23. April 2021
Crowdworker Arbeitnehmer
Arbeitsrecht

Update: Crowdworker als Arbeitnehmer

Das erste Urteil zur Plattformarbeit hat in der Branche für Aufsehen gesorgt. Auch künftig wird der Einsatz von Crowdworkern mit Risiken verbunden sein.

Das BAG hat die Entscheidungsgründe zu seinem Urteil vom 1. Dezember 2020 (Az. 9 AZR 102/20) veröffentlicht. Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass sich pauschale Aussagen zur Bewertung der Arbeitnehmereigenschaft* kaum treffen lassen und wie weit sich moderne Beschäftigungsformen vom klassischen Arbeitsverhältnis entfernen können. 

Schon in der Pressemitteilung klang an, dass in dem Fall der durch ein Levelsystem geschaffene „Anreizeffekt“ zur Auftragsausführung ausschlaggebend dafür war, dass der Crowdworker als Arbeitnehmer eingestuft wurde. Die ausführliche Urteilsbegründung bestätigt diesen Befund, ohne jedoch die altbekannten Abgrenzungskriterien grundlegend zu modifizieren. 

BAG: Crowdworker war aufgrund der konkreten App-Gestaltung fremdbestimmt tätig

Für die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses typische Weisungsgebundenheit reiche es jedenfalls aus, dass durch die Organisationsstruktur geschaffene „tatsächliche Zwänge“ den Crowdworker zu dem vom Plattformbetreiber gewünschten Verhalten veranlassen. Die persönliche Abhängigkeit bestehe dann darin, dass der Crowdworker beispielsweise über eine genutzte App fortlaufend zur Übernahme von Aufträgen motiviert wird. 

Das sah das BAG im konkreten Fall als erwiesen an: Die App des Crowdsourcing-Anbieters habe sich nur dann wirtschaftlich sinnvoll nutzen lassen, wenn die Nutzer fortlaufend immer mehr Aufträge übernehmen und höhere Level erreichen. Durch diese „Gamification“ der App sei es dem Unternehmen möglich gewesen, das Nutzverhalten zu lenken. Die einzelnen Crowdworker seien daher, ebenso wie „typische“ Arbeitnehmer, fremdbestimmt tätig geworden.    

Hinzu komme, dass eine persönliche Abhängigkeit bei einfachen Arbeiten von vornherein näher liege als bei komplexen Tätigkeiten, denn dann seien die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten schon deswegen stark begrenzt. Dass dem klagenden Crowdworker nach Auftragsannahme keine weiteren Vorgaben gemacht wurden, sei insofern angesichts der detaillierten Auftragsbeschreibungen in der App egal. Zudem habe er die Aufträge persönlich ausführen müssen und konnte diese nicht – so aber haben die Vorinstanzen die vertraglichen Regelungen bewertet – an andere Personen delegieren. 

Arbeitnehmerentlohnung muss nicht mit der Vergütung eines Freelancers gleichlaufen und kann auch geringer ausfallen

Der Rechtsstreit ist damit aber noch nicht beendet. Über die genaue Höhe der zu leistenden Nachzahlungen hat nun wieder das LAG München zu entscheiden. Dabei muss es berücksichtigen, dass die für eine selbstständige Tätigkeit vereinbarte Vergütung nicht ohne weiteres auch dann maßgebend ist, wenn sich im Rückblick herausstellt, dass die Parteien (ungewollt) ein Arbeitsverhältnis begründet haben. In aller Regel deckt das Honorar eines freien Mitarbeiters nämlich Risiken ab, die Arbeitnehmer gerade nicht treffen – man denke nur an die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der geschuldete Bruttoarbeitslohn liegt daher regelmäßig unterhalb der ursprünglich vereinbarten Vergütung. Aus diesem Grund kann es im Fall der Scheinselbstständigkeit auch zu der für den Arbeitnehmer ungünstigen Situation kommen, dass er Teile der erhaltenen Vergütung zurückzahlen muss. Insbesondere bei langjährigen Vertragsbeziehungen können hier schnell empfindliche Beträge zusammenkommen. 

Der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass das BAG nicht in jedem Einzelauftrag ein Arbeitsverhältnis erblickt hat, sondern erst in der gesamtem Vertragsbeziehung als solcher. Die Entscheidung bedeutet also nicht, dass jeder Crowdworker immer auch Arbeitnehmer sein muss. Auf Levelsysteme, Fortschrittsbalken, Erfahrungspunkte und Highscores sollten Anbieter aber verzichten, wenn sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, ihre Nutzer indirekt wie eigene Arbeitnehmer zu steuern.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Anreiz Arbeitnehmer Crowdwork Freelancer Plattform