11. Februar 2020
CCGZP Nachforderung Sozialversicherung
Arbeitsrecht

„CGZP II″: Die erste zweitinstanzliche Entscheidung liegt vor!

Die CGZP beschäftigt weiterhin die Gerichte – inzwischen liegt die erste zweitinstanzliche Entscheidung über die Nachforderung von SV-Beiträgen ab dem 1. Januar 2010 vor.

Es ist inzwischen über 9 Jahre her, dass das BAG feststellte, dass die CGZP keine tariffähige Vereinigung darstellt (vgl. Beschluss v. 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10) und dass – daran anknüpfend – die von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam sind (dazu: Bissels, ArbRB 2012, 212 ff.).

Die höchstrichterlichen Entscheidungen wurden – zumindest für die CGZP-Anwender – teuer, führte doch die DRV im Nachgang Prüfungen durch, die oftmals mit einer erheblichen Nachforderung hinsichtlich der auf Grundlage von equal pay berechneten Sozialversicherungsbeiträge endeten. Inzwischen sind die wesentlichen Rechtsfragen in Zusammenhang mit der „sozialversicherungsrechtlichen Abwicklung″ der CGZP geklärt (vgl. BSG, Urteil v. 16. Dezember 2015 – B 12 R 11/14 R; dazu: Bissels, DB 2016, 231; BSG, Urteil v. 18. Januar 2018 – B 12 R 3/16 R; BSG, Urteil v. 4. September 2018 – B 12 R 4/17 R; dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 3/2019 Anm. 6) – dies gilt zumindest für den Prüfzeitraum von Dezember 2005 bis Dezember 2009 (CGZP I).

Den Zeitraum ab Januar 2010 hat die DRV gesondert geprüft, da die CGZP mit einigen christlichen Gewerkschaften und dem AMP neue mehrgliedrige Tarifverträge geschlossen hatte und sich daraus anders gelagerte Rechtsfragen ergaben als für den davor liegenden Zeitraum (CGZP II; sog. CGB-Tarifverträge). Gerichtsentscheidungen dazu sind rar – wohl auch, da sich viele Personaldienstleister nach Abschluss der Prüfung zur CGZP I mit der DRV bzgl. der zweiten Prüfung für den Zeitraum ab 2010 – als Reaktion auf die Entscheidungen des BSG – verglichen haben.

Nun liegt jedoch – soweit bekannt – das erste zweitinstanzliche Urteil dazu vor.

LSG Nordrhein-Westfalen: Bescheid der DRV ist rechtswidrig

Das LSG Nordrhein-Westfalen bestätigt im Grunde, dass die DRV berechtigt gewesen sein soll, Sozialversicherungsbeiträge bei Anwendung der sog. CGB-Tarifverträge ab dem 1. Januar 2010 zu verlangen (Urteil v. 29. Mai 2019 – L 8 R 758/17).

Die DRV hat im Bescheid zunächst eine Nachforderung von über EUR 40.000,00 gegenüber dem klagenden Personaldienstleister festgesetzt; in dem vorliegenden Rechtsstreit, der abgetrennt wurde (Az. des Ausgangsverfahrens: L 8 R 1085/15), ging es ausschließlich um die Nachzahlung für den konkreten Zeitarbeitnehmer* X i.H.v. ca. EUR 1.500,00 für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2013.

Der Bescheid wurde von dem LSG Nordrhein-Westfalen aufgrund der von der DRV vorgenommenen Schätzung im Ergebnis aber als materiell rechtswidrig angesehen und aufgehoben.

Anzahl der zu prüfenden Überlassungen bzw. der überlassenen Arbeitnehmer keine Rechtfertigung für Schätzbescheide

Die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen ist mit Blick auf die „sozialversicherungsrechtliche Abwicklung″ des Wirkens der CGZP ab dem 1. Januar 2010 nach Abschluss der mehrgliedrigen CGB-Tarifverträge wegweisend.

Zunächst bestätigt das Gericht einige wesentliche, schon höchstrichterlich geklärte Punkte, nämlich dass:

  • die CGZP zu keinem Zeitpunkt tariffähig gewesen ist,
  • die von der CGZP geschlossenen Tarifverträge unwirksam sind,
  • bei einer arbeitsvertraglichen Verweisung auf ein mehrgliedriges Tarifwerk eine Kollisionsregelung zur Vermeidung einer AGB-rechtlichen Intransparenz erforderlich ist (gerade bei der Anwendung der CGB-Tarifverträge),
  • auch bei Nachforderungen aufgrund der Anwendung des Gleichstellungsgrundsatzes das Entstehungs- und nicht das Zuflussprinzip gilt,
  • die von dem Personaldienstleister zu führenden Entgeltunterlagen objektiv unrichtig bzw. unvollständig sind, wenn ein Tarifvertrag wegen der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP als nichtig qualifiziert werden muss und die Angaben über die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgeltes vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers fehlen; auf ein Verschulden des Personaldienstleisters kommt es dabei nicht an;
  • die DRV die Grundlage für die geltend gemachten Nachforderungen nicht beliebig über einen Summenbescheid nach Maßgabe einer Schätzung festsetzen kann.

Vertieft setzt sich das LSG Nordrhein-Westfalen mit dem von dem Personaldienstleister geltend gemachten Vertrauensschutz auseinander, der mit Blick auf die Tariffähigkeit der CGZP bereits vom BVerfG, vom BAG und vom BSG nicht anerkannt wurde (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25. April 2015 – 1 BvR 2314/12; BAG, Urteil v. 13. März 2013 – 5 AZR 954/11; BSG, Urteil v. 16. Dezember 2015 – B 12 R 11/14 R; dazu: Bissels, BB 2016, 249 f.).

Die Klägerin berief sich in dem vorliegenden Verfahren auf einen solchen hinsichtlich der vom BAG erst im Jahr 2013 und damit im Nachgang zu dem im Jahr 2010 abgeschlossenen Änderungsvertrag entwickelten Anforderungen an die AGB-rechtliche Ausgestaltung einer (wirksamen) Bezugnahmeklausel auf ein mehrgliedriges Tarifwerk, für die eine Kollisionsregel erforderlich sein soll. Eine einen derartigen Vertrauensschutz vermittelnde verfestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vermochte das LSG Nordrhein-Westfalen mit einer ausführlichen und nachvollziehbaren Begründung jedoch nicht zu erkennen. Vielmehr erkannte es, dass die Entscheidungen des BAG vom 13. März 2013, in denen das Erfordernis einer Kollisionsklausel zur AGB-rechtlich wirksamen Inbezugnahme eines mehrgliedrigen Tarifvertrages (erstmals) verlangt wurde, keine Änderung einer bestehenden, sondern eine Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des BAG darstellen soll.

Trotz der – zumindest aus Sicht des klagenden Personaldienstleisters – zunächst wenig erfreulichen Ausführungen „kippte″ das LSG Nordrhein-Westfalen die Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheides über die von der DRV vorgenommene Schätzung. Zwar sieht das Gesetz vor, dass eine solche bzgl. der Lohnsumme für den Erlass eines Summenbescheides vorgenommen werden kann; ergänzend ist anerkannt, dass eine Schätzung ebenfalls zulässig ist, wenn infolge der Verletzung von Aufzeichnungspflichten eine personenbezogene Zuordnung möglich ist, nicht aber die genaue Bestimmung der Entgelthöhe (vgl. BSG, Urteil v. 16. Dezember 2015 – B 12 R 11/14 R; dazu: Bissels, BB 2016, 249 f.), allerdings nur und soweit die in den gesetzlichen Vorschriften genannten, beschränkenden Voraussetzungen erfüllt sind („nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand″).

Dies ist vorliegend aber nicht der Fall gewesen, da – so dürfte sich die streitbefangene Prüfung abgespielt haben – die DRV ohne jegliche eigene Ermittlungsbemühungen (wohl auch eingedenk der „Arbeitsüberlastung″ durch die aufgrund der Tarifunfähigkeit der CGZP vorgenommenen zahlreichen Sonderprüfungen) direkt eine Schätzung zur Bestimmung der Grundlagen zur Berechnung der Nachforderung vorgenommen hat. Dass dies nicht angängig und damit nicht rechtmäßig ist, bestätigt das LSG Nordrhein-Westfalen in überzeugender Art und Weise. Es betont, dass die schiere Anzahl der zu prüfenden Überlassungen bzw. der überlassenen Arbeitnehmer keine Rechtfertigung darstellt, ohne weitergehende Aufklärungs- und Ermittlungsmaßnahmen direkt einen Schätzbescheid zu erlassen.

Vertrauensschutz dürfte unwahrscheinlich sein

Im Ergebnis dürften die Erfolgsaussichten eines von dem Personaldienstleisters eingelegten Rechtsmittels, mit dem sich dieser gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides über die Nachforderungen der DRV ab dem 1. Januar 2010 (bei Anwendung der CGB-Tarifverträge) wendet (CGZP II), auf Grundlage der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen und unter Berücksichtigung der inzwischen ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung beschränkt sein. Die „klassischen Argumente″ aus den CGZP I-Verfahren, insbesondere Vertrauensschutz in die Tariffähigkeit der CGZP, Geltung des Zuflussprinzips oder die erforderliche Aufhebung eines bestandskräftigen Prüfbescheides für einen (teil-)identischen Prüfzeitraum, dürften aufgrund der vom BAG und vom BSG vertretenen Ansichten als „tot″ bezeichnet werden.

Dass die Rechtsprechung einen Vertrauensschutz mit Blick auf die vom BAG entwickelten Anforderungen an die AGB-rechtliche Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel auf ein mehrgliedriges Tarifwerk (hier: CGB-Tarifverträge) gewährt, dürfte auf Grundlage der Argumentation des LSG Nordrhein-Westfalen ebenfalls als eher unwahrscheinlich bezeichnet werden.

Weitgehend unberücksichtigt wurde aber in den bislang vorliegenden Entscheidungen, dass sich eine Art des Vertrauensschutzes über die Zeitarbeitsrichtlinie 2008/104/EG wegen des Verstoßes gegen das Transparenzgebot bei der Richtlinienumsetzung und die Unternehmerfreiheit nach Art. 16 Grundrechtecharta möglicherweise auch aus europarechtlichen Erwägungen ableiten lässt (dazu: Rieble, BB 2012, 2945 ff.), wie es das BSG andeutete, aber im Ergebnis offenlassen konnte (vgl. Urteil v. 16. Dezember 2015 – B 12 R 11/14 R; dazu: Bissels, BB 2016, 249 f.). In diesem Zusammenhang dürfte eine vertiefende Argumentation zur Begründung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der DRV – zumindest aus Sicht des Personaldienstleisters – durchaus geboten sein.

Eine Verjährung dürfte – anders als bei den CGZP I-Nachforderungen für die Jahre 2005 und 2006 – regelmäßig nicht in Betracht kommen. Damit bleibt als echter „wunder Punkt″ gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides der DRV – wie oftmals auch im Rahmen von CGZP I-Verfahren – die Schätzung der Behörde als Grundlage der Bestimmung der Höhe der Nachforderung. Dass diese fehleranfällig ist, zeigt nicht nur die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen, sondern auch das Urteil des BSG vom 16. Dezember 2015 (Az. B 12 R 11/14 R; dazu: Bissels, BB 2016, 249 f.).

Jedoch ist das Argument der fehlerhaften Schätzung kein „Selbstläufer″. Vielmehr ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen und zu untersuchen, welche Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts die DRV tatsächlich angestellt und ob das Zeitarbeitsunternehmen mitgewirkt hat oder eben auch nicht.

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Fragen des Vertrauensschutzes und die Anforderungen an die Ermittlungen des prüfenden Rentenversicherungsträgers i.S.d. § 28f SGB IV zugelassen; diese ist inzwischen eingelegt worden, so dass sich das BSG über kurz oder lang nochmals mit der „Abwicklung″ der CGZP wird befassen müssen. Der von dem Personaldienstleister erstinstanzlich vor dem SG Detmold gestellte Antrag auf Zulassung der Sprungrevision zum BSG wurde erstinstanzlich noch zurückgewiesen (vgl. Urteil v. 20. Oktober 2015 – S 22 R 564/15).

* Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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