29. August 2018
Einsatz Zeitarbeit
Arbeitsrecht

Der „Einsatzbegriff“ bei Branchenzuschlagstarifverträgen

Klärung durch das BAG: „Einsatz“ ist die Zeit der Überlassung des Zeitarbeitnehmers an den Kundenbetrieb.

Das BAG hat sich Anfang 2017 erstmals mit der Auslegung und Anwendung von Branchenzuschlagstarifverträgen befassen müssen (Urteile v. 22. Februar 2017 – 5 AZR 552/14, 5 AZR 553/14, 5 AZR 554/14, 5 AZR 555/14). Dabei haben die Richter mit einem überraschenden „Paukenschlag“ dafür gesorgt, dass Hilfs-/Nebenbetriebe vom fachlichen Anwendungsbereich des TV BZ ME erfasst werden, wenn diese überwiegend oder ausschließlich für einen Hauptbetrieb der Automobilindustrie tätig sind. Die Erfassung erfolge selbst dann, wenn keine Inhaberidentität der Betreiber von Haupt- und Nebenbetrieb vorliegt. Dies hat die ganz herrschende Ansicht bislang abweichen beurteilt (vgl. dazu: Bissels, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 4; Bissels, jurisPR-ArbR 38/2017 Anm. 4).

Nunmehr liegt eine weitere höchstrichterliche Entscheidung aus Erfurt vor – diesmal zum Begriff des „Einsatzes“, der bei den Branchenzuschlagstarifverträgen zur Bestimmung der Höhe des Zuschlags entscheidend ist, und zu dessen Unterbrechung (Urt. v. 21. März 2018 – 5 AZR 862/16). Aus den Ausführungen des BAG dürften darüber hinaus gehend Ableitungen zu ziehen sein, wie der „Einsatz“ mit Blick auf die Fristen zur Bestimmung der Überlassungshöchstdauer und zu der Einschlägigkeit des gesetzlichen equal pay-Anspruchs und entsprechende Unterbrechungen nach der seit dem 1. April 2018 geltenden Rechtslage zu definieren sind.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Parteien streiten über die Höhe des Branchenzuschlags nach dem Tarifvertrag über Branchenzuschläge für Überlassungen von gewerblichen Arbeitnehmern in der Druckindustrie (nachfolgend: „TV BZ Druck“) vom 21. Februar 2013.

Die Klägerin ist seit November 2011 bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Zeitarbeitnehmerin beschäftigt. Ihre monatliche Arbeitszeit beträgt 80 Stunden. Die Klägerin ist nicht freigestelltes Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats.

Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der TV BZ Druck Anwendung. Vom 16. September 2014 bis zum 31. Mai 2015 wurde die Klägerin von der Beklagten – bis auf einen Einsatz bei der X-GmbH am 22. Februar 2015 – ausschließlich der Y-GmbH & Co. KG (nachfolgend auch: „Kunde“) überlassen. Für die in den Monaten März bis Mai 2015 im Betrieb des Kunden geleisteten Arbeitsstunden zahlte die Beklagte an die Klägerin auf das tarifliche Stundentabellenentgelt einen Branchenzuschlag i.H.v. 8 %.

Die Klägerin meint, ihr stehe ein Branchenzuschlag für die Zeit vom 1. bis zum 15. April 2015 i.H.v. 20 % und vom 16. April bis zum 31. Mai 2015 i.H.v. 35 % zu.

BAG: Branchenzuschlag für Einsatz im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung

Das BAG bejahte – wie schon das LAG Köln (Urt. v. 2. September 2016 – 10 Sa 330/16) – den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines erhöhten Branchenzuschlags.

Nach § 2 Abs. 1 TV BZ Druck erhielten Arbeitnehmer bei Vorliegen der weiteren in § 2 TV BZ Druck genannten Voraussetzungen für die Dauer ihres ununterbrochenen Einsatzes im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung in einen Kundenbetrieb der Druckindustrie einen Branchenzuschlag. Dessen Höhe sei gem. § 2 Abs. 3 TV BZ Druck durch die zurückliegende Einsatzdauer bestimmt. Diese sei in der Rückschau unter Beachtung der Vorgaben in § 2 Abs. 2 S. 1, 2 TV BZ Druck i.V.m. der Protokollnotiz festzustellen. Der Tarifvertrag differenziere dabei zwischen dem ununterbrochenen Einsatz, vorangegangenen Einsatzzeiten und Unterbrechungszeiten und lege fest, unter welchen Voraussetzungen diese auf die Einsatzdauer anzurechnen seien.

„Einsatz“: Zeit der Überlassung des Zeitarbeitnehmers an den Kundenbetrieb

Der Leitsatz des BAG fasst das Ergebnis des Verfahrens kompakt zusammen. Dieser lautet wie folgt:

Als Einsatz i.S.v. § 2 Abs. 2 S. 1 TV BZ Druck ist die Zeitspanne zu verstehen, in welcher der Leiharbeitnehmer an den Kundenbetrieb i.S.d. Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes überlassen wird und nicht die Summe der Tage, an denen er im Kundenbetrieb die Arbeitsleistung erbringt.

Maßgeblich für das Vorliegen eines „Einsatzes“ und dessen Dauer, die wiederum entscheidend für die Höhe des zu gewährenden Branchenzuschlags ist, ist danach die auf Grundlage eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages erfolgende Überlassung des Zeitarbeitnehmers an sich und nicht die tatsächlich von dem Mitarbeiter – möglicherweise nur tageweise in einer Woche – erbrachte Tätigkeit bei dem Kunden.

Unterbrechung nur bei Beendigung oder Abbruch des Einsatzes

Zur Unterbrechung des Einsatzes führt das BAG aus, dass die Überlassung aktiv beendet werden muss, z.B. durch die Befristung des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages oder dessen Kündigung bzw. einvernehmliche Aufhebung. Auch der „Abbruch“ des Einsatzes stellt nach Ansicht des BAG einen entsprechenden Beendigungstatbestand dar. Zwar nennt der 5. Senat in dem Urteil nur einen solchen, der vom Personaldienstleister oder dem Zeitarbeitnehmer vorgenommen wird. Ein Abbruch des Einsatzes kann aber auch vom Kunden ausgehen, indem dieser den Zeitarbeitnehmer bei dem Dienstleister abmeldet. Klargestellt wird ausdrücklich, dass bei einem fehlenden Beendigungstatbestand der Einsatz nicht unterbrochen wird, wenn der Zeitarbeitnehmer tatsächlich seine Arbeit bei dem Kunden nicht leisten kann, z.B. aufgrund einer Krankheit, eines Urlaubs, eines Feiertags oder der Ausschöpfung des vereinbarten vertraglichen Stundenkontingent sowie bei der Ausübung von Betriebsratstätigkeit im Betrieb des Personaldienstleisters oder Schulungen nach Maßgabe von § 37 Abs. 6 BetrVG.

Die Überlassung und damit der für die Bestimmung der Höhe des Branchenzuschlags maßgebliche Einsatz im Kundenbetrieb dauern bei derartigen Sachverhalten an und sind grundsätzlich zugunsten des Zeitarbeitnehmers zu berücksichtigen. Selbst wenn der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag und damit der Einsatz z.B. aufgrund einer Krankheit des Mitarbeiters beendet und/oder dieser abberufen wird, führt die darin zu sehende Unterbrechung nur zu einer „Nullung“ der bisherigen Einsatzdauer, wenn und soweit diese über 3 Monate andauert. Bei einem Folgeeinsatz in dem Kundenbetrieb, der vor Ausschöpfung des Zeitraums von 3 Monate erfolgt, werden die Zeiten aus der „Altüberlassung“ zugunsten des Zeitarbeitnehmers berücksichtigt.

Dabei geht das BAG – wohl zu Recht – davon aus, dass es nicht darauf ankommt, welche Ursache die Unterbrechung hat. Die in § 2 Abs. 2 S. 2 TV BZ Druck genannten Tatbestände (hier: Feier-, Urlaubs- und Arbeits­un­fä­hig­keitstage) sind nicht abschließend zu verstehen, sondern stellen – immer in Verbindung mit einem darüber hinaus gehenden Beendigungstatbestand – lediglich Beispiele für eine mögliche Unterbrechung dar. Darüber hinaus gehend werden Zeiten der Unterbrechung innerhalb des Zeitraumes von 3 Monaten – trotz des Nichteinsatzes des Zeitarbeitnehmers – ausnahmsweise erhöhend auf den Einsatz angerechnet, wenn diese auf einen Feiertag, Urlaub oder eine Krankheit innerhalb der gesetzlichen Entgeltfortzahlungstatbestände zurückzuführen sind. Das BAG legt die Protokollnotiz Nr. 2 insoweit eng aus: die dort genannten Tatbestände sind abschließend, soweit sich aus den von den Tarifvertragsparteien gleichfalls zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften nicht Abweichendes ergibt. Eine solche Ausnahmebestimmung, die trotz der Nichtnennung in der Protokollnotiz Nr. 2 zu einer Anrechnung von Unterbrechungszeiten innerhalb des Zeitraums von 3 Monate führen soll, soll das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG darstellen.

Übertragung der Rechtsprechung auf weitere Branchenzuschlagstarifverträge möglich

Die vom BAG getroffenen Feststellungen zur Bestimmung des „Einsatzes“, dessen Dauer und Unterbrechung dürften auch auf die übrigen Branchenzuschlagstarifverträge (a.F.) übertragbar sein, die – wie der TV BZ Druck – eine entsprechende Systematik aufweisen. Eine andere Beurteilung muss hingegen – zumindest teilweise – im fachlichen Anwendungsbereich des TV BZ KS zu erfolgen, nach dem Zeiten der Unterbrechung an Feier-, Krankheits- und Urlaubstagen innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten die Einsatzdauer nicht erhöhen (vgl. Protokollnotiz Nr. 2 des TV BZ KS). Dies dürfte auch für die nach der AÜG-Reform 2017 geänderten Branchenzuschlagstarifverträge (n.F.) gelten, die nach wie vor an einen „ununterbrochenen Einsatz“ anknüpfen (vgl. nur: § 2 Abs. 2 TV BZ Druck, § 2 Abs. 2 TV BZ ME). Geringfügig angepasst wurde hingegen – als Folge von § 8 Abs. 4 S. 4 AÜG n.F. – die Anrechnung von Voreinsatzzeiten: diese sind bei einem nachfolgenden Einsatz zu berücksichtigen – auch wenn diese über einen anderen Personaldienstleister erbracht worden sind, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als 3 Monate liegen. Allerdings wird die Einsatzdauer in diesem Zeitraum der Unterbrechung – wie bisher – gehemmt (Ausnahme: Anrechnung als Einsatzzeit bei Feier-, Urlaubs- und Krankheitstagen währen der Entgeltfortzahlung, vgl. Protokollnotiz Nr. 3 TV BZ ME, Protokollnotiz Nr. 3 TV BZ Druck).

Auch für die Auslegung der ab dem 1. April 2017 geltenden gesetzlichen Vorschriften könnte die Entscheidung des BAG im Zweifel Bedeutung erlangen: die Ausführungen des 5. Senats mögen herangezogen werden können, um die Einsatzdauer zur Bestimmung der Überlassungshöchstdauer und des gesetzlich zwingenden equal pay-Anspruchs berechnen zu können. Zwar sind die betreffenden Branchenzuschlagstarifverträge und die insoweit maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen (§ 1 Abs. 1b AÜG, § 8 Abs. 4 AÜG) unterschiedlich formuliert, doch knüpft das AÜG ebenfalls an den Begriff des „Einsatzes“ an (§ 1 Abs. 1b S. 2, § 8 Abs. 4 S. 4 AÜG). Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob ein materieller oder ein formaler Einsatzbegriff gilt. Erstgenannter bestimmt die Überlassungsdauer nach den Tagen, an denen der Zeitarbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringt und spart umgekehrt Zeiten der Krankheit und des Urlaubs etc. aus (vgl. Bissels/Falter, ArbR 2017, 4; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 220 f.; BeckOK/Kock, § 1 AÜG Rn. 92). Zweitgenannter setzt – wie das BAG in der vorliegenden Entscheidung – auf den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag auf, der letztlich die Grundlage für den Einsatz des Zeitarbeitnehmers darstellt (vgl. Talkenberg, NZA 2017, 475; in diese Richtung auch: Ziff. 1.2.1 Abs. 2 FW AÜG). Das BAG neigt hier einer materiellen Betrachtung zu, indem dieses in erster Linie auf den Überlassungsvertrag und nicht auf die (möglicherweise nur tageweise) erfolgende tatsächliche Erbringung der Arbeitsleistung des Zeitarbeitnehmers bei dem Kunden abstellt. Eine unreflektierte Übertragung der Entscheidung des BAG auf die Fristen nach dem AÜG verbietet sich allerdings, da der für die Entscheidung des 5. Senat maßgebliche TV BZ Druck anders formuliert ist als die gesetzlichen Vorschriften. Insoweit ist – unter Berücksichtigung von Wortlaut und von Sinn und Zweck – eine abweichende Auslegung von § 1 Abs. 1b S. 2, § 8 Abs. 4 S. 4 AÜG möglich.

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