Der „Video Assisted Referee“ (VAR) wird gerade während der Fußball EM heiß diskutiert. Doch auch jenseits des Fußballplatzes sorgt das Thema für (rechtlichen) Zündstoff. So hatte die Ballinno B.V. (ein niederländischer Patentverwerter) einen Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen i.S.d. Art. 32 Abs. 1 lit. c) Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) u.a. gegen die UEFA am 18. April 2024 bei der Lokalkammer Hamburg des Einheitlichen Patentgerichts (Unified Patent Court, UPC) anhängig gemacht.
Der Antrag hat die unbefugte Nutzung des durch das europäische Patent EP 1 944 067 B1 (EP‘067) geschützten Gegenstands u.a. durch die UEFA zum Gegenstand. Anspruch 1 des EP‘067 schützt ein Verfahren zur Erkennung eines Ballkontakts durch Erfassen eines (beim Schuss) vom Ball erzeugten Schallsignals. Das Schallsignal wird mit einem vorgegebenen Signal verglichen. Sofern eine Übereinstimmung festgestellt wird, wird dem Schiedsrichter ein Erkennungssignal übermittelt. Die Erfindung dient der verbesserten Erkennung einer Abseitssituation. Aufgrund dessen kann sie als Erweiterung des VAR angesehen werden.
Die Lokalkammer Hamburg den Antrag zurückgewiesen. Die Abseitserkennung kann und konnte daher während der EM regulär genutzt werden.
Fehlende Dringlichkeit
Im Wesentlichen lässt es die Lokalkammer an der fehlenden Dringlichkeit scheitern. Bereits nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin hatte ihre Rechtsvorgängerin Kenntnis der von Kinexon (dem Technologiepartner der UEFA hinsichtlich der „Connected Ball Technology“) angebotenen „Connected Ball Technology“ seit September 2023. Diese Kenntnis sei der Antragstellerin zuzurechnen. Auf Grundlage dessen hatte die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin bereits am 19. Oktober 2023 eine Abmahnung an Kinexon ausgesandt. Mitte November 2023 lehnte Kinexon Lizenzverhandlungen mit der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin ab. Nach der Lokalkammer Hamburg stand daher bereits im November 2023, zwei Monate nach Kenntnisnahme der möglichen Verletzung, fest, dass eine gütliche Beilegung der Angelegenheit nicht in Betracht kommt.
Ferner führte die Antragstellerin aus, dass ihre Rechtsvorgängerin am 4. Dezember 2023 die Ankündigung der UEFA erlangt habe, nach der Kinexons „Connected Ball Technology“ während der EM 2024 zur Anwendung kommen solle, zur Kenntnis nahm, ebenso wie die Bestätigung seitens Kinexon.
Erst im Februar 2024 hat die Antragstellerin ein YouTube-Video zur „Connected Ball Technology“ analysiert, das die vermeintlich verletzende Ausführungsform zeigt. Dieses Video war bereits seit dem 30. November 2022 öffentlich abrufbar. Auch die Hinzuziehung eines Sachverständigen seitens der Antragstellerin im März 2024 und die Einreichung des Antrags auf Erlass einstweiliger Maßnahmen beim UPC unmittelbar nach Erstattung des Sachverständigengutachtens lässt nach der Ansicht der Lokalkammer Hamburg die Dringlichkeit nicht wiederaufleben. Es sei hier eine Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Antragstellerin vorzunehmen, das insgesamt dringlichkeitsschädlich gewesen sei.
Aus der Entscheidung der Lokalkammer Hamburg folgt für die Dringlichkeit: Sobald ein Patentinhaber Kenntnis von der angeblichen Patentverletzung hat, muss er dieser nachgehen, die erforderlichen Maßnahmen zur Klärung ergreifen und die erforderlichen Unterlagen beschaffen. Erfolgen auf Seiten des Patentinhabers für einen längeren Zeitraum (hier fast drei Monate) keine nennenswerten Anstrengungen zur Klärung der möglichen Patentverletzung, so ist davon auszugehen, dass der Patentinhaber die Sache nicht mit der erforderlichen Dringlichkeit behandelt hat.
Fehlende hinreichende Überzeugung von einer Patentverletzung
Zudem ist die Lokalkammer Hamburg nicht mit hinreichender Sicherheit davon überzeugt, dass das Klagepatent durch die Antragsgegner verletzt wird. Nach vorläufiger Einschätzung seien die Ansprüche 1 und 8 des Klagepatents weder unmittelbar noch mittelbar verletzt. Bzgl. einer äquivalenten Patentverletzung fehle es bereits an substantiiertem Vortrag der Antragstellerin. Diesbezüglich schließt sich die Lokalkammer Hamburg ausdrücklich der maßgeblichen ersten Entscheidung des Berufungsgerichts an, nach der es nicht nur hinreichend wahrscheinlich sein muss, dass der Antragsteller dazu befugt ist, den Verfügungsantrag zu stellen, sondern auch, dass das Klagepatent bereits verletzt wurde oder eine Verletzung erstmalig droht.
Keine Ausführungen zum Rechtsbestand und zur Haftung der UEFA für eine mögliche mittelbare Patentverletzung
Da bereits die Dringlichkeit nicht gegeben war und eine Patentverletzung nicht hinreichend wahrscheinlich ist, konnte die Lokalkammer Hamburg offen lassen, ob es das Klagepatent als wahrscheinlich rechtsbeständig ansieht. Dasselbe gilt für eine mögliche Haftung der UEFA als mittelbare Patentverletzerin. Eine Abwägung der jeweiligen Interessen der Parteien und eine Bewertung der Interessenabwägung war daher nach Ansicht der Lokalkammer Hamburg im vorliegenden Fall nicht erforderlich.
EM kann wie geplant stattfinden; sonstige wichtige Erkenntnisse aus der Entscheidung
Aufgrund der Entscheidung der Lokalkammer Hamburg konnte und kann die „Connected Ball Technology“ während der EM wie geplant zum Einsatz kommen und strittige Abseitsszenen entschärfen.
Patentinhaber sind (auch) vor dem UPC gehalten, die Sachverhaltsaufklärung zügig zu betreiben, sofern sie einen Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen stellen möchten. Zudem ist die hinreichende Dokumentation des Verletzungsvorwurfs erforderlich, die es dem UPC ermöglicht, auch im summarischen Verfügungsverfahren eine Prognose hinsichtlich der Patentverletzung anzustellen.