13. November 2018
Gefährdungsbeurteilung
Arbeitsrecht Social and Human Rights (ESG)

(Psychische) Belastung am Arbeitsplatz: Handlungspflichten des Arbeitgebers

Was Arbeitgeber zu beachten haben und wie eine ordnungsgemäße Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden kann.

Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet Arbeitgeber, auf Basis einer Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu ermitteln, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten (§ 5 Abs. 1 ArbSchG). Die Mitarbeiterzahl ist hierbei irrelevant. Erfasst sind auch Kleinstbetriebe.

Die Gefährdungsbeurteilung (psychischer) Belastung

Die Gefährdungsbeurteilung möglicher psychischer Belastungen stellt einen Teil des umfassenden Beurteilungsprozesses potentieller Gefahren am Arbeitsplatz dar. Die Gefährdungsbeurteilung umfasst alle mit der Tätigkeit verbundenen Belastungen mit Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit. Der Gesetzgeber hatte 2013 den Aspekt der psychischen Gesundheit ausdrücklich in das ArbSchG aufgenommen, weil bis dahin nur etwa 20% aller Unternehmen das Gefährdungspotential psychischer Belastungen geprüft hatten.

Welche Belastungsfaktoren im Einzelnen zu berücksichtigen sind, ist anhand der konkreten Tätigkeitsanforderungen und Bedingungen der zu beurteilenden Arbeit festzustellen. So sind beispielsweise bei der Gefährdungsbeurteilung der Tätigkeiten eines Rettungshelfers auch Gesundheitsgefährdungen durch emotionale Inanspruchnahme und traumatisierende Ereignisse zu berücksichtigen. Daneben sind freilich auch tätigkeitsübergreifende Faktoren zu berücksichtigen: insbesondere Arbeitsintensität, Arbeitszeit, Handlungsspielräume bei Ausführung der Tätigkeit, soziale Beziehungen (insbesondere zu Vorgesetzten) sowie die Gestaltung der Arbeitsumgebungsbedingungen (z.B. Belastungen durch Lärm).

Der Arbeitgeber ist für die Planung und Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung verantwortlich, muss diese aber nicht selbst durchführen. Er kann zuverlässige und fachkundige Personen hiermit beauftragen (§ 13 Abs. 2 ArbSchG). Die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Betriebsärzte haben den Arbeitgeber bei der Planung und Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung zu beraten und zu unterstützen (vgl. ASiG, DGUV Vorschrift 2).

Handlungsleitfaden für Arbeitgeber zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz

Der Arbeitgeber ist also zur detaillierten Dokumentation des Verfahrens verpflichtet. Hierzu gehören: Beurteilung der Gefährdungen, Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen (einschließlich Terminen und Verantwortlichkeit), Durchführung der Maßnahmen, Überprüfung von deren Wirksamkeit. Im Einzelnen:

1. Festlegung von Tätigkeiten und Bereichen

Im ersten Schritt sind die Tätigkeiten und Bereiche festzulegen, die beurteilt werden sollen. Arbeitsbedingungen, die in Bezug auf die psychische Belastung gleichartig sind, können zunächst zu einer Einheit zusammengefasst und bewertet werden.

2. Ermittlung der (psychischen) Belastung der Arbeit

Im zweiten Schritt sind die Gefahrenquellen der Belastung zu ermitteln. Häufig bietet es sich hierzu an, eine Umfrage zur Gesundheit der Mitarbeiter und der physischen wie psychischen Belastungen durchzuführen. Die Mitarbeiterbefragung ist zwar ein typischerweise gewähltes Mittel, aber nicht zwingend. Alternativ kommen z.B. auch Mitarbeiter-Workshops in Betracht (insbesondere in kleineren Unternehmen) oder die Analyse durch externe Berater bzw. sonstige fachkundige Personen.

3. Durchführung von Einzelanalysen in Gefährdungsbereichen

Haben sich gefährdete Tätigkeitsfelder herauskristallisiert, sollten – soweit erforderlich– weitere arbeitsplatzbezogene bzw. gruppenspezifische Bewertungen durchgeführt werden, aus denen sich dann akute Handlungsbedürfnisse ergeben können.

4. Dokumentation der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung

Die Ergebnisse sind zu dokumentieren. Nur so kann der Arbeitgeber im Streitfall die vorgenommene Gefährdungsbeurteilung nachweisen.

5. Entwicklung von Gegenmaßnahmen

Soweit Maßnahmen zur Vermeidung physischer bzw. psychischer Belastung erforderlich sind, müssen diese definiert bzw. entwickelt und nachvollziehbar begründet werden. Bei der Entwicklung muss sich der Arbeitgeber an den Grundsätzen des § 4 ArbSchG orientieren. Danach ist die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für die physische und psychische Gesundheit vermieden bzw. möglichst gering gehalten wird. Individuell-verhaltensbezogene Schutzmaßnahmen sind dabei gegenüber organisatorisch-strukturellen Maßnahmen nachrangig.

6. Dokumentation und Umsetzung der entwickelten Maßnahmen

Die so entwickelten Maßnahmen sind umzusetzen und deren Umsetzung ist zu dokumentieren, vgl. § 6 Abs. 1 ArbSchG.

7. Wirksamkeitskontrolle der ergriffenen Maßnahmen

Schließlich bedarf es der Überprüfung der umgesetzten Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit. Auch dies ist zu dokumentieren (§ 3, 6 ArbSchG).

Folgen für den Arbeitgeber bei unterlassener Gefährdungsbeurteilung

Nimmt der Arbeitgeber die notwendigen Schritte nicht vor, kann der Betriebsrat über sein Initiativrecht aktiv werden (gemäß §§ 87 I Nr. 7, 89 I 1 BetrVG). Auch einzelne Arbeitnehmer (gemäß § 5 I ArbSchG i.V.m. § 618 BGB) können den Arbeitgeber zum Ergreifen von Maßnahmen veranlassen. Bei Verletzung der Arbeitsschutzpflicht haftet der Arbeitgeber bei einem Schaden gegenüber dem Arbeitnehmer (§ 618 Abs. 3 BGB), soweit nicht die zuständige Berufsgenossenschaft (was regelmäßig der Fall sein dürfte) für den Schaden einsteht, vgl. § 104 SGB VII. Weiter stellt die Nichteinhaltung der Arbeitsschutzvorgaben eine Ordnungswidrigkeit dar, § 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG.

Fazit: Gefährdungsbeurteilung arbeitsspezifischer Belastungen grundlegende Pflicht des Arbeitgebers

Die Gefährdungsbeurteilung arbeitsspezifischer Belastungen ist eine generelle Pflicht des Arbeitsgebers, die unabhängig von der Größe des Unternehmens oder des Betriebs gilt. Die konkrete Durchführung der Gefährdungsbeurteilung richtet sich dabei stets nach den Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens. Der dargestellte Handlungsleitfaden bietet eine Orientierungshilfe, an der sich der einzelne Arbeitgeber orientieren kann.

Besonderheiten aufgrund aktueller Gesetzesregelungen

Besondere Aktualität und Bedeutung erlangt die Gefährdungsbeurteilung aktuell durch Veränderungen des Mutterschutzgesetzes. § 10 MuSchG erlegt den Unternehmen seit Inkrafttreten des neuen MuSchG am 1. Januar 2018 die Pflicht einer generellen Gefährdungsbeurteilung auf. Im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG hat der Arbeitgeber danach für jede Tätigkeit (egal, ob derzeit ein Mann oder eine Frau auf dem konkreten Arbeitsplatz beschäftigt wird) die Gefährdungen zu beurteilen, denen eine schwangere oder stillende Frau ausgesetzt sein kann. Wenn der Arbeitgeber von der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin erfährt, so ist er gehalten, diese Schutzmaßnahmen im Konkreten festzulegen. Außerdem muss er der Mitarbeiterin nach § 10 Abs. 2 S. 2 MuSchG ein Gespräch über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen anbieten. Eine schwangere Frau darf nur dann weiterhin auf ihrem Arbeitsplatz beschäftigt werden, wenn die konkrete Gefährdungsbeurteilung abgeschlossen und Schutzmaßnahmen festgelegt wurden.

Soweit Unternehmen bislang keine schwangerschaftsspezifische Gefährdungsbeurteilung für einen Arbeitsplatz durchgeführt haben, sollten sie dies möglichst bald nachholen – und zwar unabhängig davon, wer auf dem Arbeitsplatz arbeitet. Denn wer am 1. Januar 2019 nicht nachweisen kann, dass die Gefährdungsbeurteilung stattgefunden hat, riskiert ein Bußgeld.

Arbeitet eine schwangere oder stillende Frau auf einem bislang nicht beurteilten Arbeitsplatz, muss die Beurteilung sofort durchgeführt werden, sonst drohen ebenfalls Bußgelder. Anschließend muss der Arbeitsplatz für die werdende oder stillende Mutter so eingerichtet werden, dass keine Gefährdungen für die Gesundheit bestehen. Grundlage dafür sind die Maßnahmen, die in der schwangerschaftsspezifischen Gefährdungsbeurteilung festgelegt wurden. Der Arbeitgeber ist zudem nach § 27 MuSchG verpflichtet, die zuständige Aufsichtsbehörde über eine ihm gemeldete Schwangerschaft zu informieren.

In unserer Serie „Social and Human Rights″ sind wir eingegangen auf das Arbeitsschutzkontrollgesetz und den entsprechenden Gesetzesentwurf sowie auf die Schutzvorschriften in der Fleischwirtschaft. Ebenfalls eingegangen sind wir auf Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette und diesbezügliche Regelungen im Ausland wie der Schweiz. Gleichermaßen ein Thema waren (Psychischen) Belastungen am Arbeitsplatz.

Tags: Arbeitsplatz Belastung Gefährdungsbeurteilung Sustainability