27. Oktober 2015
russland
International

Sanktionen, Importersatz – schottet Russland sich ab?

Sanktionen erschweren Unternehmen bereits den Marktzutritt in Russland. Jetzt führt Russland das Prinzip der Bevorzugung inländischer Waren ein.

Die Bilder der vergangenen Tage haben irritiert und teilweise auch schockiert: in Russland wurden lastwagenweise Lebensmittel vernichtet – verbrannt, mit Baggern zermalmt oder vergraben. Erstmals wurden die russischen Gegensanktionen auch im Land kontrovers diskutiert.

Doch dies ist nur der fernsehwirksame Teil einer Geschichte. Russland ist auf verschiedensten Gebieten dabei, wirtschaftspolitisch eine Kehrtwende zu vollziehen. Während das Land in den vergangenen Jahren aktiv versuchte, sich in den weltweiten Warenaustausch zu integrieren und massiv Waren importierte, führt die Regierung jetzt eine Kampagne gegen ausländische und für in Russland produzierte Güter durch. Unter dem Schlagwort des Importersatzes soll die heimische Produktion unterstützt werden und gleichzeitig Importware zurückgedrängt werden. Die westlichen Importeure sehen sich zunehmend dazu gedrungen im Land zu produzieren, um das Russlandgeschäft zu halten.

Einfuhrverbote treffen die Bevölkerung direkt

Seit dem offenen Ausbruch des Konflikts in der Ukraine haben die Spannungen zwischen Russland einerseits sowie der westlichen Welt andererseits zu gegenseitigen Wirtschaftssanktionen geführt. Auf westliche Maßnahmen, die gegen bestimmte Personen und dann gegen einzelne Wirtschaftszweige gerichtet waren, antwortete Russland mit einem Einfuhrverbot für bestimmte Lebensmittel aus der EU und den USA. Dieses trifft direkt die Versorgungslage der Bevölkerung. Das Angebot in den Supermärkten und Restaurants hat sich spürbar geändert, es fehlen auffällig die westlichen Feinkostprodukte wie Käse, Schinken und Würste. Die Teuerung bei Lebensmitteln wird zudem derzeit mit knapp 20 Prozent angegeben.

Aber auch außerhalb der offiziellen Sanktionslisten ist der Umgang mit dem Ausland rauer geworden: Hygienische oder Gründe des Verbraucherschutzes werden häufig benutzt, um den Vertrieb ausländischer Produkte aus politisch motivierten Gründen zu untersagen. Kürzlich traf es Blumen aus Holland, die nach der holländischen Forderung nach einem UN-Tribunal zur Aufklärung des Flugzeugabsturzes in der Ukraine plötzlich nicht mehr den Hygienevorschriften genügten.

Russland wendet sich ab vom Warenaustausch

In diese Atmosphäre hinein verkündet Russland soeben eine Kehrtwende in der Industriepolitik. Nach Jahren der Integration in die Weltwirtschaft bis hin zum Beitritt zur WTO hat Russland jetzt eine Reihe von Maßnahme getroffen, die durch Bevorzugung der lokalen Produktion zur Abschottung führen.

Die neuen Vorschriften konzentrieren sich dabei vornehmlich auf den staatlichen Bereich. Sie gelten über das Vergabegesetz für den Einkauf des Staates und der Kommunen sowie über das Gesetz über den Einkauf von Staatsunternehmen für staatseigene Betriebe. In beiden Bereichen galt in der Vergangenheit das Prinzip der Gleichberechtigung in- und ausländischer Waren. Mit dem im Juli in Kraft getretenen Gesetz über die Industriepolitik (FZ 488) ist dieses Prinzip umgekehrt worden: jetzt gilt das Prinzip der Bevorzugung russischer Waren.

Inländische Unternehmen sollen gefördert werden

Das russische Beschaffungswesen kannte bereits vor dieser Kehrtwende einzelne Bereiche, in denen der Staat gehalten war, russischen Waren den Vorzug zu geben. Meist betraf dies den Verteidigungsbereich. Mittlerweile sind aber für verschiedenste Industriebereiche per Regierungsverordnung weitgehende Beschränkungen erlassen worden, die dem Staat verbieten, ausländische Produkte zu kaufen. Im Bereich der staatlichen Unternehmen galt bislang ebenfalls Gleichberechtigung. Mit dem Gesetz über Industriepolitik hat der Staat jetzt aber eine Ermächtigungsgrundlage genutzt, die ihm erlaubte, den Vorrang einheimischer Produkte ganz generell festzuschreiben. Damit haben ausländische Produkte jetzt einen erheblichen Wettbewerbsnachteil.

Auswirkungen auf die deutschen Unternehmen

Für westliche Unternehmen mit Russlandinteressen ist die aktuelle Situation bedrohlich. Der Großteil der wichtigen Industrien ist in staatlicher Hand, nichtstaatliche Unternehmen weisen zunehmend darauf hin, russische Produkte einkaufen zu wollen oder zu müssen.

Immer mehr Bereiche verschließen sich für den Importeur. Wer derzeit noch nicht betroffen ist, kann dies in Kürze sein. Die normative Grundlage ist geschaffen: Regierungsverordnungen sind schnell erstellt und können jederzeit neue Beschränkungen aussprechen.

Russische Herkunftszertifikate für Unternehmen immer wichtiger

Es mag daher zum Erhalt des eigenen Marktes in Russland erforderlich sein, über eine Verlagerung zumindest eines Teils der Wertschöpfung an einem für den russischen Markt bestimmten Produkts nachzudenken. Sobald die Wertschöpfung groß genug ist, um ein russisches Herkunftszertifikat (also: ein „made in Russia″) zu erhalten, sind die Beschränkungen überwunden. Die Kriterien für die Erteilung des Herkunftszertifikats sind allerdings komplex und unübersichtlich.

Als Faustregel gilt: Eingeführtes Halbfertig-Produkt und in Russland endgefertigtes Endprodukt müssen sich in den ersten vier Ziffern ihrer Zollnummer unterscheiden, müssen also zollrechtlich gesehen verschiedene Produkte sein. Weiteres Kriterium ist die im Land erzielte Wertschöpfung. Im Einzelnen bestehen allerdings für verschiedene Produkte individuell unterschiedliche Kriterien. In der Praxis müsste also geprüft werden, welche Fertigungsschritte in Russland stattfinden müssten, um aus dem eingeführten Produkt ein russisches zu machen.

Produktionsverlagerung in schwierigem Klima

Russland hat eine Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik vollzogen. Diese ist zum einen politisch motiviert, zum anderen industriepolitisch begründet. Es steht dabei außer Frage, dass Russland ein enormes und berechtigtes Interesse hat, Produktion ins Inland zu verlagern. Der Aufbau einer konkurrenzfähigen Industrie ist aber sicher nicht einfach, wenn dies in einem Klima der Konfrontation erfolgt, wo technische und finanzielle Unterstützung aus dem Ausland ausbleibt oder auch aktiv unterbunden wird. Für westliche Unternehmen werden die russischen Herkunftszertifikate nun immer wichtiger.

 

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