Mein Bericht über das Landesarbeitsgericht Baden Württemberg hätte eigentlich schon früher erfolgen sollen. Aber eine für den 11. März anberaumte Kammerverhandlung wurde aufgehoben, und so verschob sich ein Besuch in Stuttgart. Dass ein Bericht über das Gebäude des Landesarbeitsgerichts sein musste, stand für mich von Anfang an fest. Genau genommen war mein Besuch an der neuen Gerichtsadresse in Stuttgart Mitte Oktober 2010 der Anfang dieser Blog-Serie.
Ich betrat damals den Aufzug und drückte den Knopf zur 8. Etage auf einer polierten Messingplatte und kam mir bei der langsamen Fahrt nach oben vor wie in einem der ehrwürdig alten Aufzüge New Yorker Bürohäuser. Oben angekommen kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus: die Aussicht über die Dächer der Stadt wiederum entsprach der aus dem Restaurant auf der 7. Etage der Galeries Lafayette am Boulevard Haussmann in Paris. Die Innengestaltung war vom Feinsten. Mir war klar: das muss ich fotografieren.
Aber gehen wir einen Schritt zurück zu den Daten und Fakten. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat seinen Sitz seit März 2009 gemeinsam mit dem Finanzgericht Baden-Württemberg in einem Bürohaus, das zentral in der Stuttgarter Innenstadt neben der Börse und gegenüber dem Haus der Wirtschaft mit seinen Kupferdächern liegt. Die Adresse hieß früher Schlossstraße 22, heute ist es die Börsenstraße 6.
Es handelt sich um einen 1953/54 fertiggestellten Stahlbetonskelettbau nach einem Entwurf des Stuttgarter Architekten, Regierungsbaumeister Eugen Zinsmeister. Er gehörte zur „Architektengemeinschaft Engstingen“, die maßgeblich am Aufbau Stuttgarts nach dem Krieg beteiligt war und sich in denkmalrechtlicher Rechtsprechung wiederfindet. Der Bau war Sitz der Gebäudebrandversicherungsanstalt und wurde dementsprechend nach Herzog Carl-Eugen benannt, der die „Allgemeine Brand-Schadens-Versicherungs-Anstalt“ 1773 in Württemberg errichtete. Das Haus wurde im Jahr 1991 nach den Entwürfen des Sohnes, Professor Rainer Zinsmeister, um ein weiteres Geschoss aufgestockt und mit den benachbarten Gebäuden 2001/2002 zu einem gemeinsam erschlossenen Bürokomplex zusammengefasst.
Das Stahlbetonskelett des Hauses bleibt durch die weiß abgesetzte Etagenstruktur auf der Fassade sichtbar und ist an den Gebäudeecken durch Natursteinplatten abgesetzt, die auch unter den Fenstern Verwendung fanden. Braune Außenjalousien und braun eloxierte Fensterrahmen geben dem Haus von außen etwas Spießiges und lassen die 1950er-Jahre Architektur ein wenig miefig wirken, wenn nicht der richtige Blickwinkel gewählt wird.
Und der Winkel ist hier bestimmend. Sei es am oben weit hervorkragenden Dach oder unten am Dachabschluss über dem Erdgeschoss. Gerade an der Westseite des Gebäudes ergeben sich so einige schöne Ansichten.
Der heutige Umbau des Inneren – vor allem das Erdgeschoss und die oberste Etage – sowie die dortigen Möbel wurden vom Stuttgarter Architektenbüro ohlf schoch architekten entworfen, eine wirklich gelungene Arbeit. Der Umbau wird im Erdgeschoss bereits an den Fensterbändern sichtbar, die mit verschiedenen Grüntönen und den wandhohen „Initialen“ von LAG und FG abgesetzt sind.
Rechts vom Eingang, dem – wie heutzutage fast „natürlich“ – ein Aschenbecher als Verunzierung beiseite gestellt wurde, befindet sich eine Infothek. Das leuchtende Hochglanzrot setzt im Gebäude einen Akzent. Es findet sich wieder in den Saaltüren und den Sitzgelegenheiten, die im runden Sofa für ein Gerichtsgebäude ein wenig zu lässig wirken. Elektronische Informationswände mit eingelassenen Bildschirmen, auf denen sich Gebäudeplan und Sitzungstermine abwechseln, katapultieren die baden-württembergischen Justizbehörden ins 21. Jahrhundert. Hier kann man nur hoffen, dass dauerhafte Wartungsverträge geschlossen wurden. Die Topfpflanze auf der Infotheke bringt zwar Natur, gehört aber wohl nicht zum Entwurf.
Landesarbeits- und Finanzgericht nutzen die Sitzungssäle gemeinsam und sind im Übrigen etagenweise untergebracht. Begeben wir uns also nach oben.
Die Halle vor den drei Aufzügen zeigt reine 50er-Jahre Architektur: mit Naturstein verkleidete Wände neben weißem Putz. Hier darf Messing am Geländer der Treppe ebenso wenig fehlen wie in der großen Deckenlampe.
Wer den Aufzug wählt, darf die Etagenknöpfe auf einer Messingplatte drücken, wer die Treppe wählt, trifft bereits im ersten Stock auf die zweite prägende Farbe des Innenumbaus: Gelb.
In der obersten Etage öffnen sich die Türen automatisch zum Vorraum. Gegenüber dem Eingang gibt die Verglasung den Blick über die Dächer der Stadt frei. Helles Parkett, weiße Wände mit gelb abgesetzten Fensternischen machen den Raum luftig und klar. Die runden Sitzsofas finden sich – in kleinerer Form – auch hier. An den Wänden breite Sitzgelegenheiten.
Das Präsidialzimmer – ein Besprechungsraum, nicht das Büro der Präsidenten beider Gerichte – mit Blick nach Westen ist leider verschlossen und mit Jalousien abgeschottet. Mir gefällt der Sitzungssaal 4 wegen des Ausblicks für den Zuschauer am besten.
Rot ist hier noch die Verkleidung der Garderobe. Das Landeswappen auf Glas.
Die Tische für das Gericht, die Parteien und Zeugen sind nierenförmig, bis zum Boden mit gemasertem Holzfunier verkleidet und beweglich. Die Richter verfügen über eine überdurchschnittliche technische Ausstattung einschließlich eines in die Tischplatte eingelassenen Bildschirms.
Über die gleiche Ausstattung verfügt auch Saal 5, der Richtertisch ist hier jedoch auf einem – ebenfalls nierenförmigen – Podest und das Landeswappen ist mehrfarbig. Die Deckenbeleuchtung bleibt unauffällig, nur über der Bühne aus prozessführenden und -entscheidenden Beteiligten befindet sich ein Kreis aus Hängelampen aus mattem Aluminium.
Es sind diese vielen Details, die mich überzeugen – einschließlich des gelb ausgestrichenen Lichtschachts in der Decke vor Saal 5.
Beim Weg hinunter über die Treppe fällt mir ein weiteres auf, die vielen „Informationen“ in der Etagenbeschriftung.
Ich komme sehr gerne wieder.
Die Serie widmet sich Deutschlands Arbeitsgerichten – den Gebäuden, ihrer Architektur und der Umgebung.
Hier geht es zu Teil 7 der Serie, Berlin. Die vorherigen Teile finden Sie hier: Ravensburg, München, Saarbrücken, Köln, Siegburg, Frankfurt.