Nach Abschluss der Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD stellen wir Ihnen die möglichen Auswirkungen der Verhandlungen auf das Arbeitsrecht vor.
Am 12.01.2018 haben die GroKo-Sondierungsparteien der CDU/CSU und SPD ihre Sondierungsgespräche erfolgreich abgeschlossen. Die Ergebnisse der Verhandlungen sind in einem 28-seitigen Ergebnispapier festgehalten (hier zum Download). Nachfolgend haben wir die für die Praxis wichtigsten arbeitsrechtlichen Vorhaben der Parteien für Sie aufbereitet.
Anspruch auf befristete Teilzeit
Das Vorhaben, Arbeitnehmern einen Anspruch auf befristete Teilzeittätigkeit zu gewähren, enthielt bereits der Koalitionsvertrag der letzten Legislaturperiode aus dem Jahr 2013. Auf dieser Grundlage hatte das SPD-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter der Leitung von Andrea Nahles im Januar 2017 einen Gesetzentwurf mit Änderungen der §§ 8 (Verringerung der Arbeitszeit) und 9 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) sowie einem neuen § 9a TzBfG (zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit) vorgelegt (Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts, wir berichteten).
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung war im Mai allerdings wegen inhaltlicher Differenzen im Koalitionsausschuss gescheitert (wir berichteten). Das Papier über das Ergebnis der Sondierungen greift die Regelungen des Gesetzentwurfs nun auf und sieht diesbezüglich einige Änderungen vor.
Nach dem Gesetzentwurf kann der Arbeitnehmer die Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit für einen im Voraus bestimmten Zeitraum verlangen, wenn sein Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Anders als im Gesetzentwurf vorgesehen, muss der Arbeitgeber in der Regel insgesamt mehr als 45 Mitarbeiter (im Gesetzentwurf 15 Arbeitnehmer) beschäftigen.
Arbeitgeber mit 45 bis 200 Mitarbeitern müssen pro angefangenen 15 Mitarbeitern lediglich einem Mitarbeiter befristete Teilzeit gewähren. Darüber hinausgehende Anträge können als nicht zumutbar abgelehnt werden (Zumutbarkeitsgrenze). Wie der jeweils Anspruchsberechtigte pro 15 Mitarbeitern ermittelt werden soll, erläutert das Ergebnispapier nicht. Es liegt aber nahe, auf den zeitlichen Eingang der Anträge abzustellen.
Der Arbeitgeber kann den Antrag auch dann ablehnen, wenn er die Dauer von einem Jahr unter- oder von fünf Jahren überschreitet. Nach dem Sondierungsergebnis soll während der befristeten Teilzeittätigkeit weder ein Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit noch auf Verkürzung (§ 8 TzBfG) bestehen. Nach Ablauf der befristeten Teilzeittätigkeit kann der Arbeitnehmer – wie auch bereits im Gesetzentwurf vorgesehen – frühestens nach einem Jahr eine erneute Verringerung der Arbeitszeit beantragen.
Bisher hat der Arbeitnehmer nach § 8 TzBfG lediglich einen Anspruch auf langfristige Verringerung seiner Arbeitszeit, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Ein Rückkehrrecht in die bisherige Arbeitszeit ist nicht vorgesehen. § 9 TzBfG bestimmt lediglich, dass der Arbeitgeber bei der Besetzung eines neuen Arbeitsplatzes, den gleich geeigneten Teilzeit-beschäftigten Arbeitnehmer bevorzugt zu berücksichtigen hat. Besteht jedoch kein freier Arbeitsplatz, kann der Arbeitnehmer keine Aufstockung seiner Arbeitszeit verlangen.
Langzeitarbeitslose: neues Regelungsinstrument im SGB II
Die Sondierungsparteien wollen ferner ein neues Regelungsinstrument im SGB II schaffen, das sie etwas plakativ mit „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“ betiteln. Durch das neue Instrument soll bundesweit der sog. Passiv-Aktiv-Transfer (PAT) ermöglicht werden. Mithilfe dieses Instruments kann das Arbeitslosengeld II, das Langzeitarbeitslosen bislang als Sozialleistung zugutekommt (passive Linderung der Folgen der Arbeitslosigkeit) in einen Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber umgewandelt werden, die bereit sind, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen (aktiver Beitrag zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen).
Sinn und Zweck des Transfers ist die Finanzierung von Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Bislang wird der Passiv-Aktiv-Transfer lediglich in einigen Bundesländern (insbesondere Baden-Württemberg) vereinzelt in Modellprojekten praktiziert. Finanziert werden soll das Instrument durch Aufstockung des Eingliederungstitels um eine Mrd. Euro jährlich.
Auswirkungen auf die Zeitarbeit
Das Ergebnispapier lässt keine Anhaltspunkte erkennen, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) mittelfristig weitere Änderungen erfahren soll (Näheres hier). Vielmehr begnügen sich die Sondierungsparteien mit der Änderung des Datums für die nächste Evaluation des Gesetzes. Danach soll es – anders als in § 20 AÜG vorgesehen – nicht erst 2020, sondern bereits 2019 eine Evaluierung des Gesetzes geben. Dies lässt sich wahrscheinlich dadurch erklären, dass die Parteien die von der Großen Koalition in der letzten Legislaturperiode beschlossene und am 01.04.2017 in Kraft getretene AÜG-Reform bereits einer Prüfung unterziehen wollen.
Eine Evaluierung stellt einen Zusammenhang zwischen Ziel und Zweck der Regelungen des AÜG und den tatsächlich erzielten Wirkungen sowie den damit verbundenen Kosten her. Dabei werden vor allem die positiven und negativen Nebenfolgen, die Akzeptanz (Inanspruchnahme staatlicher Angebote) und die Praktikabilität der Regelungen beleuchtet. Zudem soll die Evaluierung die Einschätzung ermöglichen, ob die entstandenen Kosten in einem angemessenen Verhältnis zu den Ergebnissen stehen.
Anpassung der Lohnnebenkosten
Die Sondierungsparteien wollen in der nächsten Legislaturperiode die Parität von Beiträgen zur Krankenversicherung wiederherstellen. Die Beiträge zur Krankenversicherung werden wieder jeweils hälftig vom Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer gezahlt. Dies war bereits bis zum Jahr 2005 der Fall.
Darüber hinaus soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von aktuell 3,0 auf 2,7 % gesenkt werden.
Berufliche Weiterbildung
Die Parteien wollen Arbeitnehmern das Recht auf Weiterbildungsberatung bei der Bundesagentur für Arbeit garantieren. Zudem soll das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung gestärkt werden. Hier dürften die Parteien die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zur Beteiligung des Betriebsrats bei Maßnahmen der Berufsbildung gemeint haben (§§ 96-98 BetrVG).
Arbeit auf Abruf
Hinsichtlich der in § 12 TzBfG vorgesehenen Möglichkeit der „Arbeit auf Abruf“ wollen die Sondierungsparteien sicherstellen, „dass der Arbeitnehmer ausreichend Planungs- und Einkommenssicherheit in dieser Arbeitsform hat“. Welche Veränderungen diesbezüglich konkret zu erwarten sind, lässt das Ergebnispapier offen.
Gestaltung der Altersvorsorge und Krankenversicherung bei Selbstständigen
Bei Selbstständigen, die nicht bereits anderweitig Altersvorsorge betreiben, wollen die Parteien eine gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht einführen. Als Optionen werden die gesetzliche Rentenversicherung sowie andere geeignete insolvenzsichere Vorsorgearten genannt. Zusätzlich sollen die Mindestkrankenversicherungsbeiträge für kleine Selbstständige reduziert werden.
Aussicht: Votum der Parteigremien entscheidend
Die Einleitung von GroKo-Koalitionsverhandlungen steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung der jeweiligen Parteigremien. Bei der SPD soll ein außerordentlicher Bundesparteitag am 21. Januar in Bonn über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien entscheiden. Es bleibt abzuwarten, wie die darauf folgenden Koalitionsverhandlungen verlaufen werden und ob sich im Hinblick auf das Arbeitsrecht weitere, detailliertere Vorhaben herauskristallisieren lassen.
Bis die Große Koalition nach den Koalitionsverhandlungen die Arbeit aufnimmt, muss der zu erarbeitende Koalitionsvertrag zunächst noch das Votum der Mitglieder der SPD überstehen. Über Neuigkeiten in Bezug auf die für das Arbeitsrecht relevanten Maßnahmen in der aktuellen Legislaturperiode halten wir Sie auf dem Laufenden.
Update: Der außerordentliche Parteitag der SPD in Bonn hat sich mit einer knappen Mehrheit von 54 Prozent für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU ausgesprochen.