2022 bringt für Unternehmen mit B2C-Geschäft bereits zahlreiche Neuerungen. Die Ampel-Koalition hat sich beim Verbraucherschutz aber noch mehr vorgenommen.
Zum 1. Januar 2022 treten Änderungen im Kaufrecht und neue Regelungen für das Angebot von digitalen Produkten an Verbraucher in Kraft, im Mai folgen weitere Neuregelungen zur Umsetzung des europäischen New Deal for Consumers.
Zudem ist gerade erst das Faire-Verbraucherverträge-Gesetz in Kraft getreten, das Unternehmern an vielen Stellen erweiterte Pflichten auferlegt. Dass unter der künftigen Ampel-Regierung noch weitere Verschärfungen auf Unternehmer zukommen dürften, zeigt z.B. ein Blick in das Kapitel „Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher“ des Koalitionsvertrags (S. 112f.).
Produkte sollen nachhaltiger werden
Eine große Rolle spielt dort das Thema nachhaltige Produkte. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu (Hervorhebungen durch uns):
Wir wollen Nachhaltigkeit by design zum Standard bei Produkten machen. Die Lebensdauer und Reparierbarkeit eines Produktes machen wir zum erkennbaren Merkmal der Produkteigenschaft (Recht auf Reparatur). Wir stellen den Zugang zu Ersatzteilen und Reparaturanleitungen sicher. Herstellerinnen und Hersteller müssen während der üblichen Nutzungszeit Updates bereitstellen. Wir prüfen Lösungen zur Erleichterung der Nutzbarkeit solcher Geräte über die Nutzungszeit hinaus. Für langlebige Güter führen wir eine flexible Gewährleistungsdauer ein, die sich an der vom Hersteller oder der Herstellerin bestimmten jeweiligen Lebensdauer orientiert.
Ökodesign-Vorgaben auf europäischer Ebene
Bereits jetzt spielt das sogenannte Ökodesign eine Rolle bei der Produktgestaltung. Einen rechtlichen Rahmen hierfür bietet die europäische Ökodesign-Richtlinie (2009/125/EG), unter der verschiedene Verordnungen mit konkreten Anforderungen für unterschiedliche Produktgruppen erlassen werden können.
Verbindliche Vorgaben bestehen momentan europaweit z.B. schon für bestimmte Kategorien von Haushaltsgeräten, für die seit diesem Jahr zum Teil bis zu zehn Jahre nach dem Kauf eines Gerätes Ersatzteile vorgehalten und unabhängigen Reparaturbetrieben Informationen zu Reparatur und Wartung zur Verfügung gestellt werden müssen. Dies soll aber auch aus Sicht des europäischen Gesetzgebers nur ein Anfang sein: 2020 hat die EU eine Initiative für nachhaltige Produkte gestartet, in deren Rahmen die Ökodesign-Richtlinie überarbeitet und gegebenenfalls weitere Maßnahmen beschlossen werden sollen, um Produkte auf dem europäischen Markt nachhaltiger zu machen. Mit ersten Entwürfen wird Anfang 2022 gerechnet.
Zudem bestehen auf EU-Ebene Bestrebungen, Ökodesign-Vorgaben sowie ein Recht auf Reparatur auch für Smartphones und Tablets einzuführen.
Es ist daher davon auszugehen, dass die entsprechenden Bemühungen der künftigen Ampel-Regierung ebenfalls auf europäischer Ebene ansetzen werden.
Update-Pflicht für Software bereits Realität
Die im Koalitionsvertrag angesprochene Update-Pflicht ist für digitale Produkte und digitale Elemente von Waren im B2C-Bereich bereits jetzt beschlossene Sache und gilt ab dem 1. Januar 2022. Diese neue Verpflichtung für Unternehmer, die Verbrauchern digitale Produkte bereitstellen oder Waren mit digitalen Elementen anbieten, beruht ebenfalls auf EU-Vorgaben und muss in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden.
Längere Gewährleistungsfristen auch als deutscher Alleingang möglich
Insgesamt wird das Verbraucherschutzrecht stark vom EU-Recht bestimmt. Insbesondere sieht die Warenkauf-Richtlinie (RL (EU) 2019/771) für Verbrauchsgüterkäufe grundsätzlich eine Vollharmonisierung vor, d.h. die Mitgliedsstaaten dürfen von den europäischen Vorgaben nur abweichen, wenn die Richtlinie dies ausdrücklich gestattet.
Die im Koalitionsvertrag angesprochene „Flexibilisierung“ (sprich: Verlängerung) der Gewährleistungsfristen für langlebige Güter wäre aber grundsätzlich auch als deutscher Alleingang möglich. Bei der derzeit geltenden zweijährigen Gewährleistungsfrist handelt es sich um die Minimalvorgabe. Die Warenkauf-Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten aber, längere Fristen einzuführen.
Bald „noch fairere“ Verbraucherverträge?
Weiter heißt es im Koalitionsvertrag zum Thema Verbraucherschutz (Hervorhebungen durch uns):
Wir setzen uns auf EU-Ebene dafür ein, dass elektronische Widerrufbuttons verpflichtend werden. Wir führen bei Dauerschuldverhältnissen über die Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- und Warenleistungen Angaben zu den durchschnittlichen monatlichen Kosten ein. Abo-Verträge müssen immer auch mit einer Mindestlaufzeit von höchstens einem Jahr angeboten werden. Eine allgemeine Bestätigungslösung für telefonisch geschlossene Verträge führen wir ein. Den Schutz vor unseriösen Haustürgeschäften verbessern wir.
Diese Vorhaben gehen in dieselbe Richtung wie das erst kurz vor Ende der abgelaufenen Legislaturperiode verabschiedete Faire-Verbraucherverträge-Gesetz: Dieses sieht für Dauerschuldverhältnisse mit Verbrauchern ab dem 1. März 2022 verkürzte Kündigungsfristen und eingeschränkte Verlängerungsoptionen vor. Ab dem 1. Juli 2022 wird zudem für elektronisch abgeschlossene Dauerschuldverhältnisse ein „Kündigungsbutton“ verpflichtend.
Die im Koalitionsvertrag genannte Verkürzung der maximal zulässigen Mindestlaufzeit von Abo-Verträgen von zwei Jahren auf ein Jahr war ursprünglich ebenfalls in den Entwürfen des Faire-Verbraucherverträge-Gesetzes vorgesehen; hierfür fand sich unter der scheidenden Regierung allerdings keine Mehrheit. Auch hatten sich SPD und Grüne im Gesetzgebungsverfahren schon für eine allgemeine Bestätigungspflicht für telefonisch geschlossene Verträge ausgesprochen. Dies wurde bislang allerdings nur für Strom- oder Gaslieferungsverträge umgesetzt.
Nun sieht es aber danach aus, dass die Ampel-Regierung hier einen weiteren Anlauf nehmen wird und dabei die Regelungen insgesamt noch einmal nachschärfen will. In den Bereichen, in denen eine europaweite Harmonisierung vorgegeben ist (wie z.B. beim Widerrufsrecht der Verbraucher), wird dies allerdings nur über eine Einflussnahme auf europäischer Ebene möglich sein.
Weitere Rechte des Verbrauchers bei zu langsamem Internet?
Daneben wenden sich die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag auch in weiteren Lebens- und Rechtsbereichen dem Verbraucherschutz im Digitalzeitalter zu, wie z.B. bei der Telekommunikation: Sofern dem Verbraucher von einem Unternehmen Bandbreiten bei der Internetversorgung zugesichert wurden, könnte ihm laut Koalitionsvertrag bald ein pauschalierter Schadensersatz zustehen. Ob und unter welchen Umständen eine solche Anspruchsgrundlage zugunsten des Verbrauchers tatsächlich geschaffen werden soll, lässt der Koalitionsvertrag allerdings offen (S. 16):
Wir stärken den Verbraucherschutz bei zugesicherten Bandbreiten, nötigenfalls durch pauschalierte Schadensersatzansprüche.
Möglicherweise möchte die Koalition zunächst einmal abwarten, inwieweit bereits ergriffene Maßnahmen zu einem stärkeren Verbraucherschutz in diesem Bereich führen. Denn am 1. Dezember 2021 ist die Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) in Kraft getreten, mit der dem Verbraucher in § 57 TKG bei „anhaltenden oder häufig auftretenden erheblichen Abweichungen“ zwischen der tatsächlichen und der im Vertrag angegebenen Leistung ein Kündigungs- und Minderungsrecht eingeräumt wird. Daher scheint man den Verbrauchern mit dem im Koalitionsvertrag angekündigten pauschalierten Schadensersatz nur dann ein weiteres rechtliches Werkzeug an die Hand geben zu wollen, sofern man eine weitere rechtliche Stärkung des Verbrauchers in diesem Bereich für notwendig hält (nähere Informationen zu weiteren Digitalisierungsthemen im Koalitionsvertrag finden Sie hier).
Verbraucherschutz als Rahmenbedingung im fairen Wettbewerb
Der Stellenwert, den die Ampel-Koalition dem Thema Verbraucherschutz nicht nur in der digitalen Welt, sondern insgesamt einräumt, wird im Koalitionsvertrag dadurch unterstrichen, dass es als Teil der Rahmenbedingungen für fairen Wettbewerb in einem Atemzug zusammen mit Innovation, Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit genannt wird. Die Koalition möchte daher prüfen, ob erhebliche, dauerhafte und wiederholte Verstöße gegen Normen des wirtschaftlichen Verbraucherschutzrechts in Zukunft durch das Bundeskartellamt ermittelt und abgestellt werden können (mehr dazu erfahren Sie hier).
Verbraucherschutz in der nächsten Legislaturperiode
Sowohl auf europäischer Ebene als auch auf Bundesebene sind bereits viele Vorhaben zur Stärkung des Verbraucherschutzes angestoßen worden oder befinden sich derzeit in der Umsetzung. Einige der Ankündigungen der Koalition auf diesem Gebiet bilden diese Maßnahmen ab oder ergänzen sie lediglich, unterstreichen aber in jedem Falle die Wichtigkeit, die der Verbraucherschutz für die Koalitionsparteien zu haben scheint. Auch einige echte Neuerungen werden durch den Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt. Unternehmer mit B2C-Bezug werden daher nicht umhinkommen, auch in der neuen Legislaturperiode besonderes Augenmerk auf die Einhaltung der neuen Regeln zum Verbraucherschutz zu legen.
In unserer Blog-Serie „Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages“ halten wir Sie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrages für in den verschiedenen Sektoren tätige Unternehmen auf dem Laufenden.