16. September 2022
UPC–Verfahrensordnung
Patentrecht & Gebrauchsmusterrecht

UPC–Verfahrensordnung in Kraft – Urteile künftig öffentlich

Am 1. September 2022 trat die finale Fassung der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (UPC) in Kraft. Urteile werden künftig veröffentlicht.

Das Inkrafttreten der Verfahrensordnung (Rules of Procedure) ist Teil der letzten Vorbereitungen für das UPC, das nach gegenwärtigem Stand Anfang 2023 seine Arbeit aufnehmen soll. Nachdem sich im Laufe des Jahres zunächst die Gremien des UPC konstituiert hatten, wurden u.a. Gespräche mit möglichen Kandidaten* für die zu besetzenden Richterposten geführt und zahlreiche weitere Vorbereitungen getätigt.

Zuletzt hatte der Verwaltungsausschuss des UPC am 8. Juli 2022 getagt und wichtige Weichenstellungen auf dem Weg hin zum UPC vorgenommen: Die Standorte des Gerichts erster Instanz sind nun offiziell bestätigt. Auch die sog. „Kostentabelle“ (table of fees), welche die Höhe der Gerichtsgebühren festlegt, wurde final verabschiedet. Schließlich hat der Verwaltungsausschuss auch die Verfahrensordnung in ihrer finalen Fassung angenommen. Letzte Voraussetzung für das Inkrafttreten der schon zuvor fast finalisierten Verfahrensordnung war die Stellungnahme der Europäischen Kommission zur Vereinbarkeit der Verfahrensordnung mit dem Unionsrecht gem. Art. 41 Abs. 2 S. 2 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ), die nun vorliegt.

Das Inkrafttreten der Verfahrensordnung ist für das UPC ein wesentlicher Schritt in Richtung der Arbeitsaufnahme. Sobald der Verwaltungsausschuss die Arbeitsfähigkeit des UPC signalisiert, wird Deutschland seine Ratifikationsurkunde zum EPGÜ hinterlegen, womit dann die dreimonatige sog. „sunrise period“ bis zum Inkrafttreten des EPGÜ startet. Innerhalb dieser „sunrise period“ werden u.a. bereits Opt-out-Erklärungen für europäische Patente gem. Regel 5 der Verfahrensordnung möglich sein.

Der lange Weg zur finalen Fassung der Verfahrensordnung

Ebenso wie die Vorbereitungen des UPC selbst gehen auch die Anfänge der Verfahrensordnung weit zurück. Dies zeigt sich bereits daran, dass es sich bei der zuletzt angepassten Fassung um den 18. (!) Entwurf handelte. Dieser stammt vom 15. März 2017 und damit aus einer Zeit, als das UPC schon einmal kurz vor dem Start stand. Die Verfahrensordnung war in ihrer letzten Entwurfsfassung schon fast finalisiert, bevor Verfassungsbeschwerden in Deutschland die Vorbereitungen für lange Zeit unterbrachen.

Wie weit man im März 2017 mit dem 18. Entwurf gekommen war, zeigt sich schon daran, dass die finale Fassung der Verfahrensordnung gegenüber dem 18. Entwurf nur wenige Anpassungen aufweist. Die konsolidierte Fassung ist seit dem 1. September 2022 auch in deutscher und französischer Sprache veröffentlicht.

Verfahrensakten sollen künftig nicht mehr vollständig öffentlich sein

Eine der wesentlichen Änderungen der finalen Fassung gegenüber dem 18. Entwurf erfolgte in Regel 262 der Verfahrensordnung, die den öffentlichen Zugang zum Register des UPC betrifft.

Regel 262 in der Fassung des 18. Entwurfs der Verfahrensordnung sah noch vor, dass das Register des UPC weitgehend öffentlich sein sollte. Die Regel 262 wurde in Ansehung des Art. 10 Abs. 1 S. 2 EPGÜ geschaffen, nach dem das von der Kanzlei des UPC geführte Register vorbehaltlich der im EPGÜ und der Verfahrensordnung festgelegten Bedingungen öffentlich ist. Neben den Entscheidungen des UPC wären danach auch Schriftsätze der Parteien oder Beweisdokumente stets veröffentlicht worden, es sei denn, eine Partei hätte beantragt, bestimmte Informationen geheim zu halten.

Ähnlich handhabt bspw. das Europäische Patentamt (EPA) den Umgang mit Unterlagen aus Erteilungs- und Einspruchsverfahren zu europäischen Patenten. Diese Unterlagen sind für jedermann im Online-Register auf der Website des EPA einsehbar. In der finalen Fassung der Regel 262 wurde das Regel-Ausnahme-Verhältnis nunmehr umgekehrt. Jedenfalls für Schriftsätze der Parteien und Beweisdokumente ist nunmehr ein Antrag auf Veröffentlichung dieser Dokumente erforderlich, um einen Einblick zu bekommen.

Implikationen des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der DSGVO

Aber warum wurde nun im Zeitalter fortschreitender Transparenzbemühungen öffentlicher Einrichtungen die Veröffentlichung von Unterlagen im Register eingeschränkt? Ein Grund liegt in der allgemeinen Rechtsentwicklung, seit die Verfahrensordnung vor vielen Jahren entworfen wurde. Seit dem 25. Mai 2018 gilt etwa die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in der gesamten Europäischen Union. Sie ist damit lange nach der Unterzeichnung des EPGÜ am 19. Februar 2013 und auch nach der Veröffentlichung des 18. Entwurfs der Verfahrensordnung vom 15. März 2017 in Kraft getreten. Gem. den erklärenden Hinweisen des Vorbereitungsausschusses zur Änderung der Regel 262 führt die DSGVO, an die das UPC gebunden ist, dazu, dass personenbezogene Daten der Parteien und Dritter in jedem Fall vor der Veröffentlichung von Dokumenten zu redigieren, d.h. zu schwärzen, sind. Dies betrifft sowohl Entscheidungen des UPC als auch sonstige Dokumente wie bspw. Schriftsätze. Eine automatische Veröffentlichung aller Dokumente im öffentlich zugänglichen Register begegnete daher datenschutzrechtlichen Bedenken.

Weitere Überlegungen des UPC-Verwaltungsausschusses

Neben der DSGVO spielte bei den Änderungen der Regel 262 aber auch die Überlegung eine Rolle, dass in den Verfahrensakten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Parteien und Dritter vorhanden sind bzw. sein können, die bei einem entsprechenden Geheimhaltungsinteresse der jeweiligen Partei dem Zugriff der Öffentlichkeit vorenthalten bleiben müssen.

So haben zwischenzeitlich das Inkrafttreten der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung sowie ihre Umsetzung in nationales Recht dazu geführt, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und das Treffen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen deutlich mehr in den Fokus von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen gerückt sind.

Der Kompromiss der neuen Regelung – Veröffentlichung auf begründeten Antrag hin

Um dennoch eine Veröffentlichung von Verfahrensunterlagen nicht vollkommen auszuschließen, sieht Regel 262.1 lit. b) in der finalen Fassung einen Kompromiss vor: So sollen Schriftsätze der Parteien und Beweisdokumente nur dann der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, wenn ein entsprechender Antrag, der begründet werden muss, bei der Kanzlei des UPC vorliegt. Über die Veröffentlichung der Dokumente entscheidet der berichterstattende Richter nach Anhörung der Parteien. 

Ergänzend zu Verfahren und Anhörung gem. Regel 262.1 lit. b) kann eine Partei gem. Regel 262.2 auch die Geheimhaltung von bestimmten Informationen in Schriftsätzen der Parteien oder Beweisdokumenten per se beantragen. Die Dokumente sollen daher erst 14 Tage nach der Zugänglichmachung für die Betroffenen veröffentlicht werden, um den Betroffenen genügend Zeit einzuräumen, zu prüfen, ob in Bezug auf bestimmte Informationen ein Geheimhaltungsantrag zu stellen ist. Aber auch für diesen Fall sieht Regel 262.3 vor, dass Informationen, die Gegenstand eines Geheimhaltungsantrags sind, auf begründeten (Gegen-)Antrag ausnahmsweise Mitgliedern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. In diesem (Gegen-)Antrag muss der Antragsteller nähere Angaben zu den angeblich vertraulichen Informationen machen, darlegen, warum die Begründung für die Vertraulichkeit nicht akzeptiert werden dürfe, und erläutern, für welchen Zweck er die Informationen benötige. In diesem Fall entscheidet das Gericht nach weiterer Anhörung der Parteien auf Basis einer umfassenden Interessenabwägung.

Dieses auf den ersten Blick komplizierte System aus Anhörungen, Anträgen und Gegenanträgen wirft für die Praxis einige Fragen auf. Insbesondere bleibt abzuwarten, wie das Gericht in der Praxis das Verhältnis der Geheimhaltungs-/‌Offenlegungsanträge nach Regel 262.2 und 262.3, die in der 18. Entwurfsfassung der Verfahrensregeln noch für den Fall einer weitgehenden Öffentlichkeit des Registers konzipiert waren, zu dem allgemeinen Antragsverfahren nach Regel 262.1 lit. b) handhaben wird.

Entscheidungen des UPC müssen immer veröffentlicht werden

Nicht bewahrheitet haben sich hingegen Befürchtungen, nach denen auch Entscheidungen des UPC nur auf Antrag veröffentlicht werden könnten. Regel 262.1 lit. a) sieht in der finalen Fassung vor, dass Entscheidungen und Beschlüsse des UPC stets zu veröffentlichen sind, ggf. nach einer Redaktion von personenbezogenen Daten i.S.d. DSGVO sowie von geheimhaltungsbedürftigen Informationen. Nach den erläuternden Hinweisen des Verwaltungsausschusses ist dies so zu verstehen, dass Entscheidungen des UPC automatisch auf der Website veröffentlicht werden. Der entsprechende Spruchkörper wird beim Abfassen der Entscheidung gleich eine nach den Vorgaben der DSGVO redigierte Fassung der Entscheidung erstellen.

UPC-Verfahrensordnung: Unklare Rechtslage zur Veröffentlichung von Dokumenten und Entscheidungen

Inwiefern es künftig tatsächlich Praxis sein wird, dass Entscheidungen des UPC und im Einzelfall auch Unterlagen aus den Verfahren veröffentlicht werden, bleibt abzuwarten. 

So gibt Regel 262.1 lit. b) der Verfahrensordnung lediglich vor, dass Schriftsätze der Parteien auf „begründeten“ Antrag hin und durch Entscheidung des berichterstattenden Richters nach Anhörung der Parteien veröffentlicht werden. Vorgaben dazu, wie eine solche Begründung aussehen kann, insbesondere welche Anforderungen an die Substantiierungslast des Antragstellers zu stellen sind, macht die Regel nicht. Ebenso wenig ist klar, ob der Antrag von einem Bevollmächtigten des Antragstellers gestellt werden kann und ob dieser die wahre Identität des Antragstellers offenbaren muss.

Auch mit Blick auf die Veröffentlichung von Entscheidungen und Beschlüssen des UPC nach Regel 262.1 lit. a) kann aktuell noch nicht vollständig abgeschätzt werden, ob sich tatsächlich eine weitgehende Veröffentlichungspraxis einstellt. So steht die Veröffentlichung von Entscheidungen und Beschlüssen jedenfalls noch unter dem Vorbehalt der Redaktion von personenbezogenen Daten sowie von geheimhaltungsbedürftigen Informationen. Der Blick auf deutsche Gerichte zeigt, dass der damit verbundene redaktionelle Aufwand oft dazu führt, dass Entscheidungen erst lange Zeit nach ihrer Verkündung oder mitunter gar nicht veröffentlicht werden, weil die Gerichtsverwaltung aufgrund der angespannten personellen Lage die umfassenden Redaktionsaufgaben nicht bewältigen kann. 

Werden redigierte Entscheidungen dann veröffentlicht, wird auch die Brauchbarkeit der veröffentlichten Entscheidung von der Intensität der Redaktion abhängen, also etwa davon, ob bspw. das streitgegenständliche Patent aus der veröffentlichten Fassung ersichtlich ist.

Diese offenen Fragen wird nur die Praxis klären können, sobald das UPC seine Arbeit aufgenommen hat, was voraussichtlich im Frühjahr 2023 der Fall sein wird.

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*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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