In Teil 4 führen wir auf, welche Tarifverträge zur Verlängerung der Überlassungshöchstdauer geschlossen wurden.
Im Vorfeld zum erstmals möglichen Ablauf der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer im September 2018 kam es in Einsatzbranchen, in denen bereits Tarifverträge gem. § 1 Abs. 1b S. 3, 5 AÜG geschlossen worden sind, zu einer gewissen „hektischen Betriebsamkeit“, um diese – insbesondere durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen – zu verlängern.
Die bislang bekannten Tarifverträge und deren wesentlichen Inhalte zur Überlassungshöchstdauer führen wir im Folgenden auf (ohne Anspruch auf Vollständigkeit; ein zentrales öffentliches Register, in dem diese Tarifverträge hinterlegt werden müssen und zugänglich sind, existiert nicht).
Tarifvertrag in der M+E-Industrie
Es besteht ein Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit in der Metall- und Elektroindustrie vom 31. Mai 2017 (TV LeiZ), abgeschlossen zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. (Südwestmetall) und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg, Bezirksleitung Baden-Württemberg.
Es existiert kein bundeseinheitlicher TV LeiZ; vielmehr sind in den einzelnen Tarifbezirken zwischen den zuständigen Arbeitgeberverbänden M+E und der IG Metall jeweils regionale, im Wesentlichen inhaltsgleiche Tarifverträge abgeschlossen worden. Bei tarifgebundenen Entleihern gilt ohne eine konkretisierende Betriebsvereinbarung eine Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten (Ziff. 2.3 Abs. 1 TV LeiZ). Die insoweit abweichende Ansicht, nach der für die Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer im Anwendungsbereich des TV LeiZ stets eine konkretisierende Betriebsvereinbarung verlangt wird (vgl. Bauer, BD 8/2018, 14), vermag nicht zu überzeugen, verweist Ziff. 2.3 Abs. 1 TV LeiZ zur Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten ausdrücklich auch auf die Bestimmung gem. Ziff. 4.1 TV LeiZ zu Betrieben ohne Betriebsvereinbarung, in denen mangels ausdrücklicher Festlegung dann gem. § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG automatisch eine Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten gelten muss. Dagegen spricht auch nicht Ziff. 8.1 Abs. 3 TV LeiZ, der ein Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten vorsieht, wenn zwischen den Betriebsparteien keine Einigung über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung erzielt wird. Diese Bestimmung stellt lediglich eine Ausnahme vom Regelfall der Geltung einer Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten bei Altbetriebsvereinbarungen ohne eine Überlassungshöchstdauer dar, wenn die Verhandlungen der Betriebspartner über eine entsprechende Festlegung nicht erfolgreich beendet werden können.
Wurde keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, ist nach einer Überlassungsdauer von 18 Monaten von dem Entleiher zu prüfen, ob dieser dem Zeitarbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag anbieten kann. Nach 24 Monaten der Überlassung hat der Entleiher dem Zeitarbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag anzubieten. Die verlängerte Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten kann dennoch ausgereizt werden, wenn dem Zeitarbeitnehmer durch den Entleiher ein entsprechendes Übernahmeangebot gemacht wurde, dieses jedoch von dem Mitarbeiter abgelehnt wird. Sollte eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden, können darin eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 48 Monaten sowie weitere Regelungen zum Einsatz von Zeitarbeitern im Betrieb festgelegt werden; die Prüf- bzw. Übernahmepflichten nach 18 bzw. 24 Monaten entfallen, wenn und soweit solche in der Betriebsvereinbarung nicht ausdrücklich vorgesehen sind.
Tarifvertrag im Elektrohandwerk zwischen ZVEH und CGM
Zwischen dem Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) und der CGM wurde ein Tarifvertrag zur Regelung der Zeitarbeit in den Elektrohandwerken vom 16. Mai 2018 abgeschlossen. In allen tarifgebundenen Betrieben des Elektrohandwerks gilt – unter Berücksichtigung des räumlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages – ohne weiteres Zutun eine Überlassungshöchstdauer von 30 Monaten. Der insoweit abweichenden Auffassung, nach der es immer einer entsprechend konkretisierenden Betriebsvereinbarung bedarf (Bauer, BD 8/2018, 16), ist nicht zu folgen. Die Überlassungshöchstdauer beträgt „automatisch“ 30 Monate, ansonsten würde die tariflich vorgesehene Erhöhung auf 36 Monate durch eine „betriebliche Absprache“ keinen Anwendungsbereich mehr haben. Hierunter dürfte auch eine Betriebsvereinbarung fallen, selbst wenn der ZVEH darunter wohl (gesetzlich nicht vorgesehene und damit unwirksame) Abreden zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern* in betriebsratslosen Betrieben zur Erhöhung der Überlassungshöchstdauer verstanden wissen möchte (dazu sogleich).
Die Überlassungshöchstdauer von 30 Monaten kann durch eine Betriebsvereinbarung auf bis zu 36 Monate verlängert werden. Nach Ansicht des ZVEH soll in betriebsratslosen Betrieben eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und den Beschäftigten ausreichend sein, um eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 36 Monaten vorzusehen. U.E. ist diese Möglichkeit gesetzlich nicht vorgesehen und damit vom AÜG nicht gedeckt. Im Zweifel ist in einem solchen Fall von einer Überlassungshöchstdauer von maximal 30 Monaten auszugehen.
Ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit des Tarifvertrages bestehen nicht. Zwar ist die CGM dem „christlichen Lager“ der Gewerkschaften zuzuordnen und nicht im DGB organisiert, ihre Tariffähigkeit ist zuletzt aber im Jahr 2006 ausdrücklich vom BAG bestätigt worden (vgl. BAG, Urteil v. 28. März 2006 – 1 ABR 58/04). Gründe, warum sich an dieser Bewertung etwas geändert haben sollte, sind nicht ersichtlich. Freilich lassen sich gewisse Restrisiken, die sich aus der Anwendung des CGM-Tarifvertrages ergeben, nicht ausschließen– ggf. auch mit Blick auf Zweifel bzgl. der Tarifzuständigkeit der CGM für das Elektrohandwerk. Wäre die CGM nicht tariffähig/-zuständig, wäre der Tarifvertrag unwirksam; es würde die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gelten. Wenn diese bei der Überlassung von Zeitarbeitnehmern überschritten worden ist, wäre zwischen diesen und dem Entleiher ein Arbeitsverhältnis fingert worden. Ob tatsächlich eine Ordnungswidrigkeit verwirklicht worden wäre oder erlaubnisrechtliche Maßnahme eingeleitet werden können, hängt von einem Verschulden ab. U.E. ist es gut vertretbar zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu argumentieren, dass vor dem Hintergrund der Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2006 keine Veranlassung bestand an der Wirksamkeit des o.g. Tarifvertrages berechtigte Zweifel zu hegen. Ein Verschulden würde sodann ausscheiden.
Tarifvertrag zwischen dem Fachverband Elektro- und Informationstechnik Hessen/Rheinland-Pfalz und der IG Metall
Ein weiterer Tarifvertrag über gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung vom 29. Mai 2018 wurde zwischen dem Fachverband Elektro- und Informationstechnik Hessen/Rheinland-Pfalz und der IG Metall, Bezirksleitung Mitte, abgeschlossen. Dieser sieht eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 36 Monaten vor, die durch eine Betriebsvereinbarung geregelt wird.
Der Wortlaut des Tarifvertrages legt zunächst nahe, dass es auch bei einer Tarifbindung des Entleihers in jedem Fall einer Betriebsvereinbarung bedarf, um von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten abweichen zu können. Hiergegen spricht jedoch Ziff. 2 der Protokollnotiz, in der festgestellt wird,
dass es nur in mitbestimmten Betrieben einer Betriebsvereinbarung zwischen den Betriebsparteien zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung bedarf. In nicht mitbestimmten Betrieben bedarf es keiner Vereinbarung.
Diese Regelung kann dafür herangezogen werden, dass eine Verlängerung der Überlassungshöchstdauer auf maximal 36 Monate in Betrieben, in denen ein Betriebsrat existiert, nur möglich ist, wenn eine entsprechende Betriebsvereinbarung hierüber geschlossen wurde. Besteht kein Betriebsrat, gilt automatisch eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 36 Monaten. In § 4 Abs. 3 ist vorgesehen, dass der Entleiher dem Zeitarbeitnehmer spätestens nach 12 Monaten ein Beschäftigungsangebot zu unterbreiten hat. Anders als im TV LeiZ dürfte dies auch gelten, wenn und soweit in dem betreffenden Betrieb eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitnehmerüberlassung abgeschlossen und in dieser eine solche Verpflichtung nicht übernommen worden ist. Die verlängerte Überlassungshöchstdauer kann – wie im Anwendungsbereich des TV LeiZ – dennoch ausgeschöpft werden, wenn dem Zeitarbeitnehmer durch den Entleiher ein entsprechendes Übernahmeangebot unterbreitet worden ist, das dieser abgelehnt hat.
Tarifvertrag in der Stahlindustrie
Es besteht ein Tarifvertrag zur Überlassungshöchstdauer nach dem AÜG vom 22. August 2018, abgeschlossen zwischen dem Arbeitgeberverband Stahl e.V. und der IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, mit einer Überlassungshöchstdauer von bis zu 36 Monaten. Diese gilt allerdings nicht automatisch. Vielmehr bedarf es (auch) beim tarifgebundenen Entleiher der Umsetzung des Tarifvertrages in einer (freiwilligen) Betriebsvereinbarung. Wird eine solche nicht geschlossen oder existiert kein Betriebsrat, gilt die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten.
Tarifvertrag in der Energiebranche
Der Arbeitgeberverband der Elektrizitätswerke Baden-Württemberg e.V. und ver.di haben einen Tarifvertrag zur Dauer von Zeitarbeitnehmereinsätzen in der baden-württembergischen Energiebranche vom 23. Juli 2018 abgeschlossen. Über die gesetzliche Überlassungsdauer hinaus gehende Einsätze von Zeitarbeitnehmern werden durch eine in der Anlage zu dem genannten Tarifvertrag beschriebene Fallgruppe legitimiert; die Betriebspartner können weitere Anlagen zu dem Tarifvertrag entwickeln (im Zweifel durch eine Betriebsvereinbarung), die der schriftlichen Zustimmung der Tarifvertragsparteien bedürfen, so z.B. in der bestehenden Anlage 2 zum „Ausstieg aus kerntechnischer Erzeugung und Rückbau“.
Sonstige Tarifverträge
Dem Vernehmen nach soll inzwischen auch für den Bergbau bzw. die Bahn ein Tarifvertrag zur Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer vereinbart worden sein (bis zu 54 bzw. bis zu 36 Monate). Die schlechte Nachricht: für die chemische Industrie sollen die Verhandlungen über den Abschluss eines Flächentarifvertrages gescheitert sein; hier sind aber bereits zahlreiche Firmen- bzw. unternehmensbezogene Verbandstarifverträge, z.B. bei BASF SE, abgeschlossen worden, die eine Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer zulassen. Die jeweils geltende Höchstfrist sollte grundsätzlich bei dem Entleiher vom Verleiher erfragt und im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag dokumentiert werden.
Nach dem Auftakt und den wesentlichen Grundsätze der Überlassungshöchstdauer sowie Informationen zu Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und Rechtsfolgen bei einem Verstoß ist dies der vierte Teil unserer Reihe aus Praxissicht.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.