Der Gesetzgeber hat die Wichtigkeit des Themas "Interne Untersuchungen" erkannt und Regelungen in den Referentenentwurf des Verbandssanktionengesetzes integriert – wir stellen sie auf den Prüfstand.
Die Veröffentlichung des Referentenentwurfs zum Verbandssanktionengesetz (Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, VerSanG-E) macht auch in Zeiten von Corona nicht halt! Am 21. April 2020 wurde nun der bereits seit August 2019 in Fachkreisen und Unternehmen heiß diskutierte Referentenentwurf vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) offiziell veröffentlicht.
Trotz aller Kritik an der konkreten Ausgestaltung des bislang inoffiziellen Regelungsvorschlags des BMJV, hat der grundsätzliche Gedanke des Gesetzgebers, ein Gesetz für Unternehmensstrafrecht zu schaffen und Compliance normativ im Gesetz zu verankern, die letzten Monate viel Zustimmung erfahren. Nichtsdestotrotz wies insbesondere die Ausgestaltung der Vorschriften zu internen Untersuchungen erhebliche Schwachstellen auf und brachte Verunsicherung.
Welche Änderungsvorschläge wurden nun in dem offiziellen VerSanG-E bezüglich interner Untersuchungen in den §§ 16 f. VerSanG-E umgesetzt und welche Gesichtspunkte sind weiterhin unberücksichtigt geblieben? Wir gehen der Sache auf den Grund.
Unbestimmte Rechtsbegriffe im VerSanG-E für die Allgemeinheit nun verständlich?
Die bereits im inoffiziellen VerSanG-E verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe finden sich auch im veröffentlichten Referentenentwurf unverändert wieder. Verständlicher sind sie hierdurch nicht geworden.
Das Gericht soll die verhängte Sanktion nur dann mildern, wenn das Unternehmen nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E einen „wesentlichen Aufklärungsbeitrag″ im Rahmen seiner internen Untersuchung geleistet hat. Dabei leuchtet ein, dass ein Aufklärungsbeitrag nicht mehr wesentlich sein kann, wenn die Verfolgungsbehörde den Sachverhalt schon unabhängig von der Aufklärungsleistung des Unternehmens selbst aufgeklärt haben.
Wann jedoch liegt ein solcher „wesentlicher Aufklärungsbeitrag″ vor? Die Gesetzesbegründung des VerSanG-E schweigt – wie bereits auch in seiner Vorgängerversion – hierzu. Für Unternehmen bleibt weiterhin unklar, welche qualitativen und inhaltlichen Erwartungen an diesen Aufklärungsbeitrag gestellt werden. Ob die Durchführung einer internen Untersuchung insofern einen „wesentlichen″ Aufklärungsbeitrag darstellt, und damit zu einer Sanktionsmilderung für das Unternehmen führt, bleibt in einer für das Unternehmen nachteiligen Weise offen.
Ebenfalls bei § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E stellt sich die Frage, wie die Begriffe der „ununterbrochenen″ und „uneingeschränkten″ Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden zu verstehen und vor allem wie sie auszufüllen sind. Die Gesetzesbegründung ist auch an dieser Stelle unzureichend. Solche Regelungen öffnen Tür und Tor für die Erwartung einer bedingungslosen Kooperation mit den Verfolgungsbehörden, der das Unternehmen am Ende hilflos ausgeliefert ist.
Der Gesetzgeber gibt auf Seite 99 der Gesetzesbegründung nur lapidar zum Besten:
Aufgrund der Vielgestaltigkeit verbandsinterner Untersuchungen sowie der zugrunde liegenden Sachverhalte sollen detailliertere Vorgaben zur Ausgestaltung verbandsinterner Untersuchungen unterbleiben.
Wenn dies jedoch bedeutet, dass dem Unternehmen die Möglichkeit der Sanktionsmilderung verwehrt wird, weil es nicht den „ungeschriebenen″ Erwartungen der Verfolgungsbehörden und Gerichte gerecht wird, ist eine solche Herangehensweise nicht akzeptabel. Der Gesetzgeber ist verpflichtet die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu wahren („Fair Trial″) und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, die konkret an sie adressierten Vorschriften zu verstehen. Hierfür sollte der Gesetzgeber greifbare Orientierungshilfen zur Erklärung unbestimmter Rechtsbegriffe schaffen und diese in das Verbandssanktionengesetz aufnehmen.
Weiterhin getrennte Wege für Verteidigung und interne Untersuchungen nach aktuellem VerSanG-E?
Mit besonderer Spannung war erwartet worden, ob der überarbeitete Referentenentwurf das Spannungsverhältnis zwischen Verteidigung und interner Untersuchung auflösen würde. Jedoch ist die Regelung zur Trennung von interner Untersuchung und Verteidigung des Unternehmens unverändert bestehen geblieben (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E).
Trotz starker Kritik aus den Fachkreisen beharrt der Gesetzgeber darauf, dass es bei Nichttrennung zu Interessenkonflikten kommen könne und eine Untersuchung nicht objektiv geführt werde. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass verbandsinterne Untersuchungen primär der objektiven Aufklärung des Sachverhalts einschließlich aller belastenden und entlastenden Umstände dienen, während die Verteidigung darauf gerichtet sei, die Verfahrensrechte des Betroffenen zu sichern und einen möglichst günstigen Verfahrensausgang zu gewährleisten.
Weiterhin soll also die vertypte sanktionsmildernde Wirkung der §§ 17 und 18 VerSanG-E daran anknüpfen, dass der „beauftragte Dritte″ für die interne Untersuchung nicht gleichzeitig Verteidiger des Unternehmens oder eines Beschuldigten sein darf. Eine Beauftragung derselben Kanzlei ist nur möglich, wenn intern kein Austausch stattfindet („Chinese Walls″).
Mit dieser Haltung vermittelt der Gesetzgeber den Eindruck, dass er der Anwaltschaft misstraut und davon ausgeht, dass Verteidiger, welche interne Untersuchungen durchführen, Sachverhalte schlecht, gar nicht oder nur unter Heimlichkeit aufklären. Der Gesetzgeber verkennt hierbei, dass gerade die vollumfängliche Sachverhaltsaufklärung die grundlegende Basis einer jeden sach- und fachgerechten Verteidigung darstellt. Die bislang bestehende Praxis bei internen Untersuchungen bestätigt jedoch, dass ein innerer Zusammenhang zwischen Untersuchung und Verteidigung besteht, der durch das VerSanG-E künstlich zum Nachteil des Unternehmens aufgespalten wird. Diese Vorgehensweise stellt insbesondere einen Widerspruch zu den einem Beschuldigten eingeräumten Rechten dar, da diese gerade keine zeitliche oder thematische Beschränkung der Verteidigung vorsehen.
Auch die praktische Umsetzung dieser Regelung scheint bislang mehr als zweifelhaft. Es stellt sich vor allem die Frage, ob interne Ermittlungen für eine sachgerechte Verteidigung von nun an parallel oder im Anschluss an die interne Untersuchung im Sinne des VerSanG-E durchgeführt werden sollen. Der Gesetzgeber gibt hierauf in der Gesetzesbegründung keine Antwort. Neben den organisatorischen Erschwernissen kommt hinzu, dass zukünftig Mitarbeiter des betroffenen Unternehmens mit zwei getrennten „Gruppen″ von Anwälten jeweils denselben Sachverhalt besprechen und Fragen dazu beantworten müssten. Dies würde nicht nur zu einer Verunsicherung der Mitarbeiter führen, sondern bedeutet auch einen erhöhten finanziellen Aufwand für das Unternehmen. Gerade mittelständische Unternehmen haben nicht zwangsläufig das erforderliche „Kleingeld″ in der Tasche, um zwei Teams von Anwälten zu finanzieren, um die Trennung von Verteidigung und interner Untersuchung einhalten zu können. Es kann nicht Ziel des Gesetzgebers sein, Unternehmen des Mittelstands durch diese Regelung zu benachteiligen und zu riskieren, dass diese aus finanziellen Gründen nicht den Anforderungen für eine Sanktionsmilderung gerecht werden können.
Es drängt sich deshalb die Vermutung auf, dass der von den Gesetzgebern vorgenommene Systembruch einen anderen als den offiziell angegebenen Hintergrund hat und zwar den Erhalt der Beschlagnahmemöglichkeit von Arbeitsprodukten aus internen Untersuchungen. Durch die gesetzliche Änderung der §§ 97, 160a StPO sollen nur noch solche Arbeitsprodukte einer internen Untersuchung einem Beschlagnahmeschutz unterliegen, die zeitlich nach Erlangung einer „Beschuldigtenstellung″ des Unternehmens entstanden sind. Zuvor oder für andere Zwecke (etwa der internen Compliance) erstellte Interviewprotokolle und sonstige Arbeitsergebnisse sollen demgegenüber explizit beschlagnahmt werden können. Insofern entsteht der Eindruck, dass die Trennung von interner Untersuchung und Verteidigung schlicht als Mittel zur Effektivitätserhöhung der Strafverfolgung dient und ist damit abzulehnen.
Gesetzwidriges Verhalten bei internen Untersuchungen nach VerSanG-E gesellschaftstauglich?
Bislang war im inoffiziellen VerSanG-E geregelt, dass interne Untersuchungen in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen zu erfolgen haben (§ 18 Abs. 1 Nr. 6 VerSanG-E a.F.) Diese Regelung war bislang jedoch herber Kritik ausgesetzt, da Sanktionsmilderungen bereits bei kleinsten Verstößen gegen datenschutzrechtliche Regelungen, Arbeitnehmerrechte oder die Grundsätze eines fairen Verfahrens hätten versagt werden können. Nunmehr wurde dieser Passus im aktuellen Referentenentwurf gestrichen.
Bedeutet dies nun, dass gesetzeswidriges Verhalten bei internen Untersuchungen mit einer Sanktionsmilderung honoriert wird? Wohl Nein! Der Gesetzgeber führt auf Seite 98 seiner Gesetzesbegründung hierzu aus:
„Weitere Voraussetzung für eine sanktionsmildernde Berücksichtigung von verbandsinternen Untersuchungen ist selbstverständlich, dass diese in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt werden. Denn der Staat kann nur gesetzestreues Verhalten mit einer Sanktionsmilderung honorieren.″
Das Auseinanderfallen von Gesetzestext und Gesetzesbegründung ist irritierend und gibt keinen Aufschluss darüber, welchen Maßstab der Gesetzgeber zukünftig bei Gesetzesverstößen des Unternehmens während interner Ermittlungen anlegen wird. Es bedarf hier einer eindeutigen Positionierung des Gesetzgebers, dass kein höherer Maßstab angelegt wird als bei Ermittlungsarbeiten staatlicher Verfolgungsbehörden.
Fehler der staatlichen Verfolgungsbehörden führen gerade nicht per se, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Beweisverwertungsverbot (z.B. bei systematischen oder schwerwiegenden Fehlern). Es müssen also anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Bewertungsmaßstäbe zur Prüfung eines Beweisverwertungsverbotes Regeln geschaffen werden, welche Fehler bei internen Untersuchungen zur Aberkennung des Minderungstatbestands führen und welche nicht. Es gilt hier die Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu wahren und keinem einen Vorteil oder Nachteil bei der Ermittlungstätigkeit zu verschaffen.
Offenlegung der Ergebnisse von internen Untersuchungen egal wie, egal wann?
Neu in den Referentenentwurf eingefügt wurde § 17 Abs. 3 VerSanG-E, der nun beispielhaft die Umstände nennt, die bei der Sanktionszumessung zu berücksichtigen sind. Neben der Bedeutung des Aufklärungsbeitrags spielt nun auch der Zeitpunkt der Aufklärung eine entscheidende Rolle.
Zur Missbrauchsvorbeugung soll laut Gesetzesbegründung eine vertypte Sanktionsmilderung nur dann in Betracht kommen, wenn die Ergebnisse der verbandsinternen Untersuchung vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) offengelegt wurden. Durch diese Ergänzung des Referentenentwurfs werden Unternehmen angehalten, unverzüglich, umfassend und vor allem sachdienlich mit den Verfolgungsbehörden zu kooperieren, wenn diese in den Genuss einer Sanktionsmilderung kommen wollen.
Sanktionsmilderungen abhängig von der Laune des Gerichts?
Es wurde eine Modifikation bei den Regelungen zur Möglichkeit einer Sanktionsmilderung durch interne Untersuchungen vorgenommen.
In der Vorgängerversion des VerSanG-E stand die Sanktionsmilderung noch im freien Ermessen des Gerichts:
Das Gericht kann die Verbandssanktion mildern, ….
Nun wurde klargestellt, dass das Gericht in seinem Ermessen gebunden ist, sofern die qualitativen Anforderungen des § 17 VerSanG-E durch das Unternehmen kumulativ erfüllt sind:
Das Gericht soll die Verbandssanktion mildern, ….
Für das Unternehmen besteht insofern mehr Rechtssicherheit, auch tatsächlich von der Sanktionsmilderung bei einer kooperativen Zusammenarbeit mit den Behörden zu profitieren und ist nicht den „Launen″ des Gerichts ausgesetzt.
Fazit: Einzelfragen bei internen Untersuchungen bleiben weiter ungeklärt
Es ist positiv hervorzuheben, dass der Gesetzgeber die Sinnhaftigkeit interner Untersuchungen bei Unternehmensstraftaten anerkennt und im VerSanG-E regelt. Die Durchführung von internen Untersuchungen wird auch bei der Sanktionierung der Unternehmen honoriert. Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass viele Einzelfragen weiterhin ungeklärt bleiben. Die aufgezeigten Schwachstellen des Referentenentwurfs sind bislang nicht gut gelöst und es gilt sie im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen und zu verbessern. Insbesondere die weiterhin bestehende Trennung von Unternehmensverteidigung und internen Untersuchungen birgt die Gefahr der Benachteiligung der mittelständischen Unternehmen aufgrund der daraus resultierenden hohen finanziellen Belastung.
Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten sowie zu den Verbandsgeldsanktionen und der „fachkundigen Stelle″. Zuletzt haben wir uns mit den Risiken nach einer M&A-Transaktion sowie der Neuordnung des Sanktionsrechts und den Kritiken aus der Wirtschaft beschäftigt.