11. April 2022
Blankokündigung
Arbeitsrecht

Die Zwei-Wochen-Frist als Fallstrick bei außerordentlichen Kündigungen – „Blankokündigung“ als Lösung in Compliance-Sachverhalten

Außerordentliche (fristlose) Kündigungen müssen innerhalb von zwei Wochen erklärt werden. Ein tragfähiger Kündigungsgrund muss zu diesem Zeitpunkt aber (noch) nicht vorliegen.

Außerordentliche (fristlose) Kündigungen müssen nach § 626 Abs. 2 BGBinnerhalb von zwei Wochen erklärt werden. Die Frist beginnt, nachdem der zur Kündigung berechtigte Unternehmensvertreter* Kenntnis von dem der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt erlangt hat. Diese Frist ist schnell abgelaufen, wenn man sich vor Augen führt, dass in dieser Zeit auch der Betriebsrat, der Sprecherausschuss und/oder die Schwerbehindertenvertretung beteiligt werden müssen. Hinzu kommt, dass komplexe Kündigungssachverhalte häufig umfangreiche Ermittlungen erforderlich machen, die die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist aus § 626 Abs. 2 BGB gefährden können.

Das betrifft vor allem Compliance-Sachverhalte, die mit der bevorstehenden Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in Deutschland noch einmal zunehmen und unternehmensinterne Ermittlungen nach sich ziehen werden. Denn der Gesetzgeber hat sich zum Ziel gesetzt, Einrichtungen zu stärken, die dem Schutz von Hinweisgebenden in Unternehmen dienen. Das soll Hinweisgebenden die Sorge nehmen, bei der Anzeige des Verdachts auf eine Pflichtverletzung persönliche Sanktionen zu erfahren. Obwohl der Gesetzgeber die Frist zur Umsetzung der Richtlinie (17. Dezember 2021) längst verpasst hat, ist zu erwarten, dass die Bundesregierung das Vorhaben trotz der aktuellen Geschehnisse spätestens zu Beginn des zweiten Quartals 2022 wieder aufgreifen und zügig vorantreiben wird.

„Ich liebe den Verrat, aber ich hasse den Verräter!“ (Julius Caesar) 

Die Whistleblower-Richtlinie sieht für Unternehmen ab einer bestimmten Größe nicht nur die Einrichtung eines Hinweisgebersystems, sondern auch einen Mindestschutz für Hinweisgebende vor. Ein Hinweisgebersystem ist regelmäßig Bestandteil einer effektiven Compliance-Organisation, denn Beschäftigte können einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung von Compliance-Vorgaben im Unternehmen leisten, wenn sie Missstände rechtzeitig melden. Allerdings werden sie solche Meldungen regelmäßig nur abgeben, wenn sie nicht befürchten müssen, als „Petze“ diffamiert zu werden und trotz des bestehenden Maßregelungsverbots Nachteile im beruflichen Fortkommen zu erfahren. 

Arbeitgeber muss zügig aufklären und schnell handeln

Vielfach enthalten Meldungen eines Hinweisgebenden nur erste Anhaltspunkte. In diesen Fällen erweisen sich weitere Ermittlungen aus der Sicht des Unternehmens zumeist als unerlässlich, um den Sachverhalt abschließend bewerten zu können. 

Decken die arbeitgeberseitigen Ermittlungen Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern oder jedenfalls den Verdacht darauf auf, muss darauf in aller Regel mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen wie einer Abmahnung oder Kündigung reagiert werden. Andernfalls riskiert das Unternehmen den Vorwurf, die Einhaltung von Rechtsvorschriften nicht ausreichend durchzusetzen. Das wiederum kann die Einleitung behördlicher Maßnahmen auslösen, die zu hohen Bußgeldern führen können.

Wiegt die Pflichtverletzung besonders schwer und soll daher eine außerordentliche (fristlose) Kündigung ausgesprochen werden, erweist sich in der Praxis oftmals die in § 626 Abs. 2 BGB geregelte Kündigungserklärungsfrist als besondere Hürde. Danach genügt es nicht, dass ein wichtiger Grund für eine solche Kündigung gegeben ist. Vielmehr muss die Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach dem Zeitpunkt erklärt werden, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Wird die Frist versäumt, ist die Kündigung unwirksam. 

Als Problem erweist sich in der Praxis häufig die Neigung von Arbeitgebern, insbesondere komplexe Sachverhalte vor Ausspruch einer Kündigung vollständig auszuermitteln. Auf diese Weise soll nicht nur vermieden werden, dass Beschäftigten gekündigt wird, bei denen sich der ursprüngliche Verdacht nicht bestätigt. Ziel der Ermittlungen ist auch, weitere Details zu der in Rede stehenden Pflichtverletzung zu erhalten, um eine Kündigung oder Schadensersatzansprüche mit Erfolg durchsetzen zu können. Wenn der Arbeitgeber auf diese Weise von neuen Tatsachen erfährt, die den Kündigungsgrund stützen, ist dies im Zweifel kein Problem. Denn hier beginnt die Frist für die Erklärung der Kündigung im Zweifel erst mit Kenntnis dieser (neuen) Tatsachen. Problematisch wird die Verzögerung allerdings dann, wenn die Ermittlungen keine neuen Kenntnisse zutage fördern. Denn hier wird der Beschäftigte nach einer Kündigung geltend machen, dass dem Unternehmen die Erkenntnisse, die die – im Ergebnis erfolglosen – Nachforschungen ausgelöst haben, bereits mehr als zwei Wochen bekannt sind, so dass jetzt keine außerordentliche Kündigung mehr ausgesprochen werden könne. Das Bestreben, einen Sachverhalt vollständig auszuermitteln, kann sich also als Fallstrick erweisen: Die außerordentliche Kündigung ist allein wegen Ablaufs der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Abs. 2 BGB unwirksam, obwohl eine schwere Pflichtverletzung in Rede steht.

Beginn der Kündigungserklärungsfrist

Wenngleich Maßnahmen des Unternehmens zur Aufklärung des Sachverhalts den Ablauf der Kündigungserklärungsfrist hemmen können, bleibt für die Berechnung der Zwei-Wochen-Frist und damit für den fristgerechten Ausspruch der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung die Kenntnis des Kündigungsberechtigten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen maßgeblich. Kündigungsberechtigt sind dabei nicht nur die Vorstands- oder Geschäftsführungsmitglieder. Vielmehr gehören hierzu regelmäßig auch ein Betriebs- oder Personalleiter, Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte oder Insolvenzverwalter. Nicht zum Kreis der Kündigungsberechtigten gehören in aller Regel Personalsachbearbeiter oder Mitarbeiter einer Compliance-Abteilung.

Ausreichende Kenntnis für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist liegt vor, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob das Arbeitsverhältnis fortgesetzt oder beendet werden soll. Die Kenntnis anderer Personen, die nicht zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen berechtigt sind, ist für die Zwei-Wochen-Frist grds. unbeachtlich. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis von Personen, die selbst keine Kündigung erklären können, zurechnen lassen (so LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 3. November 2021 – 10 Sa 7/21). 

Blanko-Kündigung: Vorsicht ist besser als Nachsicht!

Zur Vermeidung des Ablaufs der Kündigungserklärungsfrist gilt: kündigen! Und das lieber zu früh als zu spät. Dabei hilft, dass das BAG inzwischen klargestellt hat, dass der Arbeitgeber eine außerordentliche (fristlose) Kündigung auch vorsorglich „blanko“, zur Not sogar ohne jeden auch nur ansatzweise tragfähigen Grund erklären kann (BAG-Beschluss v. 12. Januar 2021 – 2 AZN 724/20). Dies könne sogar geboten sein, wenn nur auf diese Weise der Ablauf der Zwei-Wochen-Frist vermieden werden könne. Insofern sei es zulässig, erst im Anschluss an den Kündigungsausspruch weitere Nachforschungen zu betreiben, um Kenntnis von ergänzenden Tatsachen zu erhalten, die es erlauben, die außerordentliche Kündigung im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens zu rechtfertigen. Entsprechendes dürfte dann gelten, wenn die außerordentliche Kündigung des mit einem Mitglied der Geschäftsführung oder des Vorstands bestehenden Dienstvertrags in Rede steht. 

Der Entscheidung des BAG lag die außerordentliche (fristlose) Kündigung eines Chefarztes zugrunde. Das Krankenhaus stützte die Kündigung zunächst auf eine Pflichtverletzung, die den Vertretern des Unternehmens aber – so ergab die prozessuale Auseinandersetzung – zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung schon deutlich länger als zwei Wochen bekannt war. Mit dieser Pflichtverletzung konnte die ausgesprochene Kündigung daher nicht gerechtfertigt werden, denn die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB war zum Zeitpunkt der Kündigung bereits abgelaufen.

Im Kündigungsschutzverfahren schob die Arbeitgeberin sodann weitere Pflichtverletzungen nach, die ihr als Ergebnis ergänzender Nachforschungen erst nach Ausspruch und Zugang der Kündigung bekannt geworden waren, aber zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung bereits vorlagen. 

Zwei-Wochen-Frist steht Nachschieben von Kündigungsgründen nicht entgegen

In überzeugender Weise hat das BAG in diesem Zusammenhang klargestellt, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB einem Nachschieben von Kündigungsgründen, die im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits vorlagen, aber dem Unternehmen nachträglich bekannt wurden, nicht entgegenstehe. Dies gelte selbst dann, wenn kein sachlicher und/oder zeitlicher Zusammenhang zwischen dem ursprünglichen und dem nachgeschobenen Kündigungsgrund bestehe. Relevant sind die Nachforschungen also auch dann, wenn ein völlig neuer Vorwurf erkennbar wird, mit dem dann die bereits ausgesprochene Kündigung gerechtfertigt wird. Zu Recht lehnt das BAG den Vorwurf ab, mit dem Austausch der Kündigungsgründe werde der „Charakter“ der Kündigung verändert. Vielmehr bleibe die Kündigung ein neutrales Gestaltungsrecht, dessen alleiniger Zweck die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei. Daran ändere sich auch bei neuen Kündigungsgründen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar werden, nichts. 

Diese Bewertung durch das BAG hat erhebliche Bedeutung für die Durchführung von Ermittlungen im Zusammenhang mit Compliance-Sachverhalten. Denn daraus folgt, dass die Kündigung im Zweifel schnell ausgesprochen werden muss, wenn das Unternehmen glaubt, dass – ggf. nach späteren Ermittlungen – die bereits bekannten Verdachtsmomente für eine kurzfristige Trennung sprechen. Denn eine nachträgliche Begründung der Kündigung ist nach dieser Rechtsprechung selbst dann möglich, wenn die – fristgerecht ausgesprochene – Kündigung zunächst ohne jeden auch nur ansatzweise tragfähigen Grund als „Blankokündigung“ erklärt worden sei. Zum einen ergebe sich aus § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB, dass die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, nicht ihr „integraler Bestandteil“ seien. Zum anderen folge aus den gesetzlichen Regelungen zur Frist für eine Kündigungsschutzklage, dass sich Arbeitnehmer auch gegen eine offenkundig unwirksame Kündigung rechtzeitig gerichtlich zur Wehr setzen müssten. Daher steht es dem Unternehmen frei, bei Ausspruch der Kündigung auf (1) den Eintritt der Wirksamkeitsfiktion, die mit Versäumnis der Klagefrist gegeben ist, auf (2) den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs oder auch (3) darauf zu hoffen, dass sich noch rechtzeitig im Verlauf des Rechtsstreits ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung „offenbaren“ werde, der im Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigung – vom Unternehmen noch unerkannt – bereits vorgelegen habe. Lediglich dort, wo die Kündigung aus sittenwidrigen Motiven, maßregelnd oder diskriminierend erklärt wird, bleibt sie trotz späterer Nachforschungen unwirksam. 

Wichtig aber: Prüfung erneuter Anhörung des Betriebsrats 

Für die betriebliche Praxis folgt aus dieser Entscheidung die klare Empfehlung, eine Kündigung lieber zu früh als zu spät, ggf. sogar „blanko“, zu erklären. Wichtig ist allerdings, dass der Beschäftigte vor Ausspruch einer Verdachtskündigung die Gelegenheit erhalten muss, zu den zu diesem Zeitpunkt bekannten Tatsachen Stellung zu nehmen. Eine Verdachtskündigung, die ohne vorherige Anhörung des Beschäftigten ausgesprochen wird, ist unwirksam. Zudem ist der Betriebsrat zu den zum Zeitpunkt der Kündigung bekannten Tatsachen, mögen sie belasten oder entlasten, anzuhören und es sind etwaige behördliche Zustimmungserfordernisse zu beachten. Gleiches gilt für den Sprecherausschuss oder eine Schwerbehindertenvertretung.

Werden im Anschluss an den Zugang der Kündigung weitere Tatsachen bekannt, ist eine erneute Anhörung des Beschäftigten zwar grds. entbehrlich, da dieser sich zu den neuen Tatsachen im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens erklären kann. Allerdings ist der Betriebsrat gem. § 102 BetrVG (erneut) anzuhören, bevor die entsprechenden Gründe nachträglich in den Kündigungsschutzprozess eingebracht werden. Das ist ein wichtiges, aber problemlos einzuhaltendes Formerfordernis. Ob und unter welchen Voraussetzungen Kündigungsgründe nachgeschoben werden können, wenn vor Ausspruch der Kündigung behördliche Zustimmungserfordernisse zu beachten waren, ist streitig.

Möglich sogar: „Heilung“ formaler Mängel

Ist zweifelhaft, ob die zunächst ausgesprochene Kündigung an formalen Mängeln scheitern könnte (z.B. fehlerhafte Betriebsratsanhörung, Fehlen einer Originalvollmacht), empfiehlt es sich, die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen nicht nur zur Rechtfertigung der bereits ausgesprochenen Kündigung heranzuziehen. Vielmehr sollte aus Gründen der äußersten Vorsorge im Anschluss an eine erneute Anhörung des Beschäftigten und die Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG in den zeitlichen Schranken des § 626 Abs. 2 BGB eine erneute außerordentliche fristlose Kündigung erklärt werden. Hier geht es dann nicht mehr um eine Blankokündigung, sondern um eine Kündigung, die ganz konkret mit den neuen Gründen gerechtfertigt wird. Scheitert die erste Kündigung an formalen Mängeln, werden die (identischen) Gründe, auf die auch die erneute Kündigung gestützt werden soll, nicht verbraucht und können zur Rechtfertigung der vorsorglichen Kündigung herangezogen werden. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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