29. Juni 2022
LNG-Terminal Vergaberecht
Vergaberecht

Vergaberecht „light“ für LNG-Terminals

Am 1. Juni 2022 ist das LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) in Kraft getreten, mit erheblichen vergaberechtlichen Erleichterungen für den Bau von LNG-Terminals.

Das neue Gesetz soll der Sicherung der nationalen Energieversorgung dienen und eine zügige Einbindung verflüssigten Erdgases (Liquefied Natural Gas – LNG) in das bestehende Fernleitungsnetz ermöglichen. Zu diesem Zweck enthält das Gesetz erhebliche Erleichterungen im Vergaberecht, um Vergabeverfahren betreffend LNG-Terminals zu beschleunigen. 

Weitere Erleichterungen sind im Umwelt- und Planungsrecht für die Errichtung und Inbetriebnahme der Terminals vorgesehen. Die vom Gesetz erfassten Vorhaben werden in der Anlage zum LNGG abschließend aufgeführt. Es handelt sich um die geplanten LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade, Hamburg, Rostock und Lubmin. 

Die vergaberechtlichen Erleichterungen betreffen ausschließlich Vergabeverfahren, die der Realisierung der vorgenannten LNG-Terminals dienen. 

Regelungen zum Ober- und Unterschwellenbereich

Der Anwendungsbereich des Gesetzes erstreckt sich im Wesentlichen auf Vergaben im Oberschwellenbereich, d.h. auf Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge oder Konzessionen, deren geschätzter Netto-Auftragswert den jeweils einschlägigen EU-Schwellenwert erreicht oder überschreitet.

Für öffentliche Aufträge des Bundes im Unterschwellenbereich sind ebenfalls Erleichterungen geregelt. Nach § 9 Abs. 4 LNGG ist – in Abweichung von § 55 Abs. 1 S. 1 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) – vorgesehen, dass dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen keine öffentliche Ausschreibung, keine beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb und kein sonstiger Teilnahmewettbewerb, also auch keine Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb, vorausgehen muss und auch nicht nach einheitlichen Beschaffungsrichtlinien zu verfahren ist. 

Bezüglich des Vergaberechts im Oberschwellenbereich enthält das LNGG insbesondere folgende Abweichungen:

Keine Pflicht zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen

Bei den vom LNGG erfassten Vorhaben besteht entgegen § 97 Abs. 4 GWB keine Pflicht der Auftraggeber, die zu vergebenden Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 LNGG). Der Grundsatz der Losvergabe gilt somit nicht. Eine Gesamtvergabe muss daher auch nicht mit wirtschaftlichen oder technischen Gründen gerechtfertigt werden.

Auftraggeber sind im Anwendungsbereich des LNGG außerdem nicht verpflichtet, Unternehmen, die nicht ihrerseits öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber i.S.d. Vergaberechts sind, im Falle der Betrauung mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe zu verpflichten, den Grundsatz der Losaufteilung bei der Auswahl von Nachunternehmen anzuwenden. Der mit dem Grundsatz der Losaufteilung bezweckte Mittelstandsschutz fällt bei den vom LNGG erfassten Vorhaben daher auch insoweit aus.  

Freibrief für Dringlichkeitsvergaben

Nach dem LNGG besteht zudem eine gesetzliche Vermutung, dass der bereits während der Corona-Pandemie häufig angewandte Ausnahmetatbestand für Dringlichkeitsvergaben, z.B. gem. § 14 Abs. 4 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) oder § 13 Abs. 2 Nr. 4 der Sektorenverordnung (SektVO), vorliegt. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 LNGG wird gesetzlich vermutet, dass die Voraussetzungen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit erfüllt sind. Im Gesetzestext heißt es, dass die jeweiligen Ausnahmetatbestände mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass 

a) die äußerst dringlichen, zwingenden Gründe sowie der Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende Auftraggeber nicht voraussehen konnte, als vorliegend anzusehen sind, 

b) in der Regel die Mindestfristen nicht eingehalten werden können und

c) die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dem Auftraggeber in der Regel nicht zuzurechnen sind.

Das LNGG dreht das nach den allgemeinen Vergabevorschriften bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb damit um. Auftraggeber sind aufgrund dieser Bestimmung zwar nicht davon befreit, im Einzelfall zu prüfen und zu dokumentieren, ob die Voraussetzungen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb erfüllt sind. Die Regelung des LNGG hat aber Auswirkungen auf die Begründungsintensität. Anders als nach den allgemeinen Vergabevorschriften dürfte es insoweit ausreichen, wenn sich Auftraggeber – sofern zutreffend – auf die Feststellung beschränken, dass keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, die gegen die Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb sprechen. 

Sollten die Voraussetzungen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb im Einzelfall ausnahmsweise nicht vorliegen, sind Auftraggeber zudem nicht gehindert, das Vorliegen der Voraussetzungen eines anderen Ausnahmetatbestands zur Begründung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb zu prüfen. Wie die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs klarstellt, werden die sonstigen Ausnahmetatbestände, z.B. gem. § 14 Abs. 4 VgV, nicht vom LNGG verdrängt (vgl. BT-Drs. 20/1742, S. 30). 

Erleichterte Verfahrensanforderungen bei Dringlichkeitsvergaben

Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb setzt auch bei Dringlichkeitsvergaben grds. ein Mindestmaß an Wettbewerb voraus, wie die Rechtsprechung zur Corona-Pandemie betont hat (vgl. etwa OLG Rostock, Beschluss v. 9. Dezember 2020 – 17 Verg 4/20). Nach allgemeinen Grundsätzen sind demnach zumindest drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern (vgl. etwa § 51 Abs. 2 S. 1 VgV). Auch hierzu enthält das LNGG jedoch eine Erleichterung in Fällen äußerster Dringlichkeit. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 9 LNGG kann bei Dringlichkeitsvergaben auch nur ein einziges Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, sofern dieses Unternehmens als einziges in der Lage ist, den Auftrag innerhalb der durch die äußerste Dringlichkeit bedingten technischen und zeitlichen Zwänge zu erfüllen.

Weitere Erleichterungen betreffen den Umgang mit Angeboten. Die Angebote können bei Dringlichkeitsvergaben formlos eingeholt und müssen nicht zwingend elektronisch abgegeben werden. Es gibt zudem keine Mindestfristen für die Angebotsabgabe. Auch eine sehr kurze Frist von wenigen Tagen kann zulässig sein. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfs soll im Extremfall sogar eine Frist von null Tagen zulässig sein (vgl. BT-Drs. 20/1742, S. 30). 

Verzicht auf Informations- und Wartepflichten 

Bei Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit schafft das LNGG außerdem Erleichterungen hinsichtlich der Informations- und Wartepflichten gem. § 134 GWB. Insoweit wird – ergänzend zu § 134 Abs. 3 S. 1 GWB – festgelegt, dass die Informations- und Wartepflicht vor Zuschlagserteilung auch dann nicht gilt, wenn ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gerechtfertigt ist. 

Gleiches gilt, wenn der Bieter, dem der Zuschlag erteilt wird, der einzige Bieter ist und es keine weiteren Bewerber gibt (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 LNGG). Auftraggeber sind in diesen Fällen daher nicht verpflichtet, die Zehn-Tages-Frist nach elektronischer Vorabinformation abzuwarten, bevor sie den Zuschlag erteilen.  

Beschleunigung des Nachprüfungsverfahrens 

Weitere Änderungen betreffen das Nachprüfungsverfahren gem. §§ 155 ff. GWB, das im Oberschwellenbereich den Primärrechtsschutz von Unternehmen sicherstellt. Auch insoweit sieht das LNGG Änderungen zur Beschleunigung vor, insbesondere eine Verkürzung der geltenden Fristen:

  • Die grds. fünfwöchige Entscheidungsfrist der Vergabekammern gem. § 167 Abs. 1 S. 1 GWB wird auf drei Wochen verkürzt. Entgegen § 167 Abs. 1 S. 2 GWB kann die Frist zudem nur einmalig um höchstens zwei Wochen verlängert werden (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 2 LNGG). 
  • Die in § 172 Abs. 1 GWB vorgesehene Notfrist von zwei Wochen zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vergabekammer vor dem zuständigen Oberlandesgericht wird auf eine Woche verkürzt (§ 9 Abs. 3 Nr. 2 LNGG).
  • Für das Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht wird zudem eine Entscheidungsfrist festgelegt, die nur fünf Wochen beträgt (§ 9 Abs. 3 Nr. 7 LNGG). Eine Verlängerung ist um höchstens zwei Wochen und nur bei tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten möglich. Die Oberlandesgerichte sind dabei verpflichtet, in der Sache selbst zu entscheiden, und dürfen entgegen § 178 S. 2 GWB nicht an die Vergabekammer zurückverweisen. 
  • Die aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer entfällt bereits eine Woche nach Ablauf der Beschwerdefrist und kann nur um bis zu sechs Wochen verlängert werden (§ 9 Abs. 3 Nr. 3 LNGG). Wenn das Oberlandesgericht über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung entscheidet, muss es zudem den Gesetzeszweck gem. § 1 LNGG (Sicherung der nationalen Energieversorgung) und das besondere Interesse gem. § 3 LNGG (besondere Dringlichkeit der geplanten Vorhaben zur Sicherung der Gasversorgung Deutschlands) als „in der Regel überwiegend“ berücksichtigen. Eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung dürfte daher grds. ausscheiden.
  • Nach dem LNGG ist zudem eine sog. De-facto-Vergabe schwerer angreifbar. Wird eine Vergabe von einem Unternehmen im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens mit der Begründung beanstandet, dass der Auftraggeber gegen die Informations- und Wartepflicht gem. § 134 GWB verstoßen oder den Auftrag ohne vorherige Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergeben habe, dürfen die Nachprüfungsinstanzen die Unwirksamkeit des Vertrags entgegen § 135 Abs. 1 GWB nicht feststellen, wenn nach Prüfung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks sowie des besonderen Interesses nach § 3 LNGG zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es rechtfertigen, die Wirkung des Vertrags zu erhalten. Das besondere Interesse rechtfertigt es demnach i.d.R., die Wirkung des Vertrags zu erhalten. Selbst wenn ein Vertrag vergaberechtswidrig abgeschlossen und der Nachprüfungsantrag rechtzeitig gestellt wird, kann es demnach bei dem abgeschlossenen rechtswidrigen Vertrag bleiben (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 4 LNGG). Betroffene Unternehmen sind in diesem Fall auf Schadensersatzansprüche verwiesen. 
  • Wird ausnahmsweise doch die Unwirksamkeit des Vertrags festgestellt, beschränkt sich die Unwirksamkeitsfolge nur auf die Verpflichtungen, die noch zu erfüllen sind (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 LNGG). Anders als nach § 135 Abs. 1 GWB wirkt die Unwirksamkeit also nicht von Anfang an (ex tunc), sondern nur für die Zukunft (ex nunc). Die Nachprüfungsinstanzen haben in diesem Fall allerdings sog. alternative Sanktionen zu erlassen, wie die Verhängung einer Geldsanktion gegen den Auftraggeber oder die Verkürzung der Laufzeit des Vertrages. Eine Geldsanktion darf dabei höchstens 15 % des Auftragswertes betragen (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 6 LNGG).

Befristete Geltung und Ausblick

Die Laufzeit des LNGG ist allerdings begrenzt. Die Erleichterungen im Vergaberecht gem. § 9 LNGG treten mit Ablauf des 30. Juni 2025 außer Kraft. Seine Wirkung dürfte das LNGG bis dahin aufgrund der erheblichen Erleichterungen jedenfalls in Bezug auf Vergabeverfahren nicht verfehlen.

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