Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz besteht nicht nur im Büro. Auch im Home-Office und auf dem Weg zur Arbeit kann der Beschäftigte versichert sein.
Die gesetzliche Unfallversicherung ist für viele Beschäftigte* existentiell wichtig. Außerdem garantiert sie Betriebsfrieden: Kommt es zu einem Unfall, wird Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Haftungsfrage vermieden. Denn die Berufsgenossenschaft kommt grundsätzlich für alle finanziellen Nachteile auf, soweit Versicherungsschutz besteht.
Versicherungsschutz besteht für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten
Versicherungsschutz besteht in der gesetzlichen Unfallversicherung für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, wenn sie dem Beschäftigten infolge seiner versicherten Tätigkeit zustoßen (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Auch gewaltsame Handlungen Dritter, etwa ein Raubüberfall, sind Arbeitsunfälle im Sinne des Sozialversicherungsrechts, wenn der Beschäftigte einen Gesundheitsschaden erleidet.
Versicherungsschutz besteht auch im Home-Office
Versicherungsschutz besteht immer in der Arbeitsstätte. Auch ein Home-Office, also ein Arbeitsplatz im häuslichen Bereich, ist eine Arbeitsstätte, wenn es dauerhaft eingerichtet ist und der Beschäftigte dort aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung regelmäßig, entweder ausschließlich oder alternierend, tätig wird.
Liegt allerdings der arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitsort außerhalb der Wohnung des Beschäftigten und erledigt er seine Arbeit (etwa aus eigener Initiative außerhalb der Arbeitszeit) zu Hause, ohne dies arbeitsvertraglich vereinbart zu haben oder dazu aufgrund einer Einzelweisung des Arbeitgebers angehalten worden zu sein, handelt es sich nicht um ein Home-Office im sozialversicherungsrechtlichen Sinne (BSG, Urteil v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R).
Dies bedeutet: Bei der Tätigkeit im Home-Office besteht Unfallversicherungsschutz nur, wenn der Beschäftigte dort mit Wissen und Wollen seines Arbeitgebers arbeitet.
Versicherungsschutz besteht auch auf dem Weg zur Arbeit und zurück nach Hause
Versicherungsschutz besteht nicht nur in der Arbeitsstätte, sondern auch auf dem unmittelbaren Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Normalerweise endet der Versicherungsschutz auf dem Heimweg in dem Augenblick, in dem der Beschäftigte zu Hause eintrifft. Das BSG spricht hier von dem „Durchschreiten der Außenhaustür″ als der maßgeblichen Zäsur.
Diese Grenzziehung zwischen Arbeitsweg und privater Wohnung versagt natürlich in den Home-Office-Fällen. Denn der Arbeitnehmer muss innerhalb des Gebäudes noch den Weg von der Außenhaustür bis zu seinem Arbeitsplatz zurücklegen. Das BSG war mit einem Fall befasst, in dem sich das Home-Office im Keller befand und sich die Beschäftigte beim Hinabsteigen der Kellertreppe verletzt hatte, weil sie auf einer Treppenstufe ausgerutscht war. Diesen Unfall sah das BSG mit der Begründung, die Beschäftigte habe sich auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden, als versicherten Arbeitsunfall an (BSG, Urteil v. 27. November 2018 – B 2 U 28/17 R).
Kein Versicherungsschutz beim Bringen des Kindes zum Kindergarten in Home-Office-Fällen
Arbeitet der Arbeitnehmer nicht im Home-Office, sondern im Unternehmen des Arbeitgebers, ist in besonderen Fällen nicht nur der unmittelbare Weg zur Arbeitsstätte, sondern auch ein anderer Weg (also ein Umweg) versichert. Dies ist etwa der Fall, wenn der Umweg erforderlich ist, um das Kind zum Kindergarten zu bringen (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Was aber gilt, wenn der Beschäftigte im Home-Office arbeitet, morgens vor Beginn seiner Arbeit sein Kind in die Kita bringt und anschließend auf dem Rückweg nach Hause verunfallt?
In solchen Fällen verweigern die Berufsgenossenschaften bislang die Anerkennung als Arbeitsunfall, weil sie sich auf den Standpunkt stellen, dass der Beschäftigte sich zum Zeitpunkt des Unfalls nicht auf dem Weg zur Arbeitsstätte befunden habe. Denn da sich die Arbeitsstätte zu Hause befinde, habe er die Wohnung nicht verlassen müssen, um seinen Arbeitsort zu erreichen.
Das LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil v. 26. September 2018 – L 16 U 26/16) hat diese Auffassung der Berufsgenossenschaften bestätigt. Da die betroffene Beschäftigte Revision eingelegt hat, wird sich demnächst das BSG mit der Frage befassen müssen (Az.: B 2 U 19/18 R).
Versicherungsschutz beim Tanken von Dienstwagen und bei Dienstfahrten
Die Grundsätze zu der Frage, ob Unfallversicherungsschutz auch besteht, wenn eine Fahrt mit dem Pkw zum Betanken des Fahrzeugs unterbrochen wird, hat jüngst das LSG Thüringen (Urteil v. 19. April 2018 – L 1 U 1165/17) zusammengefasst:
- Handelt es sich um einen Dienstwagen, besteht auf dem Weg zur Arbeit und von dort zurück nach Hause immer Versicherungsschutz, auch wenn die Fahrt zum Betanken unterbrochen wird. Der Grund hierfür ist, dass der Dienstwagen ein Arbeitsmittel ist.
- Fährt der Beschäftigte mit seinem privaten Pkw und handelt es sich nicht um den Weg zur Arbeit oder nach Hause, sondern um eine betrieblich veranlasste Fahrt (Dienstfahrt), besteht für diese auch immer Versicherungsschutz. Denn in diesem Fall gehört das Zurücklegen der Strecke zur geschuldeten Arbeitsleistung.
Bei privatem Pkw Versicherungsschutz nur bei unvorhergesehener Notwendigkeit des Tankens
Schwieriger sind die Fälle, in denen der Beschäftigte mit seinem privaten Pkw auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause tankt:
Im Grundsatz ist der Zweck des Anfahrens der Tankstelle, nämlich das beabsichtigte Tanken, eine eigenwirtschaftliche und damit unversicherte Tätigkeit. Das Auftanken des Fahrzeugs ist eine Vorbereitungshandlung zu der versicherten Tätigkeit des Weges von und zur Arbeit. Deshalb besteht kein Versicherungsschutz, wenn der Beschäftigte an der Tankstelle etwa auf einer Benzinlache ausrutscht oder dort überfallen wird.
Ausnahmsweise ist der Tankvorgang allerdings mitversichert, wenn er untrennbar mit dem versicherten Weg von und zur Arbeit verbunden ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Strecke so lang ist, dass sie mit einer einzigen Tankfüllung nicht bewältigt werden kann. Dies wird künftig bei der zunehmenden Nutzung von Elektroautos womöglich des Öfteren relevant werden
Daneben ist das Betanken mitversichert, wenn sich die Notwendigkeit hierfür erst während der Fahrt herausstellt. Voraussetzung hierfür ist, dass das Erfordernis zum Tanken objektiv und subjektiv unvorhersehbar war. Als Beispiele hierfür nennt das LSG Thüringen (Urteil v. 19. April 2018 – L 1 U 1165/17) einen erhöhten Benzinverbrauch infolge von unerwarteten Verkehrsbehinderungen, Umleitungen, Motorstörungen, einem Defekt der Benzinleitung oder einem erhöhten Nutzen der Heizung oder Klimaanlage, z. B. wegen eines Staus.
Tankt der Arbeitnehmer, obwohl die Tankfüllung für die Fahrt nach Hause noch gereicht hätte, oder war ihm bereits bei Fahrtantritt bewusst, dass der noch vorhandene Kraftstoff nicht ausreichen würde, liegt keine unvorhergesehene Notwendigkeit für das Auftanken vor. Folglich ist ein dann eintretender Unfall, so das LSG Thüringen, nicht versichert. Auch gegen diese Entscheidung ist Revision zum BSG eingelegt worden (Az.: B 2 U 9/18 R). Ob das BSG die Sichtweise des LSG teilt, bleibt abzuwarten.
Unsere Beitragsreihe informiert rund um das Sozialversicherungsrecht für Arbeitgeber. Nach Informationen zur Probearbeit und Unfallversicherung und zur Auslandsentsendung folgen unsere Hinweise zur Gleitzone.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.