19. September 2022
Verlängerung Überlassungshöchstdauer Tarifvertrag
Arbeitsrecht

Verlängerung der Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag: Klärung durch das BAG – oder der letzte Vorhang im Kammertheater!

Kann die gesetzliche Überlassungshöchstdauer durch Tarifverträge der Einsatzbranche verlängert werden? Das BAG hat diese Frage jüngst bejaht und damit Rechtssicherheit geschaffen.

Die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten kann durch einen Tarifvertrag der Einsatzbranche verlängert oder – was freilich in der Praxis nicht bzw. selten vorkommt – auch verkürzt werden (vgl. § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG). 

Unklar ist dabei die Frage, ob und welche tariflichen Anforderungen zu stellen sind, um eine im Zweifel verlängerte Überlassungshöchstdauer auch zur Anwendung bringen zu können. Fest steht, dass der Kunde tarifgebunden sein muss. Gilt dies aber auch für den überlassenen Zeitarbeitnehmer* und darüber hinaus für den Personaldienstleister? Letztlich rankt sich diese Frage um die Einordnung der tariflichen Bestimmungen als Inhalts- oder als Betriebsnorm. 

Der letzte Vorhang im sog. Kammertheater zur verlängerten Überlassungshöchstdauer!

Diese für die Praxis bedeutsame Frage ist geklärt worden. Das BAG hat am 14. September 2022 über zwei Revisionen entschieden, die gegen zwei Urteile des LAG Baden-Württemberg eingelegt worden sind, in denen zwei Kammern des Gerichts diese unterschiedlich beantwortet haben. Nach Meinung der 21. Kammer soll es sich um eine Betriebsnorm handeln (Urteil v. 18. November 2020 – 21 Sa 12/20; Az. beim BAG: 4 AZR 83/21), nach Ansicht der 4. Kammer soll eine Inhaltsnorm vorliegen (Urteil v. 2. Dezember 2020 – 4 Sa 16/20; Az. beim BAG: 4 AZR 26/21). 

Das BAG hat die insoweit maßgeblichen rechtlichen Aspekte in einem für die Zeitarbeits- und die Einsatzbranche positiven Sinne abschließend geklärt und damit Rechtssicherheit geschaffen; nämlich zu folgendem Fall:

Der klagende Zeitarbeitnehmer ist dem beklagten Kunden ab Mai 2017 für knapp 24 Monate überlassen worden. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. (Südwestmetall). In ihrem Unternehmen galt daher der zwischen Südwestmetall und der IG Metall geschlossene Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit (TV LeiZ). Dieser regelt u.a., dass die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung 48 Monate nicht überschreiten darf. Der Kläger wollte gerichtlich festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten (Entleiherin) aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer kraft Gesetzes (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Der TV LeiZ gelte für ihn mangels Mitgliedschaft in der IG Metall nicht. Zudem sei die dem Tarifvertrag zugrundeliegende Regelung (§ 1 Abs. 1b S. 3 AÜG) verfassungswidrig. 

Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Die Revision des Zeitarbeitnehmers war nicht erfolgreich. 

Gesetzliche Regelungsermächtigung zur Verlängerung der Überlassungshöchstdauer wirksam

Südwestmetall und IG Metall hätten – so das BAG – die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Zeitarbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin, nämlich den überlassenden Personaldienstleister, verlängern können.

Bei § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG handele es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des TVG vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestatte, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Kundenunternehmen, sondern auch für Zeitarbeitsunternehmen und die überlassenen Arbeitnehmer mittels Tarifvertrag zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankomme – insoweit ein „geschickter Kunstgriff“. Das BAG hat die Frage schlichtweg offengelassen, ob eine Betriebs- oder Inhaltsnorm vorliegt, und stattdessen eine neue rechtliche Kategorie aufgrund der Besonderheiten der auf die Arbeitnehmerüberlassung ausgerichteten gesetzlichen Bestimmung begründet, die eine entsprechende Gestaltungsmacht für die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche vorsieht.

Zudem hat das BAG festgestellt, dass die gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG unionsrechts- und verfassungskonform sei. Die vereinbarte Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten halte sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis. 

Das BAG schafft Rechtssicherheit: Eine tariflich festgelegte Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten ist rechtmäßig

Es handelt sich dabei um (endlich einmal sehr erfreuliche!) Urteile mit Augenmaß. Eine abweichende Entscheidung, die insbesondere an das Erfordernis einer übereinstimmenden Tarifgebundenheit des Kunden sowie des Personaldienstleisters und des Zeitarbeitnehmers angeknüpft hätte, hätte dazu geführt, dass die in zahlreichen Branchen inzwischen abgeschlossenen Tarifverträge zur Verlängerung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer de facto leerlaufen würden. Dies hätte allerdings nicht mit der gesetzgeberischen Intention in Einklang gestanden, die Überlassungshöchstdauer durch Tarifverträge der Einsatzbranche – und zwar unabhängig von der Tarifgebundenheit des Zeitarbeitnehmers und seines Arbeitgebers – zu verlängern.

Die Urteile schaffen mit Blick auf die Anwendung von Tarifverträgen der Einsatzbranche, die eine Verlängerung der gesetzlichen Überlassungsdauer vorsehen, Rechtssicherheit – das sog. Kammertheater aus Baden-Württemberg ist durch die klaren und eindeutigen Entscheidungen des BAG endgültig beendet worden; der letzte Vorhang in dem Stück ist gefallen, da der 4. Senat erfreulicherweise direkt feststellte, dass die gesetzlichen Grundlagen zur Verlängerung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer verfassungs- und auch europarechtskonform sind – und zwar ohne den Umweg über das BVerfG und den EuGH. 

Dass eine Vorlage an den EuGH unterblieben ist, ist dabei wenig überraschend, hat das Gericht doch erst kürzlich ausdrücklich entschieden (Urteil v. 17. März 2022 – C-232/20; dazu: Bissels/Münnich/Krülls, ArbR 2022, 247 ff.), dass § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG die europarechtlichen Vorgaben aus der Zeitarbeitsrichtlinie beachtet. Wörtlich heißt es insoweit in dem Urteil des EuGH: 

Die Richtlinie 2008/104 ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Tarifvertragsparteien ermächtigt, auf der Ebene der Branche der entleihenden Unternehmen von der durch eine solche Regelung festgelegten Höchstdauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers abzuweichen.

Dies bedeutet im Ergebnis, dass – in Zusammenschau mit entsprechenden Tarifverträgen – eine wirksame gesetzliche Grundlage vorhanden ist, um den Einsatz eines Zeitarbeitnehmers über die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten verlängern zu können. 

Zudem ist hervorzuheben, dass das BAG gleichzeitig die in dem streitgegenständlichen Tarifvertrag vorgesehene Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten bestätigt. Bislang ist nämlich – auch aufgrund diffuser Vorgaben des EuGH (Urteil v. 17. März 2022 – C-232/20; dazu ausführlich: Bissels/Münnich/Krülls, ArbR 2022, 247 ff.) – nicht klar, welche Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien in diesem Zusammenhang besteht. 

Mit den Urteilen steht zunächst fest, dass zumindest eine tariflich festgelegte Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten rechtmäßig ist. Dies dürfte insbesondere in der M+E-Industrie für Erleichterung sorgen; denn der dort geltende TV LeiZ stand in den Verfahren vor dem BAG in Streit, wurde jetzt aber von Erfurt als wirksam anerkannt. 

Es geht weiter: Die nächste Entscheidung zur Überlassungshöchstdauer steht an

Dennoch wird es in Zusammenhang mit der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und deren Verlängerung durch einen Tarifvertrag der Einsatzbranche nicht langweilig. Vielmehr geht es Schlag auf Schlag weiter: Bereits für den 28. September 2022 hat das LAG Berlin-Brandenburg (Az. 15 Sa 1991/19) eine mündliche Verhandlung terminiert, um darüber zu entscheiden, ob eine Überlassungshöchstdauer, die vor dem 1. April 2017 begann und insgesamt 55 Monate andauerte, noch als vorübergehend anzusehen ist. Dabei handelt es sich um die Fortsetzung des dem EuGH vorgelegten Verfahrens, über das dieser am 17. März 2022 entschieden hat (Az. C-232/20).

Man darf – unter Berücksichtigung der Erwägungen des EuGH und nun auch des BAG – gespannt sein, wie das LAG Berlin-Brandenburg insbesondere die europarechtlichen Vorgaben aus Luxemburg umsetzt. Für die Praxis relevant ist dabei vor allem, ob und wie mit Überlassungszeiten vor dem 1. April 2017 umgegangen wird, die nach der gesetzlichen Übergangsregelung nach § 19 Abs. 2 AÜG bei der Bestimmung der Einsatzzeit nicht zu berücksichtigen sind; der EuGH äußerte Vorbehalte, ob die Vorschrift europarechtskonform ist. Darüber hinaus dürfte interessant werden, ob die Gesamtüberlassungsdauer von 55 Monaten noch als zulässig anzusehen ist oder ob diese im Rahmen einer Missbrauchskontrolle, die der EuGH verlangt, als rechtswidrig zu qualifizieren ist. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht Tarifvertrag Überlassungshöchstdauer Verlängerung