer Blog-Serie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrags informieren wir Sie vertieft über die genannten und weitere spannende Themen, die uns in den nächsten vier Jahren beschäftigen werden.

Tags: Arbeitsrecht Homeoffice Koalitionsvertrag Mindestlohn Sozialversicherung