Das Berufungsgericht hat den Wiederaufnahmeantrag von 10x Genomics zurückgewiesen. Damit endet vorerst eines der bislang bekanntesten Verfahren vor dem UPC.
Mit der Zurückweisung des Antrags auf Wiederaufnahme des (Verfügungs-)Verfahrens mit Anordnung vom 6. August 2024 (UPC_CoA_335/2024, ORD_27444/2024) beendet das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts (Unified Patent Court, UPC) jedenfalls vorerst eine der bislang prominentesten Streitigkeiten, die sich vor dem UPC in seiner noch jungen Geschichte zugetragen hat. Das Hauptsacheverfahren steht indes schon in den Startlöchern.
Mit dem Urteil des Berufungsgerichts vom 26. Februar 2024 war zumindest für die Antragstellerin (10x Genomics) das letzte Wort im Verfügungsverfahren noch nicht gesprochen. Durch ihren Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens versuchte sie, die Anordnung der Lokalkammer München wiederherzustellen, die dem Verfügungsantrag – anders als das Berufungsgericht – im Wesentlichen entsprochen hatte.
Berufungsgericht vermutet, dass das Verfügungspatent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt werde
Auf Antrag von 10x Genomics ordnete die Lokalkammer München durch Anordnung vom 19. September 2023 an, dass NanoString sinngemäß jede direkte oder indirekte Verletzung des Verfügungspatents EP 4 108 782 B1 in den Vertragsmitgliedstaaten des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) zu unterlassen hat.
NanoString legte gegen diese Anordnung Berufung ein. Durch Anordnung vom 26. Februar 2024 hob das Berufungsgericht die Anordnung der Lokalkammer München auf, wies den Antrag von 10x Genomics auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück und ordnete an, dass 10x Genomics als unterlegene Partei die Verfahrenskosten zu tragen hat. Grund für die andere Beurteilung des Berufungsgerichts war im Wesentlichen, dass es aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht hinreichend von der Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents überzeugt war. Das Berufungsgericht kam daher zu dem Schluss, dass es überwiegend wahrscheinlich sei, dass das Verfügungspatent in einem Hauptsacheverfahren wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt werde.
Am 24. April 2024 hat 10x Genomics einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß Regel 245 der Verfahrensordnung des UPC („VerfO“) gestellt.
Der Präsident des Berufungsgerichts hat die Sache dem Zweiten Spruchkörper des Berufungsgerichts zugewiesen und angeordnet, dass die Richter des Berufungsgerichts, die an der zu überprüfenden Entscheidung beteiligt waren, dem Spruchkörper nicht angehören dürfen.
Argumente der Parteien
10x Genomics argumentiert, dass bezüglich der Sachentscheidung das Berufungsgericht seine Entscheidung in einer der Verfahrensordnung widersprechenden Weise bei streitigem Parteivorbringen auf die eigene Sachkunde einzelner Mitglieder des Spruchkörpers gestützt habe. Dadurch habe das Berufungsgericht die Regelungen zur Beweislast und zur Beweiserhebung fundamental verletzt.
Gemäß Art. 76 Abs. 2 EPGÜ dürften Sachentscheidungen nur auf Gründe, Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, die von den Parteien vorgebracht oder auf Anordnung des Gerichts in das Verfahren eingebracht wurden und zu denen die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme hatten. Zum Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Absatz 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gehöre ein faires Beweisverfahren. Es liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung die grundlegenden prozessrechtlichen Vorgaben zur Darlegungs- und Beweislast ignoriert habe. Die Auseinandersetzung zu den Ausführungen mit dem Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit habe das Berufungsgericht mit den folgenden Worten eingeleitet: „Nach Beurteilung des technisch fachkundig besetzten Gerichts“. Daraus gehe hervor, dass das Berufungsgericht sich auf eine eigene Sachkunde und ein Parteigutachten stütze. Die eigene Sachkunde einzelner Mitglieder des Spruchkörpers sei kein von der Verfahrensordnung des UPC vorgesehenes Beweismittel. NanoString habe für ihre Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit keinen Beweis angeboten oder vorgelegt. Eine Beweiserhebung könne nicht durch die technische Meinung eines Mitglieds des Spruchkörpers ersetzt werden und erst recht nicht, wenn diese Meinung noch nicht einmal schriftlich dokumentiert bzw. Verfahrensgegenstand geworden sei und die Parteien hierzu keine sinnvolle Gelegenheit zur Stellungnahme hatten. Hierdurch habe das Berufungsgericht seine Sachentscheidung auf Tatsachen gestützt, die weder von den Parteien vorgebracht noch auf Anordnung des Gerichts in das Verfahren eingebracht worden waren. Darin liege ein grundlegender Verstoß gegen Art. 76 Abs. 2 EPGÜ. Zugleich sei das Berufungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung von den grundlegenden Vorgaben der Verfahrensordnung zur Beweiserbringung und -erhebung abgewichen und habe die zwingenden Regelungen zur Darlegungs- und Beweislast missachtet. Darin liege zusätzlich ein Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK).
Zudem habe das Berufungsgericht die Kostengrundentscheidung willkürlich getroffen. Weder das EPGÜ noch die Verfahrensordnung enthielten eine Rechtsgrundlage für eine Kostengrundentscheidung im Rahmen eines Verfügungsverfahrens. Die Verfahrensordnung sehe eine umfassende Kostengrundentscheidung erst im Rahmen des Hauptsacheverfahrens vor (Regel 118.5 VerfO). Die Frage einer Kostengrundentscheidung im Verfügungsverfahren sei zu keinem Zeitpunkt von dem Berufungsgericht angesprochen, noch von den Parteien schriftsätzlich diskutiert worden. Somit liege auch diesbezüglich ein Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK) vor.
NanoString argumentiert demgegenüber, dass ein Verstoß gegen Regelungen zur Beweislast und Beweiserhebung nicht vorliege. Gemäß Regel 210.2 VerfO sei im Verfügungsverfahren keine Beweiserhebung geboten, und im Regelfall auch nicht mit dem Eilcharakter des Verfügungsverfahrens vereinbar. Das Berufungsgericht habe bei seiner Anordnung nicht nur den Vortrag von NanoString und den detaillierten Stand der Technik, sowie auch ein Parteigutachten berücksichtigt, sondern sich insbesondere auf das Verfügungspatent selbst gestützt. Das Berufungsgericht habe die von 10x Genomics behaupteten technischen Schwierigkeiten geprüft und bewertet.
Die Kostengrundentscheidung des Berufungsgerichts sei nicht zu beanstanden und entspreche Regel 242.1 VerfO. Regel 118.5 VerfO sehe zwar vor, dass eine Kostengrundentscheidung in der Endentscheidung nach Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens enthalten sein müsse. Dies schließe jedoch nicht aus, dass in einer Endentscheidung in einem Verfügungsverfahren über die Kostenverteilung dem Grunde nach entschieden werde. Eine Kostengrundentscheidung könne ergehen, soweit diese Kosten betreffe, bei denen bereits feststehe, dass diese unabhängig vom weiteren Verfahrensgang von einer bestimmten Partei zu tragen seien.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts
Das Berufungsgericht setzt sich zunächst mit der Zulässigkeit des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens auseinander (Regel 255(a) VerfO). Dabei prüft es auch, ob die in Art. 81 Abs. 1 EPGÜ und Regeln 245–249 VerfO festgelegten Anforderungen erfüllt sind.
Art. 81 Abs. 1 EPGÜ ermöglicht es, nach einer endgültigen Entscheidung eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, wenn diese auf einer Handlung beruht, die als Straftat qualifiziert werden kann, oder auf einem grundlegenden Verfahrensfehler. Nach Regel 248 VerfO ist ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund eines grundlegenden Verfahrensfehlers nur dann zulässig, wenn der Verfahrensfehler während des Verfahrens vor dem Gericht erster Instanz oder dem Berufungsgericht gerügt und der Einwand vom Gericht zurückgewiesen wurde, es sei denn, der Einwand konnte während des Verfahrens vor dem Gericht erster Instanz oder dem Berufungsgericht nicht erhoben werden. Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund eines grundlegenden Verfahrensfehlers ist nicht zulässig, wenn die Partei in Bezug auf den Fehler Berufung oder ein sonstiges Rechtsmittel hätte einlegen können, dies aber nicht getan hat.
Aus Art. 81 Abs. 1 EPGÜ ergibt sich ferner, dass einer Wiederaufnahme des Verfahrens Ausnahmecharakter zukommt. Die Wiederaufnahme ist demnach ein letztes Mittel gegen eine Entscheidung, die ansonsten nicht (mehr) Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens sein kann.
Im konkreten Fall ist der Antrag laut Berufungsgericht nicht zulässig, da die beanstandete Anordnung nicht an einem grundlegenden Verfahrensfehler leide. 10x Genomics begründet den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Kern damit, dass die Worte „Nach Beurteilung des technisch fachkundig besetzten Gerichts“ in der Begründung des Berufungsgerichts dahingehend zu verstehen seien, dass das Berufungsgericht die persönliche Meinung eines (oder mehrerer) seiner Richter als Beweis für den Vortrag von NanoString zur erfinderischen Tätigkeit herangezogen habe, für die NanoString keine (ausreichenden) unterstützenden Beweise vorgelegt habe. Dem folgt das Berufungsgericht nicht. Zum einen beruhe die Auffassung auf einem offensichtlich falschen Verständnis des zitierten Satzes. Mit dieser Wortwahl habe das Berufungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es besonders ausgerüstet und qualifiziert sei, die in einer technisch komplexen Angelegenheit vorgebrachten Argumente und Beweise zu würdigen. Zum anderen gehe aus der Anordnung klar hervor, dass das Berufungsgericht für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht nur auf das Vorbringen von 10x Genomics und NanoString abgestellt hat, sondern auch auf die Beschreibung des Verfügungspatents selbst sowie auf die von NanoString vorgebrachten Beweise, nämlich eine Veröffentlichung aus dem Stand der Technik und das Parteigutachten. Aus der Begründung gehe eindeutig hervor, dass das Berufungsgericht seine Gründe nicht auf die persönliche Meinung eines oder mehrerer seiner Richter gestützt habe, sondern auf Beweise, einschließlich der Patentbeschreibung, die das Vorbringen von NanoString belegen. Die Würdigung der von den Parteien vorgebrachten Argumente und Beweise sei durch das mit der Sache befasste Berufungsgericht erfolgt und werde im Rahmen der Überprüfung auf einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht überprüft.
Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand von 10x Genomics, dass die Kostengrundentscheidung keine rechtliche Grundlage habe und daher ein grundlegender Verfahrensfehler vorliege. Wie NanoString zu Recht ausführe, schließe Regel 118.5 VerfO, wonach das UPC dem Grunde nach über die Verpflichtung zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits entscheidet, nicht aus, dass das Berufungsgericht in einem Verfügungsverfahren über die Kostenverteilung entscheidet. Wie sich aus Art. 32 Abs. 1 lit. c) EPGÜ ergebe, seien Klagen auf Erlass einstweiliger Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen gemäß Art. 62 EPGÜ eigenständige Klagen und mit der Entscheidung im Berufungsverfahren seien diese Verfahren abgeschlossen. Es gebe somit eine Rechtsgrundlage für die Kostengrundentscheidung in Regel 242.1 VerfO. Eine Kostengrundentscheidung sei von NanoString im Verfügungsverfahren beantragt worden und 10x Genomics habe Gelegenheit gehabt, hierzu Stellung zu nehmen. Die Tatsache, dass 10x Genomics davon abgesehen hat, habe das Berufungsgericht nicht dazu verpflichtet, die Frage mit den Parteien zu erörtern.
Das Hauptsacheverfahren wird sich auch um die Frage des Rechtsbestands des Streitpatents drehen
Auch in Verfahren vor dem UPC kommt eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. Es muss entweder eine Straftat festgestellt sein oder ein grundlegender Verfahrensfehler vorliegen, der nicht in einem vorherigen Rechtsmittelverfahren geltend gemacht bzw. behoben werden konnte. Solche Konstellationen dürften nur selten vorliegen.
Nachdem bereits im Verfügungsverfahren nunmehr sämtliche prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, ist mit einer umkämpften Fortsetzung der Streitigkeit im Hauptsacheverfahren zu rechnen. Hier wird es insbesondere um die Frage des Rechtsbestands des Streitpatents gehen.