Der Gesetzgeber hat coronabedingt das Kurzarbeitergeld für Zeitarbeitsunternehmen geöffnet, jedoch müssen diese im Inland über einen Betrieb verfügen!
Aufgrund der Coronakrise hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Anforderungen an den Bezug von Kurzarbeitergeld abgesenkt und dessen Inanspruchnahme befristet auch für Zeitarbeitsunternehmen ermöglicht (s. § 11a AÜG i.V.m. den einschlägigen Rechtsverordnungen). Davon wurde und wird in der Überlassungsbranche gezwungenermaßen reger Gebrauch gemacht.
Dass Zeitarbeitsunternehmen mit Sitz im europäischen Ausland nicht zwingend Kurzarbeitergeld zu gewähren ist, hat das Bay. LSG in einem Eilverfahren entschieden (Beschluss v. 4. Juni 2020 – L 9 AL 61/20 B ER; Vorinstanz: SG München, Beschluss v. 15. Mai 2020 – S 34 AL 202/20 ER).
Nach einer Pressemitteilung hat das Gericht entschieden, dass Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld eine Niederlassung des antragstellenden Unternehmens in der Bundesrepublik ist. Hierfür seien fiktive Betriebsstätten nicht ausreichend.
Zeitarbeitsunternehmen versuchte, die BA zur Erteilung eines Anerkennungsbescheides wegen eines Arbeitsausfalls zu verpflichten
Die Antragstellerin beschäftigt in Deutschland ca. 350 Flugbegleiter, die als Zeitarbeitnehmer in Fluglinien eines internationalen Luftfahrtkonzerns zum Einsatz kommen. Nachdem die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) die fehlende Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung beanstandet hatte, hat die Antragstellerin betont, in Deutschland keine Niederlassung zu unterhalten.
Bereits im Frühjahr 2019 hatte die Antragstellerin im Rahmen einer Stilllegung und dauerhaften Einschränkung von inländischen Stationierungsstandorten mit ver.di einen Sozialplan beschlossen. Ende März 2020 erstattete die Antragstellerin – nach Inkrafttreten des „Gesetzes zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld“, das die erheblichen Auswirkungen der Coronapandemie abfedern soll – bei der BA in Saarbrücken eine Anzeige über einen Arbeitsausfall. Der beantragte Anerkennungsbescheid wurde abgelehnt, über den Widerspruch der Antragstellerin ist bislang nicht entschieden.
Zudem erstattete sie Ende April 2020 bei der BA in München unter Verwendung derselben Betriebsnummer wie in Saarbrücken erneut eine Anzeige über einen Arbeitsausfall, über die noch nicht entschieden ist.
Mit einem kurz darauf gestellten Antrag auf Eilrechtsschutz beantragte das Zeitarbeitsunternehmen vor dem SG München, die BA zur Erteilung eines Anerkennungsbescheides zu verpflichten. Das Sozialgericht hat den Antrag abgelehnt. Auch die hiergegen erhobene Beschwerde zum Bayer. LSG blieb erfolglos.
Bay. LSG: Kurzarbeitergeld nur bei Niederlassung in Deutschland
Die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld an im Inland befristet beschäftigtes Flugpersonal, das von einem im EU-Ausland ansässigen Zeitarbeitsunternehmen zum Arbeitseinsatz an Flugverkehrsgesellschaften im Inland überlassen werde, seien nicht erfüllt, wenn hierfür im Inland keine gefestigten betrieblichen Strukturen vorhanden seien. Die Anknüpfung der Gewährung von Kurzarbeitergeld an das Vorhandensein eines Betriebs oder einer Betriebsabteilung im Inland verstoße (auch) hinsichtlich eines im EU-Ausland ansässigen Unternehmens weder gegen das Grundgesetz noch gegen europäisches Recht.
Zudem sei in Anbetracht des bereits im Jahr 2019 verabschiedeten Sozialplans fraglich, inwieweit die Arbeitsplätze nicht bereits unabhängig von den Auswirkungen der Coronapandemie bedroht seien. Kurzarbeitergeld diene nach der Zielsetzung des Gesetzgebers der Erhaltung von Arbeitsplätzen und sei nicht vorgesehen für Arbeitsplätze, deren Wegfall bereits geplant ist.
Auch schwerwiegende Folgen für die wirtschaftliche Betätigung eines Unternehmens in Deutschland kein Grund für eine Bewilligung
Die Entscheidung zeigt auf, dass im Ausland ansässige (Zeitarbeits-)Unternehmen ohne hinreichende Betriebsstruktur in Deutschland nicht ohne weiteres Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen können – dies wohl auch zu Recht, knüpft doch § 97 i.V.m. § 95 S. 1 Nr. 2 SGB III ausdrücklich daran an, dass in einem Betrieb bzw. einer Betriebsabteilung mindestens ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. Dass damit nur die Betriebsstätte im Inland gemeint sein kann, dürfte aufgrund des im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich geltenden Territorialitätsprinzips (Ausnahme über die sog. Ausstrahlung gem. § 4 SGB IV) nur folgerichtig sein.
Die Entscheidung ist auch mit Blick auf die möglichen Folgen der Verweigerung von Kurzarbeitergeld interessant, die das Gericht sehr wohl im Blick hatte. Wörtlich heißt es dort:
Der Senat verkennt nicht, dass seine ablehnende Entscheidung schwerwiegende Folgen für die wirtschaftliche Betätigung der Ast in Deutschland und ihre hier beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat, die möglicherweise bis zur Insolvenz der Ast reichen können. […]
Im Übrigen vertritt der Senat die Auffassung, dass aufgrund der offenkundig engen wirtschaftlichen Verflechtungen der Unternehmen der R. Holdings Group und der Tatsache, dass die von der Ast betriebene Arbeitsnehmerüberlassung ausschließlich an zwei Unternehmen aus der R. Holdings Group erfolgt, die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Versagung von Kurzarbeitergeld für die Beschäftigten der Ast durch konzerninterne Maßnahmen innerhalb der nach eigenen Presseveröffentlichungen äußerst solventen – und trotz der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Luftverkehr keine staatliche Hilfen benötigenden – R. Gruppe durchaus abgefedert werden können. So ist einer Online-Veröffentlichung des Luftfahrtmagazins „A. W.″ 2020 zu entnehmen, dass das Unternehmen L. seinen Mitarbeitern in Deutschland zunächst mitgeteilt habe, dass die Mai-Gehälter nicht mehr bezahlt würden. Die Belegschaft habe jedoch am 29.05.2020 ein Schreiben erhalten, in dem die Geschäftsführer der L. den Beschäftigten in Deutschland mitteilen würden, dass die Muttergesellschaft R. die Bezahlung der Gehälter für Mai 2020 übernehme.
Die Entscheidung ist damit letztlich auch die Folge der besonderen Konstellation, die dem konkret gewählten Überlassungsmodell in der Luftfahrtbranche und dessen Abwicklung zu Grunde liegt.