Ist ein Zeitarbeitnehmer nicht einsetzbar, können auf einem Arbeitszeitkonto angesammelte Plusstunden um die entsprechenden Minusstunden gekürzt werden.
Trotz einer höchstrichterlichen Entscheidung (BAG v. 16.04.2014 – 5 AZR 483/12) scheint eine abschließende Klärung in der Praxis noch nicht erreicht zu sein – wie die gegenläufigen instanzgerichtlichen Urteile zeigen. Während das LAG Berlin-Brandenburg davon ausgeht, dass eine Anrechnung nicht zulässig sein soll (Urt. v. 17.12.2014 – 15 Sa 982/14), hat das Hess. LAG jüngst bestätigt, dass eine solche sehr wohl erfolgen kann (Urt. v. 09.06.2015 – 15 Sa 766/14).
Minusstunden, weil Zeitarbeitnehmer nicht ausgelastet wurde
Der Personaldienstleister zahlte dem klagenden Zeitarbeitnehmer monatlich eine verstetigte Bruttovergütung in Höhe von jeweils € 2.031,26 auf Grundlage der arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 162,5 Stunden. In den Monaten März bis Juni 2013 konnte der Personaldienstleister den Zeitarbeitnehmer nicht entsprechend auslasten und stellte – gemessen an der monatlichen Arbeitszeit von 162,5 Stunden – entsprechende Minusstunden in das Arbeitszeitkonto des Klägers ein. Dies führte zu einer Reduktion der dort bereits angesparten Plusstunden.
Anrechnung der Minusstunden auf Arbeitszeitkonto zulässig
Mit überzeugender Begründung bestätigte das Hess. LAG die erstinstanzliche Entscheidung, dass der Zeitarbeitnehmer für die entsprechenden Minusstunden auf seinem Arbeitszeitkonto noch eine (zusätzliche) Vergütung erhält.
Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Verstoß gegen § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG. Danach kann das Recht des Zeitarbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug (§ 615 S. 1 BGB) nicht durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden. Zunächst sichere die arbeitsvertragliche Vereinbarung hinsichtlich der Zahlung der monatlich verstetigten Vergütung in Höhe des jeweils gültigen tariflichen Stundensatzes nebst Zulage multipliziert mit der vertraglich vereinbarten individuellen regelmäßigen durchschnittlichen Arbeitszeit pro Monat von 162,5 Stunden die Erfüllung eines etwaigen Anspruchs des Zeitarbeitnehmers auf Vergütung des Annahmeverzugs.
Zwar habe sich das Zeitarbeitsunternehmen in den Monaten März bis Juni 2013 in einem solchen befunden, weil dieses die angebotene Arbeitsleistung des Mitarbeiters nicht im vertraglich vereinbarten Umfang angenommen habe. Dennoch habe der Zeitarbeitnehmer – wie vereinbart – in jedem Monat unstreitig 162,5 Stunden vergütet erhalten.
Zeitarbeitnehmer muss nur für die vereinbarte monatliche Arbeitszeit vergütet werden – auch wenn ein Arbeitszeitkonto besteht
Auch die vereinbarte Einrichtung eines Arbeitszeitkontos, durch das ein Ausgleich zwischen der monatlichen Abweichung der vereinbarten individuellen regelmäßigen durchschnittlichen zu der tatsächlichen Arbeitszeit geschaffen werde, höben das Recht des Zeitarbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug weder auf, noch beschränkten sie dieses Recht.
Das Hess. LAG verweist insoweit auf die Entscheidung des BAG vom 16. April 2014 (Az. 5 AZR 483/12). Es gebe keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass Arbeit nicht mit bezahlter Freizeit entgolten werden dürfe und stets in der Abrechnungsperiode, in der sie geleistet werde, zu vergüten sei. Sowohl den Arbeits- als auch den Tarifvertragsparteien bleibe es unbenommen, über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunden auf einem Arbeitszeitkonto anzusammeln und in der Folgezeit durch bezahlte Freizeit auszugleichen. Dies komme dem Flexibilisierungsinteresse des Arbeitgebers ebenso wie einem verbreiteten Bedürfnis von Arbeitnehmern nach Freizeitgewährung entgegen.
Gerade dies habe der Personaldienstleister getan, indem dieser Plusstunden aus dem Arbeitszeitkonto des Zeitarbeitnehmers mit Minusstunden aus den Monaten März bis Juni 2013 verrechnet. Unabhängig von der unter 162,5 Stunden zurückbleibenden Menge der geleisteten Arbeitsstunden wurde monatlich eine Vergütung in der vertraglich geschuldeten Höhe gezahlt. Der Personaldienstleister habe dem Zeitarbeitnehmer in den verleihfreien Zeiten bezahlte Freizeit gewährt und damit Arbeit, die dieser zuvor über die vertraglich vereinbarte individuelle regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit hinaus geleistet habe, in einer anderen Abrechnungsperiode entgolten.
Neben Plus- sind auch Minusstunden in das Arbeitszeitkonto einzustellen
Die in Einklang mit der herrschenden Ansicht in der Rechtsprechung stehende Entscheidung des Hess. LAG überzeugt. Wenn dem Zeitarbeitnehmer für die vertraglich vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit ein verstetigtes Entgelt gezahlt wird, können neben Plus- selbstverständlich auch Minusstunden in das Arbeitszeitkonto eingestellt werden. Ein Anspruch des Zeitarbeitnehmers auf eine (weitere) Vergütung der Minusstunden ist begriffsnotwendig ausschlossen, hat der Personaldienstleister die Arbeitsleistung des Zeitarbeitnehmers über Zahlung der verstetigten Vergütung bereits abgegolten.
Ruhe wird in dieser Frage dennoch nicht einkehren. Zwar hat das Hess. LAG die Revision zum BAG nicht zugelassen, dennoch wird sich Erfurt dem Umgang mit Arbeitszeitkonten in der Zeitarbeit nochmals annehmen müssen. Gegen die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 17.12.2014 – 15 Sa 982/14) sind Rechtsmittel eingelegt worden (Az. 5 AZR 109/15) – den 5. Senat wird es sicherlich (nicht) freuen!
Weitere Einzelheiten der Entscheidung des Hess. LAG und die Auswirkungen auf die Praxis entnehmen Sie der kommenden September-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit“, mit dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen zu beziehen, schreiben Sie mir bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com).
Unter dem nachfolgenden Link finden Sie einen Auszug aus dem aktuellen Newsletter: http://www.cms-hs.net/zeitarbeit
Sehr geehrter Herr Dr. Bissels,
vielen Dank für Ihre Online Publizierung samt Kommentierung meines Verfahrens vor dem LAG Hessen.
Ihre Ausführungen sind stringent und formal korrekt – allerdings verschweigen Sie Ihrem Leserkreis etwas entscheidendes:
Das LAG Hessen nickte N I C H T den Abzug von 35 Minusstd. nach meinem Ausscheiden ab – Hierbei wurde ein Verstoß nach § 11, Abs. 4 AÜG festgestellt. Dies dürfte hinsichtlich des § 4.6 des BAP-DGB MTV interessant sein, erlaubt dieser Passus doch explizit den Abzug von höchstens 35 Minusstd. bei Eigenkündigung des Leiharbeitnehmers.
Die „Positiven Signale aus Hessen“ sind damit lediglich nur zu 2/3 positiv für die Branche. Meine Prozessvertretung bewertet das Urteil als „Teilerfolg“.
Ich persönlich fand interessant, dass die Beklagte sehr an einem Vergleich interessiert war – was allerdings an meinem Veto scheiterte.
Lieber R.,
vielen Dank für Ihren Hinweis zur § 4.6 MTV BAP/DGB, der in der Tat nicht Gegenstand des Blogbeitrags war. Dies ist letztlich dem Umstand geschuldet, dass sich der Kern der Entscheidung auf die grundsätzliche Möglichkeit der Anrechnung von Zeiten der Nichteinsetzbarkeit auf Plusstunden im AZK während des laufenden Arbeitsverhältnisses bezog. Die „Abgeltung“ der verbleibenden Plusstunden bei Beendigung war dem Hess. LAG auch nur eine „Randnotiz“ wert, so dass diese auch im Blogbeitrag nicht mehr aufgegriffen wurde – mit einem Verschweigen hat dies jedoch nichts zu tun, sondern mit Priorisierung.
Sehr geehrter Herr Bissels,
selbstverständlich haben Sie einen elementaren Teil weggelassen. Durch das Weglassen an sich entsteht der Eindruck einer Grundsatzentscheidung. Dem ist aber nicht so. Ich hatte die Möglichkeit, mit am Rande der Verhandlung mit dem Richter zu unterhalten. Was versprechen Sie sich mit dieser einseitig und falsch ausgelegten Bereichterstattung in Ihrem Blog? Mandate der Zeitarbeitsbranche? Ich weise Sie darauf hin, dass Sie dem Ruf unserer Zunft schaden, wenn Sie einseitige Darstellungen als objektive Auslegung vermarkten.
RA Thorben Schrötels
(selbst für die Branche auf Arbeitgeberseite tätig)
Sehr geehrter Herr Schrötels,
bei meinem Beitrag handelt es sich um eine Kurzdarstellung der wesentlichen und für die Praxis bedeutsamen Aspekte der Entscheidung für einen Blog und nicht für eine wissenschaftliche Zeitung, die sich nicht mit allen Facetten des Urteils befasst und auch nicht befassen soll. Ich habe mir erlaubt (dieses Ermessen werden Sie mir noch einräumen wollen), den Fokus auf das m.E. wichtige Thema der grundsätzlichen Anrechenbarkeit von Zeiten der Nichteinsetzbarkeit auf Plusstunden gelegt – nicht mehr und nicht weniger. Der von Ihnen beschriebene Aspekt stellt m.E. nur einen unwesentlichen Teil der Entscheidung dar, dessen Besprechung den Rahmen meines Blogbeitrags gesprengt hätte. Insoweit wird der von Ihnen erhobene Vorwurf der „falschen“ oder „einseitigen“ Berichterstattung zurückgewiesen. Gleiches gilt hinsichtlich einer vermeintlichen Schädigung „unserer Zunft“. Ihre Ansicht ist nicht nachvollziehbar und entbehrt jeglicher Grundlage.
Besten Gruß
Alexander Bissels
Sehr geehrter Herr Bissels,
ich muss Herrn Schrötels Recht geben (und das als juristischer Laie) – Ihre Kurzdarstellung ist sehr lang geraten und mit einem einzigen Nebensatz hätten Sie auf den Nichtabzug der 35 Stunden eingehen können – Dies wäre für die Praxis sehr nachvollziehbar und für Ihre LeserInnen durchaus von Wert gewesen.
Zumal Sie auch in Ihrem Info-Brief Zeitarbeit „September“ diese Information ebenfalls wegliessen und dort ist mehr Raum dafür gewesen….
In einem aktuellen Aufsatz bestätigen Preis/Hoff (NZA 2015, 1171), dass auch in der Zeitarbeit der Einsatz von Arbeitszeitkonten zulässig ist, um durch diese Auftragsschwankungen abzufangen, wenn eine verstetigte Vergütung gezahlt wird. Wörtlich heißt es dort überzeugend:
„Bei Leiharbeit kann der Anspruch aus § 615 BGB nach § § 11 Absatz IV AÜG nicht ausgeschlossen werden, nicht einmal durch Tarifvertrag. Daraus wird zum Teil gefolgert, dass Ausfallzeiten wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten bei Entleihern immer zu Lasten des Verleihers gehen und nicht durch übervertragliche Arbeitszeit ausgeglichen werden können. Andererseits sind Arbeitszeitkonten in den Tarifverträgen zur Leiharbeit weithin üblich. Der durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz mit Wirkung zum 1.1.2015 geänderte § 3a Absatz I 1 Hs. 2 AÜG sieht ausdrücklich vor, dass auf Tarifverträgen und Verordnungen beruhende Regelungen zur Lohnuntergrenze die Fälligkeit entsprechender Ansprüche einschließlich hierzu vereinbarter Ausnahmen und deren Voraussetzungen umfassen können. Dies zielt besonders auf Arbeitszeitkonten, die in den zuvor erlassenen Verordnungen über die Lohnuntergrenze in der Leiharbeit schon akzeptiert waren. Der Sinn von Arbeitszeitkonten ist es aber gerade, Minderarbeit flexibel durch Zeiten der Mehrarbeit ausgleichen zu können. Wie passt das zusammen? Einfach durch die von § 11 Absatz IV AÜG vorgeschriebene zwingende Anwendung des § 615 BGB, die, wie vorstehend dargelegt und allgemein anerkannt, nicht die Verrechnung von Plus- und Minusstunden ausschließt, sondern nur die Verpflichtung des Arbeitnehmers zum finanziellen Ausgleich von Minusstunden (dh praktisch zur Rückerstattung des dafür gezahlten verstetigten Entgelts), die am Ende des Ausgleichzeitraumes oder des Arbeitsverhältnisses bestehen blieben.
Dass § 3 a AÜG nur für die Lohnuntergrenze gilt, steht der Verallgemeinerung der Zulässigkeit von Arbeitszeitkonten nicht entgegen. Denn wenn sie bei den Mindestlöhnen zulässig sind, wie ja auch in § 2 MiLoG, müssen sie erst recht bei höheren Entgelten zulässig sein, wenn sie sich an die insoweit bestehenden Vorgaben für die Lohnuntergrenze halten. Ein weitergehender Ausschluss jeder Verrechnung von Plus- mit Minusstunden lässt sich nicht aus dem Gesetz rechtfertigen, sondern allenfalls aus dem Bestreben des Gesetzgebers, Umgehungsversuche zu verhindern. Dass es hier nicht um eine Umgehung des § 615 BGB geht, zeigt sich schon an der gesetzlichen Zulassung von Arbeitszeitkonten, auch bei der Leiharbeit. Die häufig befürchtete Verlagerung des Wirtschaftsrisikos des Verleihers auf den Arbeitnehmer ist grundsätzlich nur beachtlich, wenn sie ungerechtfertigt ist. Wenn der Verleiher für die vereinbarte Arbeitszeit das vereinbarte Entgelt zahlt, kann von einer ungerechtfertigen Verlagerung des Wirtschaftsrisikos keine Rede sein. Zu Recht wird allerdings geltend gemacht, dass eine ungerechtfertigte Verlagerung des Wirtschaftsrisikos vorliegen kann, wenn die vereinbarte Arbeitszeit hinter den zu erwartenden Arbeitszeiten bei den Verleihern zurückbleibt. Auch wird sich hier die Anwendung des § 615 BGB bei am Ende verbleibenden Minusstunden nicht durch eine vertragliche Bandbreite der Arbeitszeitdauer vermeiden lassen.“
Sehr geehrter Herr Dr. Bissels,
Es wurde vor dem hess. LAG die falsche Frage geklärt!
Geklärte Frage: Können Überstunden durch Freizeitgewährung abgegolten werden? Ja, natürlich.
Eigentliche Frage: Wurden die Überstanden tatsächlich in Freizeit abgegolten? Eher nein.
Das hätten die Stundennachweise der besagten Zeit im Nichteisatz, in Verbindung mit eMails aus denen hervorging, dass man sich zur Zeit des Nichteinsatzes telefonisch und terminlich „bereithalten“ solle.
Die überwiegende Mehrheit der Arbeitsgerichtsbarkeit vertritt die Auffassung, dass grundsätzlich eine Verrechnung mit Verleihfreien Zeiten nicht erfolgen darf, so z.B.:
LAG Rheinland-Pfalz vom 24.04.2008 – 10 Sa 19/08 (Rn 52ff) ; LAG Berlin-Brandenburg vom 17.12.2014 – 15 Sa 982/14 (Rn 95); LAG Mecklelenburg-Vorpommern vom 19.02.2015 – 5 Sa 138/14 (Rn 86) sowie das Bundesarbeitsgericht vom 16.04.2015 – 5 AZR 483/12 (Rn 24 Das Arbeitszeitkonto im Leihverhältnis darf allerdings nicht dazu eingesetzt werden, § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG zu umgehen und das vom Verleiher zu tragende Beschäftigungsrisiko auf den Leiharbeitnehmer abzuwälzen. Regelungen, die es dem Verleiher ermöglichen, in verleihfreien Zeiten einseitig das Arbeitszeitkonto abzubauen, sind unwirksam). Und das LAG Hessen kommt ebenso zu diesem Sachverhalt (Rn 51 & 60)
Anderer Meinung das LAG Baden-Württemberg vom 29.04.2009 – 17 Sa – 4/09 (Rn 27) sowie LAG Düsseldorf vom 16.11.2011 – 7 Sa 567/11 (Rn 69).
Beide LAG Urteile sind allerdings nicht rechtskräftig, durch die vor dem Bundesarbeitsgericht geschlossenen Vergleiche (5 AZR 436/09 sowie 5 AZR 5 181/12)
Lieber R.,
für die von Ihnen angestellte Vermutung gibt das Urteil des Hess. LAG nichts her. Es wurde nämlich festgestellt, dass die Überstunden gerade in Freizeit abgegolten worden sind (Rn. 57).
Besten Gruß
Alexander Bissels
Hallo Herr Dr. Bissels,
die Revision zu dem Urteil wurde vor dem BAG zugelassen, wie man dem Interneht entnehmen kann.