Die Möglichkeit, auf die Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes zurückzugreifen, besteht auch im Gesellschaftsrecht.
Angesichts der langen Verfahrensdauer von Beschlussmängelstreitigkeiten ist der einstweilige Rechtsschutz für die betroffenen Gesellschafter häufig sogar das einzige Mittel, einen faktischen Rechtsverlust zu verhindern. Allerdings unterliegt der einstweilige Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht einigen Besonderheiten, die im Folgenden kurz beleuchtet werden sollen. Dabei wird ausschließlich auf Auseinandersetzungen in der GmbH abgestellt.
Bei Streitigkeiten zwischen GmbH-Gesellschaftern geht es in erster Linie um die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit gefasster Beschlüsse. Die Gründe, die zu einer Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen führen, sind so vielgestaltig wie die Beschlussgegenstände, die betroffen sein können.
Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgründe können beispielsweise Einladungsmängel, Verfahrensmängel, die Missachtung von Stimmverboten oder Verstöße gegen materielle Grundsätze wie z.B. die gesellschafterliche Treuepflicht sein. Beschlussgegenstände, die in der Praxis häufig Anlass zu Gesellschafterauseinandersetzungen geben, sind über die Veräußerung wesentlicher Vermögenswerte der Gesellschaft, die Befreiung von Wettbewerbsverboten, die Abberufung von Geschäftsführung aus wichtigem Grund oder die Zwangseinziehung, also der Ausschluss eines Gesellschafters aus der Gesellschaft. Die beiden letztgenannten Fälle sind vor allem dadurch geprägt, dass sie einer besonderen sachlichen Rechtfertigung in Form eines wichtigen Grundes bedürfen, dessen Vorliegen von dem Betroffenen zumeist bestritten wird.
Lange Verfahrensdauer im Hauptsacheverfahren als Problem
Das Beschlussmängelrecht der GmbH entscheidet analog zum Aktienrecht zwischen nichtigen Beschlüssen und den (nur) anfechtbaren Beschlüssen, bei denen die Nichtigkeit durch Gestaltungsurteil festgestellt werden muss. Beiden Fällen ist jedoch gemein, dass die Rechtsdurchsetzung vor Gericht ggf. mehrere Jahre dauern kann, wenn sich die Gesellschaftermehrheit oder die Geschäftsführung auf den Standpunkt stellt, der umstrittene Beschluss sei wirksam zustande gekommen. Die Gesellschaftermehrheit hat dann die Möglichkeit, in der Gesellschaft und dem von dieser betriebenen Unternehmen „Fakten″ zu schaffen, selbst wenn sich der Beschluss im Nachhinein im Rahmen des Hauptsacheverfahrens doch als unwirksam herausstellt.
Im Falle der Zwangseinziehung des Geschäftsanteils kommt seit dem Urteil des BGH vom 24. Januar 2012 (II ZR 109/11) hinzu, dass diese immer sofort mit Beschlussfassung und Bekanntgabe gegenüber dem Gesellschafter wirksam ist, selbst wenn die Abfindung als Gegenwert für die Beteiligung erst später oder über mehrere Jahre gestreckt in Raten fällig wird. Die den Ausschluss betreibenden Gesellschafter können also den anderen Gesellschafter sofort „vor die Tür setzen″. Aufgrund der mit dem MoMiG 2009 geschaffene Legitimations- und Rechtscheinwirkung der Gesellschafterliste kann ein vollständiger Rechtsverlust in derartigen Situationen immer nur verhindert werden, wenn der Betroffene vorläufige Sicherungsmaßnahmen ergreift.
Die Besonderheit des einstweiligen Rechtschutzes im Gesellschaft besteht darin, dass ein anfechtbarer Beschluss nicht vorläufig rechtsgestaltend für nichtig erklärt werden kann. Hierin läge ansonsten eine im deutschen Prozessrecht unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Bei nichtigen Beschlüssen besteht hingegen die Problematik, dass es einer vorläufigen Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses schon an der im Verfügungsverfahren erforderlichen Vollstreckbarkeit fehlt. Eine einstweilige Sicherung der betroffenen Gesellschafterrechte, kann daher nur auf andere Weise erreicht werden.
Vorläufige Verhinderung des Vollzugs eines Beschlusses
Anerkannt ist, dass aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes per einstweiliger Verfügung gemäß §§ 935 ff. ZPO Maßnahmen angeordnet werden können, die einen Vollzug des unwirksamen Beschlusses einstweilen untersagen.
Voraussetzung ist dafür, dass der Antragsteller den Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgrund schlüssig und glaubhaft darlegt (Verfügungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit zur Vermeidung eines drohenden schwerwiegenden Nachteils begründet (Verfügungsgrund). Darüber hinaus muss der Antragsteller in Anfechtungsfällen glaubhaft machen, dass er Anfechtungsklage in der Hauptsache erhoben hat oder noch fristgerecht erheben wird.
Typische Fälle aus der Praxis für die vorläufige Verhinderung des Vollzugs sind die Untersagung des Verkaufs wichtiger Vermögensgegenstände bei einem unwirksamen Zustimmungsbeschluss oder die Untersagung der Handelsregisteranmeldung nach nichtigem Beschluss über die Satzungsänderung. Gemäß § 16 Abs. 2 HGB bindet die einstweilige Verfügung auch die Registergerichte, so dass eine Handelsregistereintragung bei entsprechender gerichtlicher Verfügung nicht erfolgen darf.
Einen gesetzlichen Sonderfall, mit dem zumindest bestimmte Folgen des Vollzuges verhindert werden können, sieht § 16 Abs. 3 GmbHG vor. Danach kann im Wege der einstweiligen Verfügung der beim Handelsregister hinterlegten Gesellschafterliste ein Widerspruch zugeordnet werden, der – z.B. nach einer Zwangseinziehung – die unklare Gesellschafterposition kenntlich macht. Verhindert wird dadurch allerdings nur ein auf die Gesellschafterliste gestützter gutgläubiger Erwerb des betreffenden Geschäftsanteils durch einen Dritten, nicht die durch die Gesellschafterliste bewirkte Legitimationswirkung. Möglich bleiben muss im Falle des unberechtigten Ausschlusses daher auch die aufgrund allgemeiner Grundsätze erwirkte Untersagung der Einreichung einer fehlerhaften Gesellschafterliste durch den Geschäftsführer. Reicht die Geschäftsführung die neue Gesellschafterliste jedoch zeitlich unmittelbar nach der Beschlussfassung ein, scheitert der einstweilige Rechtsschutz in diesen Fällen aber häufig schon aus Zeitgründen.
Maßnahmen im Vorfeld der Beschlussfassung
Da die vorläufige Verhinderung des Vollzugs immer ein Wettlauf mit der Zeit ist, stellt sich im Gesellschaftsrecht die Frage, welche Möglichkeiten zur Verhinderung rechtswidriger Beschlüsse im Vorfeld der Beschlussfassung bestehen. Angesichts der in allen Gesellschaftsverträgen üblichen Einladungsfristen von 2 bis 3 Wochen bleibt nach Versendung von Einladung und Tagesordnung in der Regel hinreichend Zeit, um eine einstweilige Verfügung vorzubereiten und bei Gericht zu erwirken.
Ein probates Mittel ist in diesem Zusammenhang die einstweilige Untersagung der Stimmabgabe. Die Zulässigkeit der Stimmrechtsuntersagung im Wege der einstweiligen Verfügung wurde früher durch die Rechtsprechung kritisch gesehen, da die Gerichte hierdurch auf die Willensbildung der Gesellschafterversammlung Einfluss nehmen und zugleich durch die Untersagung für den konkreten Termin Fakten schaffen, die einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkommt. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist die vorläufige Stimmrechtsausübung heute aber weitgehend anerkannt. Angesichts der Unzulänglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verhinderung des Vollzugs und der teilweise bestehenden zeitlichen Unmöglichkeit, Vollzugsmaßnahmen im Nachgang zu verhindern, besteht unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes für derartige Maßnahmen ein Rechtsschutzbedürfnis. Dies gilt vor allem bei faktisch irreversiblen Entscheidungen, wie dem Ausschluss als Gesellschafter oder der Abberufung des Mitgesellschafters als Geschäftsführer aus wichtigem Grund. Das bei derartigen Maßnahmen für den betroffenen Gesellschafter bestehende Stimmverbot würde andernfalls dazu führen, dass allein durch die Behauptung fadenscheiniger und nicht belastbarer Gründe ein Mitgesellschafter (zunächst einmal) ausgeschlossen oder als Geschäftsführer abberufen werden kann, obwohl er ansonsten über eine Mehrheit oder eine Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung verfügt.
Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine einstweilige Untersagung der Stimmabgabe stellt, sind vor dem Hintergrund der Schwere des hierdurch bewirkten Eingriffs in die Stimmrechtsautonomie streng. Möglich ist sie nur, wenn ein überragendes Schutzbedürfnis des Antragstellers besteht und die Rechtslage aus Sicht des Gerichts eindeutig ist. Außerdem ist das Gebot des geringstmöglichen Eingriffs (Erforderlichkeit) zu beachten. Können die Interessen des Antragstellers auch durch eine Maßnahme zur Verbhinderung des Vollzuges gewahrt werden, kommt eine Untersagung der Stimmabgabe nicht in Betracht.
In der Praxis beschränken sich Fälle der Stimmrechtsuntersagung daher in der Regel auf das Ausschluss- bzw. Einziehungsszenario sowie auf die Abberufung als Geschäftsführer. Ersteres ist angesichts der möglichen Verfügungen im Hinblick auf die Einreichung der Gesellschafterliste nach Beschlussfassung aber nach wie vor umstritten. Denkbarer Anwendungsfall für diese vorläufige Stimmrechtsuntersagung sind auch Fälle, in denen aufgrund eines unwirksamen Gesellschafterbeschlusses wesentliche Vermögenswerte der Gesellschaft an einen Dritten übertragen werden sollen und die Unterschrift unmittelbar im Anschluss an einen solchen Gesellschafterbeschluss geleistet werden kann – mithin faktisch keine Zeit bleibt, eine den Vollzug verhindernde Verfügung bei Gericht zu erwirken.
Weniger kritisch als die vorläufige Stimmrechtsuntersagung sind solche Maßnahmen vor Beschlussfassung, die einen vorläufigen Zustand bis zur Gesellschafterversammlung sichern. Hierzu gehören im Falle der außerordentlichen Abberufung eines Gesellschafters-Geschäftsführers, von dem nachweislich eine Gefahr für die Gesellschaft ausgeht (z.B. weil schon erfolgte Untreuehandlungen unter Ausnutzung der Vertretungsmacht glaubhaft gemacht werden können), die Erwirkung eines vorläufigen Geschäftsführungs- und Vertretungsverbot bis zur Versammlung. Als milderes Mittel kommt in solchen Fällen aber auch die vorläufige Entziehung einer zuvor bestehenden Alleinvertretungsbefugnis in Betracht.
Maßnahmen zur vorläufigen Umsetzung von Beschlüssen
Last but not least kann der einstweilige Rechtsschutz bei der GmbH auch dazu dienen, Beschlüsse vorläufig umzusetzen, über deren Wirksamkeit die Parteien im Hauptsacheverfahren streiten. Es handelt sich hier um das verfügungsrechtliche Pendant zur positiven Beschlussfeststellungsklage in der Hauptsache, in der ein bestimmtes – möglicherweise von der Geschäftsführung oder einem Mehrheitsgesellschafter bestrittenes – Beschlussergebnis festgestellt werden muss.
Da Maßnahmen zur vorläufigen Umsetzung von Beschlüssen schnell zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen können, ist hier der Gesichtspunkt der Erforderlichkeit besonders zu beachten. In der Praxis betreffen einstweilige Verfügungen zur vorläufigen Umsetzung u.a. Fälle, in denen Geschäftsführer, die einen Abberufungsbeschluss nicht anerkennen und weiter für die Gesellschaft handeln, die Vertretungsbefugnis bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache untersagt wird.
Fazit: Einstweiliger Rechtsschutz mit erheblicher Bedeutung im Gesellschaftsrecht
Trotz der vorstehend geschilderten Besonderheiten kommt dem einstweiligen Rechtsschutz bei Gesellschafterstreitigkeiten in der GmbH eine erhebliche Bedeutung zu. Ohne vorläufige Maßnahmen könnte angesichts der oft komplexen und hierdurch zeitlich langwierigen Beschlussmängelverfahren ein effektiver Rechtsschutz nicht gewährt werden.
Unsere Beitragsreihe informiert rund um das Thema Gesellschafterstreitigkeiten. Bereits erschienen sind Beiträge zur Entstehung von Gesellschafterkonflikten, die mögliche Steuerung durch Gestaltung der Gesellschafterverträge und wie streitige Gesellschafterversammlungen vorbereitet und durchgeführt werden können. Anschließend haben wir uns mit der Teilnahme von Beratern an Gesellschafterversammlungen, der Beschlussfassung in der streitigen Gesellschafterversammlungsowie der Besetzung der Geschäftsführung befasst. Ebenso eingegangen sind wir auf Streit über Maßnahmen der Geschäftsführung, über die Abfindung ausscheidender Gesellschafter und über die Wahrnehmung von Informationsrechten. Zuletzt haben wir über den Gesellschafterausschluss als letztes Mittel, den Beirat und seine Funktion im Gesellschafterkonflikt sowie über die gerichtliche Klärung von Beschlussmängeln in einer GmbH und Personenhandelsgesellschaften berichtet.