24. Juli 2015
Zeitarbeitnehmer, Arbeitsrecht
Arbeitsrecht

Zeitarbeitnehmer sollen jetzt mitzählen – auch bei Freistellungen!

Zeitarbeitnehmer sollen zukünftig bei der Bildung eines Betriebsrates mitzählen. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu eine Entscheidung getroffen.

Die bei einem Unternehmen eingesetzten Zeitarbeiter sollen bei der Bestimmung der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern wie alle anderen Arbeitnehmer mitgezählt werden.

Das BAG hat nach der Aufgabe der strikten Anwendung der sog. „Zwei-Komponenten-Lehre″ für die Fälle des drittbezogenen Personaleinsatzes entschieden, dass es an dem Grundsatz „Zeitarbeitnehmer wählen, zählen aber nicht″ in dieser Absolutheit nicht mehr festhält. Dies führte in letzter Konsequenz dazu, dass das BAG seine Rechtsprechung, nach der Zeitarbeitnehmer bei der Bestimmung der Größe des Betriebsrates im Kundenbetrieb im Rahmen von § 9 S. 1 BetrVG nicht zu berücksichtigen seien, geändert hat. Bei einer insbesondere am Sinn und Zweck der Schwellenwerte in § 9 BetrVG orientierten Auslegung des Gesetzes seien – so das BAG – die in der Regel beschäftigten Zeitarbeitnehmer zukünftig mitzuzählen (Beschl. v. 13.03.2013 – 7 ABR 69/11). Diese Judikatur führt in der Praxis dazu, dass die Mannstärke von Betriebsräten unter Berücksichtigung der im Kundenbetrieb tätigen Zeitarbeitnehmer weiter erhöht wird.

Zeitarbeitnehmer auch bei Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern mitzählen

Diese Rechtsprechung des BAG hat das LAG Baden-Württemberg nun auch auf die Anzahl der von der beruflichen Tätigkeit in Gänze freizustellenden Mitglieder des Betriebsrates übertragen (Beschl. v. 27.02.2015 – 9 TaBV 8/14). In § 38 BetrVG ist eine Staffelung vorgesehen, nach der in Abhängigkeit zu der im Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer Betriebsratsmitglieder nicht mehr ihrer regulären Arbeit nachkommen müssen, sondern als „hauptamtliche und -berufliche″ Betriebsräte fungieren. Als Arbeitnehmer im Sinne der Vorschrift sollen auch Zeitarbeiter gelten.

Stark zunehmende Anzahl an Zeitarbeitnehmern in Unternehmen

Es sei zwar – so das LAG Baden-Württemberg – unbestritten, dass es zwischen § 9 S. 1 BetrVG und § 38 Abs. 1 BetrVG durchaus Unterschiede gebe. Diese begründeten jedoch nicht, dass bei § 38 Abs. 1 BetrVG Zeitarbeitnehmer mitzuzählen sind oder eben nicht mitzuzählen seien. Das erschließe sich in erster Linie aus dem Zweck des Gesetzes. Es könne zwar sein, dass die letzten Änderungen im AÜG nicht zu einem erhöhten Arbeitsaufwand des Kundenbetriebsrats führten, denn das Gesetz ist in Bezug auf die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellung des Zeitarbeitnehmers unverändert geblieben. Was jedoch zu einem erhöhten Arbeitsaufwand des Betriebsrats beim Kunden führe, sei der Umstand, dass in vielen Unternehmen in erheblich zunehmender Zahl Zeitarbeitnehmer eingesetzt würden. Auch der Betrieb der in dem vorliegenden Verfahren betroffenen Arbeitgeberin zeige, dass die Zahl der Zeitarbeitnehmer am Anteil der Gesamtbelegschaft einen erheblichen Umfang ausmache.

So sei die Anzahl der Zeitarbeitnehmer in den letzten zehn Jahren bundesweit um das Zweieinhalbfache gestiegen (Arbeitsmarktberichterstattung durch die Bundesagentur für Arbeit, Februar 2014). Diese führe auch für den Betriebsrat im Kundenbetrieb zu einer höheren „Arbeitsauslastung″. Dies gelte insbesondere im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 BetrVG, der auch in einem erheblichen Teil vom Betriebsrat des Kundenbetriebes für die dort eingesetzten Zeitarbeitnehmer wahrgenommen werden müsse. Zudem entstehe alleine durch die Fluktuation von Zeitarbeitnehmern für den Betriebsrat ein erhöhter Arbeitsaufwand.

Endgültige Entscheidung offen: Rechtsbeschwerde eingelegt

Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg überrascht im Ergebnis nicht, hat doch die herrschende Ansicht die Rechtsprechung des BAG zur Berücksichtigung von Zeitarbeitnehmern bei der Bestimmung der Schwellenwerte zur Größe des Betriebsrates auch auf die Anzahl der Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern übertragen. Gegen den Beschluss aus Baden-Württemberg ist inzwischen Rechtsbeschwerde zum BAG eingelegt worden (Az. 7 ABR 16/15). Über kurz oder lang wird sich der 7. Senat mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob Zeitarbeitnehmer im Kundenbetrieb auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene zu einer „Mehrbelastung″ des dort gebildeten Betriebsrates führen, die eine Erhöhung der Anzahl der Freistellungen rechtfertigt. Die Praxis wird sich wohl im Ergebnis darauf einzustellen haben, dass der „betriebsratsfreundliche″ Kurs in Erfurt fortgesetzt wird. Dieser wird sodann auch zu einer wirtschaftlichen Mehrbelastung der Unternehmen führen (durch eine Erhöhung der Mitglieder des Betriebsrates bzw. der Anzahl entsprechender Freistellungen, wenn Zeitarbeitnehmer zukünftig mitzuzählen sind).

Zudem bleibt die Entwicklung in Berlin abzuwarten: die „GroKo″ hat im Koalitionsvertrag (S. 50) bereits angekündigt, dass – wörtlich – „zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte gesetzlich klargestellt [wird], dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.Ggf. überholt Berlin das BAG – Andrea Nahles hat einen Gesetzesentwurf bereits für den kommenden Herbst angekündigt.

Über die weiteren Einzelheiten der Entscheidung sowie deren Auswirkungen auf die Praxis werde ich Sie in der nächsten Ausgabe meines „Infobriefs Zeitarbeit“ informieren. Wenn Sie diesen monatlich – selbstverständlich für Sie kostenfrei – beziehen möchten, schreiben Sie mir bitte eine kurze Email (alexander.bissels@cms-hs.com) oder eine Nachricht über Xing.

Einen Auszug des „Infobriefs Juli 2015“ finden Sie hier:

http://www.cms-hs.net/zeitarbeit

Tags: 200 Jahre Arbeitsrechtsprechung in Köln Zeitarbeitnehmer