14. August 2020
Zeitarbeitnehmer Streikbrecher
Arbeitsrecht

BVerfG: Verbot des Einsatzes von Zeitarbeitnehmern während eines Arbeitskampfes ist verfassungskonform!

Seit 2017 dürfen Zeitarbeitnehmer nicht mehr als Streikbrecher eingesetzt werden. Das BVerfG hat jüngst die Verfassungskonformität der gesetzlichen Bestimmung bestätigt.

Bereits seit dem Jahr 1972 ist in § 11 Abs. 5 AÜG geregelt, dass ein Zeitarbeitnehmer* bei einem Arbeitskampf im Betrieb des Kunden nicht „gezwungen″ werden konnte, dort tätig zu werden. Er konnte sich insoweit auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen.

Im Rahmen der AÜG-Reform 2017 hat der Gesetzgeber diese Regelung verschärft: neben dem Leistungsverweigerungsrecht wird verboten, Zeitarbeitnehmer auf bestreikten Arbeitsplätzen einzusetzen, wenn der Kundenbetrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist. Gesetzlich untersagt ist folglich Einsatz von Zeitarbeitnehmern als Streikbrecher – und zwar unabhängig davon, ob diese zu Beginn des Arbeitskampfes bei dem Kunden schon im Einsatz waren. Ein Verstoß gegen dieses Verbot kann für den Kunden (nicht hingegen für den Personaldienstleister) mit einem Bußgeld von bis zu EUR 500.000,00 geahndet und damit teuer werden (§ 16 Abs. 1 Nr. 8a, Abs. 2 AÜG).

Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und entschieden, dass die gesetzliche Regelung verfassungskonform ist.

Unternehmen setzte auf streikbetroffenen Arbeitsplätzen Zeitarbeitskräfte ein

Ausgangspunkt für die Entscheidung war ein Arbeitskampf bei einer (nicht tarifgebundenen) Betreiberin von Kinos. Im Jahr 2012 schlossen diese und weitere Unternehmen der Gruppe erstmals Mantel- und Entgeltfirmentarifverträge ab, die von ver.di zum Ende des Jahres 2016 gekündigt wurden. Der im Januar 2017 geschlossene Entgelttarifvertrag wurde durch die Gewerkschaft fristgemäß zum 28 Februar 2019 beendet.

Während der Arbeitskämpfe in den Jahren 2012 und 2017 setzte das Unternehmen auf den streikbetroffenen Arbeitsplätzen Zeitarbeitskräfte ein, das sich nun mit einer beim BVerfG eingelegten Verfassungsbeschwerde gegen das Einsatzverbot gem. § 11 Abs. 5 AÜG richtete – mit der Begründung, dieses schränke die Arbeitgeberin insbesondere in der Wahl der Mittel eines Arbeitskampfes ein und verletze dadurch deren Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG.

Mit dem gleichsam begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung war die Kinobetreiberin im Jahr 2019 bereits in Karlsruhe gescheitert – allerdings erst auf Ebene der Folgenabwägung (BVerfG v. 29. Februar 2019 – 1 BvR 842/17). Das Gericht attestierte der Antragstellerin zumindest, dass die Verfassungsbeschwerde, soweit sie das sog. „Streikbrecherverbot″ in § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG betreffe, weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet sei, so dass die nun vorliegende Hauptsachentscheidung mit Spannung erwartet wurde (Beschl. v. 19. Juni 2020 – 1 BvR 842/17).

BVerfG: Einsatzverbot von Zeitarbeitnehmern als Streikbrecher aus verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht zu beanstanden

Nach der Entscheidung des BVerfG im einstweiligen Rechtsschutz aus dem Jahr 2019 war das Ergebnis offen, ob im Hauptsacheverfahren ein Verfassungsverstoß wegen der Verletzung der grundrechtlichen Positionen der Kinobetreiberin festgestellt werden würde.

Diese Erwartungen oder zumindest Hoffnungen wurden nicht erfüllt. Das BVerfG hat bestätigt, dass das seit dem 1. April 2017 in das AÜG eingefügte Streikbrecherverbot aus verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht zu beanstanden und damit wirksam ist. Selbst wenn sich insbesondere Arbeitgeber ein anderes Ergebnis gewünscht hätten, steht für die Praxis nun zumindest fest, dass auch unter Berücksichtigung der erheblichen grundrechtlichen Beschränkungen, die von § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG zweifelsohne ausgehen, an der Wirksamkeit der Vorschrift nicht zu rütteln ist. Diese ist folglich uneingeschränkt zu beachten. Der in der Literatur bisher geführte Meinungskampf ist damit zugunsten des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens entschieden worden, die Leitplanken für die (vermeintlich erforderliche) Herstellung der Parität der Tarifvertragsparteien so zu justieren, dass Zeitarbeitnehmer von Kunden nicht im Rahmen von Arbeitskämpfen als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen.

Neben der eigentlichen Frage, ob § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG verfassungskonform ist, konnte das BVerfG andere, bislang ungeklärte, aber gleichsam spannende Fragen offenlassen, nämlich ob die Kinobetreiberin als nicht tarifgebundene Arbeitgeberin überhaupt in den persönlichen Schutzbereich der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG fällt und ob der Einsatz von Zeitarbeitnehmern als Streikbrecher überhaupt als Mittel im Arbeitskampf geschützt wird. Darauf kam es schlichtweg nicht mehr an. Das BVerfG bestätigte die Verfassungsgemäßheit der gesetzlichen Vorschrift, ohne dass die positive Beantwortung der (vorgelagerte) Fragen noch erforderlich gewesen wäre.

Mit der von dem Kinobetreiberin gleichfalls gerügten Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG befasste sich das BVerfG nicht (mehr) vertieft, da – so das Gericht – die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung insoweit weder dargelegt noch ersichtlich sei. Auf eine Verletzung der aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten Rechte der Zeitarbeitnehmer könne sich die Beschwerdeführerin als Arbeitgeberin ohnehin nicht berufen. Auch auf europarechtliche Erwägungen könne es nicht ankommen. Das Streikeinsatzverbot sei ausschließlich am Maßstab des Grundgesetzes zu messen. Fragen des Unionsrechts würden sich von vornherein nicht stellen. Weder seien europäische Grundrechte gerügt noch gehe § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG auf die Zeitarbeitsrichtline 2008/104/EG vom 19. November 2008 zurück. Diese lasse vielmehr im 20. Erwägungsgrund ausdrücklich offen, wie die Mitgliedstaaten die Frage des Einsatzes von Zeitarbeitnehmern bei Arbeitskämpfen regelten.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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