2. Juli 2018
Gefährdungshaftung Onlinehandelsplattform
Steuerrecht

JStG 2018 – Neue Gefährdungshaftung für Betreiber von Onlinehandelsplattformen

Der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2018 enthält für die Betreiber und Nutzer von Onlinemarktplätzen umsatzsteuerrechtlich wesentliche Verschärfungen.

In der Presse war dieses und letztes Jahr schon öfters zu lesen, dass insbesondere Onlinehändler aus Fernost einen Preisvorteil dadurch erzielt haben, dass sie in Europa und damit auch in Deutschland die Umsatzbesteuerung umgehen. Der Gesetzgeber zieht nun nach und plant, die Betreiber von elektronischen Handelsplattformen in die Pflicht zu nehmen.

Der Referentenentwurf für das Jahressteuergesetz 2018 schlägt vor, zwei neue Vorschriften in das Umsatzsteuergesetz einzufügen, § 22f und § 25e UStG-E. Insbesondere § 25e UStG-E hat es in sich: Normiert wird hier eine neue Gefährdungshaftung der Betreiber von elektronischen Marktplätzen für die Umsatzsteuerpflichten ihrer Nutzer.

Wer ist Betreiber eines elektronischen Marktplatzes?

Die grundlegende Definition, was ein elektronischer Marktplatz ist und wer ihn betreibt, ist etwas versteckt: Nach § 25e Abs. 5 UStG-E ist ein elektronischer Marktplatz eine Website oder auch jedes andere Instrument, mit dessen Hilfe Informationen über das Internet zur Verfügung gestellt werden, die es einem Dritten, der nicht zugleich Betreiber des Marktplatzes ist, ermöglichen Umsätze auszuführen. In § 25e Abs. 6 UStG-E wird dann definiert, dass Betreiber des elektronischen Marktplatzes derjenige ist, der den elektronischen Marktplatz unterhält und es Dritten ermöglicht, Umsätze auf dem Marktplatz zu tätigen.

Was „jedes andere Instrument″ im Sinne von § 25e Abs. 5 UStG-E ist, erscheint bereits fraglich. Gegebenenfalls erfasst dies nicht nur die geläufigen großen Handelsplattformen, sondern auch schlichte Kommunikationsplattformen bzw. Apps, über die geschäftliche Kontakte unterhalten werden können, z. B. WhatsApp oder Skype. Eine Klarstellung im weiteren Gesetzgebungsverfahren beziehungsweise im Umsatzsteueranwendungserlass wäre hierzu geboten. Klarzustellen wäre, dass der Dritte die Informationen einem unbestimmten Adressatenkreis zur Verfügung stellen sollte. Hierdurch wäre ausgeschlossen, dass ohnehin nicht zu kontrollierende Kommunikationsplattformen auch in den Fokus des Fiskus geraten. Dies würde vermeiden, dass das Gesetz mit dem Geburtsfehler des systemimmanenten Vollstreckungsdefizits auf die Welt kommt.

Die Gefährdungshaftung der Betreiber elektronischer Handelsplattformen

Wesentliche Neuerung ist die Einführung einer Gefährdungshaftung nach § 25e Abs. 1 UStG-E für die Betreiber der elektronischen Marktplätze: Diese haften zunächst einmal grundsätzlich für die nicht entrichtete Umsatzsteuer aus Lieferungen eines Unternehmers, die über den Onlinemarktplatz rechtlich begründet wurden. Nach der Gesetzesbegründung sei der Betreiber einer elektronischen Handelsplattform – als Anbieter eines modernen Mediums – für die Umsatzsteuer der durch die Handelsplattform begründeten Aktivitäten in Haftung zu nehmen. Dies liege im Interesse der Allgemeinheit und sei zur Sicherstellung der Umsatzbesteuerung erforderlich.

Die Gefährdungshaftung wird nach § 25e Abs. 2 UStG-E dann ausgeschlossen, wenn der Betreiber keine Kenntnis davon hatte oder nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns keine Kenntnis davon hätte haben müssen, dass der liefernde Marktteilnehmer seinen steuerlichen Verpflichtungen in Deutschland nicht in vollem Umfang nachkommt. Die Nachweispflicht für die Unkenntnis und die Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns obliegt dem Betreiber. Kenntnis wird durch das Finanzamt unterstellt, wenn dem Betreiber keine Bescheinigung nach § 22f Abs. 1 Satz 2 UStG-E (hierzu sogleich) vorliegt.

Der Maßstab des „Kennenmüssens″ ist ein durch den EuGH für die umsatzsteuerliche Betrugshaftung geschaffener unbestimmter Rechtsbegriff. Und hier hat sich in der Praxis gezeigt, dass das Kennenmüssen (welches in diesen Fällen durch die Finanzbehörden nachzuweisen ist) häufig schlicht unterstellt wird. Die Exkulpation für die Betreiber von Onlinemarktplätzen ist damit praktisch vor sehr hohe Anforderungen gestellt – möglicherweise sogar unüberwindbar hohe Anforderungen.

§ 25e Abs. 3 Satz 1 UStG-E schließt die Gefährdungshaftung für den Fall aus, wenn die Registrierung des Nutzers nicht als Unternehmer erfolgt ist und der Betreiber seine Aufzeichnungspflichten nach § 22f Abs. 2 UStG-E erfüllt. Die Erfüllung der Aufzeichnungspflichten ist mithin stets eine wesentliche Voraussetzung für die Exkulpation des Betreibers.

Die Vorschrift wäre insoweit wenig zu beanstanden, wenn nicht in § 25e Abs. 3 Satz 2 UStG-E vor die Exkulpation eine weitere Hürde gestellt worden wäre: Der Betreiber der elektronischen Plattform muss das Handelsverhalten seiner als nicht gewerblich registrierten Nutzer überwachen. Denn wenn aufgrund des Handelsverhaltens des Nutzers, insbesondere nach Art, Menge und Höhe der erzielten Umsätze, davon auszugehen ist, dass der Nutzer ein Unternehmer ist, fällt der Haftungsausschluss nach § 25e Abs. 3 Satz 1 UStG-E weg. Die Onlineplattformen werden damit zur Hilfspolizei der Finanzbehörden und müssen das Handelsverhalten überwachen – sonst droht die finanzielle Inanspruchnahme. Sollte diese Norm im endgültigen Gesetzesentwurf Bestand haben, müsste dringend konkretisiert werden, nach welchen Kriterien die Algorithmen der Plattformbetreiber genau bei den Nutzern fahnden müssen.

Schließlich ist das Finanzamt nach § 25e Abs. 4 UStG berechtigt, den Betreiber darauf hinzuweisen, dass ein Nutzer seine steuerlichen Pflichten nicht erfüllt, soweit andere Maßnahmen keinen unmittelbaren Erfolg versprechen. In diesem Fall haftet der Betreiber grundsätzlich – ab Eingang dieser Mitteilung – für die Umsatzsteuer des Nutzers. Das Finanzamt kann damit faktisch dafür sorgen, dass einem Unternehmer, der seinen Vertrieb über elektronische Handelsplattformen abwickelt, die Geschäftsgrundlage gänzlich entzogen wird. Selbst kurzzeitige Zahlungsrückstände gegenüber den Finanzbehörden könnten damit zu einer kompletten Existenzvernichtung führen, wenn dem Unternehmer seine Vertriebsmöglichkeiten entzogen werden. Ob dies tatsächlich ordnungspolitisch so gewollt ist, sollte im Gesetzgebungsverfahren noch einmal abgewogen werden.

Die neuen Aufzeichnungspflichten nach § 22f UStG-E

Korrespondierend zur Gefährdungshaftung wird der Betreiber des elektronischen Marktplatzes nach § 22f Abs. 1 UStG-E verpflichtet, die Lieferungen eines auf seiner Plattform tätigen Unternehmers, die im Inland enden oder beginnen, aufzuzeichnen. Für jede dieser Lieferungen sind fünf Merkmale aufzuzeichnen:

  1. vollständiger Name und vollständige Anschrift des liefernden Unternehmers;
  2. die Steuernummer des Unternehmers und gegebenenfalls die vorhandene Umsatzsteueridentifikationsnummer;
  3. Beginn- und Enddatum der Gültigkeit der Bescheinigung nach Satz 2 (hierzu sogleich);
  4. den Ort des Beginns der Beförderung beziehungsweise der Versendung sowie den Bestimmungsort und
  5. Zeitpunkt und Höhe des Umsatzes.

Mithin muss der Betreiber der elektronischen Handelsplattform alle notwendigen Informationen aufzeichnen, die für eine korrekte Umsatzsteuerfestsetzung gegen den Nutzer der Handelsplattform notwendig sind.

Für nicht als Unternehmer registrierte Nutzer muss der Plattformbetreiber ebenso Aufzeichnungen führen. Für diese sind nach § 22f Abs. 2 UStG Name, Anschrift, Ort des Beginns der Versendung und der Bestimmungsort sowie die Höhe und der Zeitpunkt des Umsatzes aufzuzeichnen. Zusätzlich muss von privaten Nutzern noch das Geburtsdatum aufgezeichnet werden.

Die Aufzeichnungspflichten stellen einen erheblichen Mehraufwand für die Marktplatzbetreiber dar. Dass sie diesen allerdings nachkommen, ist alleine schon durch die korrespondierende Haftungsvorschrift des § 25e UStG-E sichergestellt. Der finanzielle Aufwand für die Betreiber wird durch die Finanzverwaltung als moderat erachtet. Die Kosten für die Aufzeichnungen durch die Betreiber der Handelsplattformen (es wird von 129 betroffenen Betreibern ausgegangen) wird durch das Bundesfinanzministerium für die einmalige Umstellung mit insgesamt EUR 1,382 Mio. angeben. Der folgende jährliche Aufwand aller Plattformbetreiber für die Aufzeichnungspflicht wird sogar nur mit EUR 98.000,00 veranschlagt. Zu etwaigen Mehreinnahmen durch den neuen Haftungstatbestand werden keine Angaben gemacht. Ob diese Zahlen zutreffend sind, kann durchaus vorsichtig angezweifelt werden.

Die neue steuerliche Bescheinigung für Trader

Nach § 22f Abs. 1 Sätze 2 bis 5 UStG-E müssen Händler, die als Unternehmer auf einer elektronischen Handelsplattform handeln, eine Bescheinigung über ihre steuerliche Erfassung einholen. Händler, die weder Wohnsitz noch Sitz im Inland oder der EU haben, müssen einen Empfangsbevollmächtigten im Inland oder mit Sitz in der EU benennen, um eine solche Bescheinigung zu erlangen.

Die Bescheinigung ist eine zusätzliche Formalie, die allerdings für die Händler keine übermäßige Belastung darstellen sollte. Für alle betroffenen Händler bestand ohnehin schon vorher die Pflicht, sich in Deutschland umsatzsteuerrechtlich zu registrieren, wenn sie im Inland Lieferungen ausführen. Auch mussten sie selbstredend Umsatzsteuererklärungen abgeben. Hierfür wurde – zumindest für Unternehmer aus Drittstaaten – schon vorher ein deutscher Steuerberater benötigt. Dieser kann auch als Empfangsbevollmächtigter für zukünftige Korrespondenz mit dem Finanzamt dienen. Problematisch ist diese Voraussetzung selbstverständlich für die Händler, die ihre steuerrechtlichen Angelegenheiten in der Vergangenheit nicht sauber abgebildet haben. Diese werden ohne Vorlage der Bescheinigung ihre Handelstätigkeit auf den elektronischen Plattformen in Deutschland einstellen müssen. Ob nicht diese Bescheinigung mit einer korrespondierenden Vorlagepflicht bei den Plattformbetreibern zur Vermeidung von Umsatzsteuerbetrug ausreichen würde, sollte im Gesetzgebungsverfahren noch einmal abgewogen werden.

Es ist noch darauf hinzuweisen, dass die Bescheinigungen dem Betreiber der elektronischen Plattform elektronisch übermittelt werden. Der Unternehmer gibt hierfür sein Einverständnis mit Beantragung der Bescheinigung.

Zusammenfassung: Erhebliche Verschärfungen für Betreiber und Nutzer von elektronischen Marktplätzen

Die neuen §§ 22f und 25e UStG-E des Jahressteuergesetzes 2018, in der Fassung des Referentenentwurfs vom 21. Juni 2018, enthalten erhebliche Verschärfungen für die Betreiber elektronischer Marktplätze. Dies ist bereits dem Umstand geschuldet, dass die Betreiber nun aufgrund ihrer Tätigkeit als „Gefährder des Umsatzsteueraufkommens″ in Deutschland eingestuft werden und entsprechend für ihre Nutzer in umsatzsteuerrechtlich in Haftung genommen werden sollen.

Hinzu kommt der erhebliche Mehraufwand für die Betreiber aufgrund der Aufzeichnungspflichten nach § 22f UStG-E. Und als Höhepunkt kommt noch das Outsourcing der Steuerfahndungsarbeit auf die Betreiber hinzu: Diese sollen aus steuerlichen Gründen das Handelsverhalten von privaten Nutzern überwachen. Ansonsten besteht die erhebliche Gefahr, für die Umsatzsteuer dieser Nutzer in Haftung genommen zu werden. Dass damit originäre hoheitliche Aufgaben der Finanzbehörden auf die privaten Betreiber der Handelsplattformen übertragen werden, ist bedenklich.

Für die steuerehrlichen Nutzer wird auch ein zusätzlicher, insgesamt aber vertretbarer, Aufwand geschaffen: Sie müssen die Bescheinigung über die steuerliche Zuverlässigkeit beantragen (die Finanzverwaltung geht von einem Aufwand von zwei Minuten hierfür aus). Ob nicht die Vorlage der Bescheinigung als Voraussetzung für den Handel auf einer Onlineplattform ausreicht, sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren zwingend sorgfältig geprüft werden. In diesem Fall sollte der Betreiber die Vorlage einer Bescheinigung immer dann einfordern müssen, wenn die Umsätze des Nutzers die Grenze eines Kleinunternehmens nach § 19 Abs. 1 UStG übersteigen.

In unserer Blog-Reihe zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 2018 erfahren Sie, welche Rechtsänderungen im Steuerrecht noch in diesem Jahr zu erwarten sind. Zum Auftakt der Reihe wurden die wesentlichen Änderungsvorschläge im Überblick dargestellt. Weitere Beiträge greifen spezifische Themen heraus: So gaben wir vertiefte Einblicke in die neue Gefährdungshaftung für Betreiber von Onlinehandelsplattformen und die Erweiterung des deutschen Besteuerungsrechts bei der Veräußerung von Immobiliengesellschaften. Des Weiteren beleuchteten wir die Änderungen des Investmentsteuergesetzes sowie den Wegfall des Verlustabzugs.

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