18. August 2015
Kartell, Handelsvertreter, Kartellrecht
Kartellrecht

Kartellstrafen: Unternehmen haften für ihre Handelsvertreter – auch für Mehrfachvertreter

Hat ein Handelsvertreter einen Kartellverstoß begangen, haftet das Unternehmen. Auch wenn der Handelsvertreter für mehrere Unternehmen tätig war.

Das Gericht der Europäischen Union hat im Urteil voestalpine AG und voestalpine Wire Rod Austria GmbH (im Folgenden „voestalpine″, EuG vom 15.07.15, Az. T-418/10) bestätigt, dass gegen Unternehmen auch dann eine Kartellstrafe verhängt werden könne, wenn nicht sie, sondern nur ihre Handelsvertreter einen Kartellverstoß begingen. Dies gilt selbst dann, wenn der Handelsvertreter nicht ausschließlich für das betreffende Unternehmen tätig gewesen sei!

20 Jahre lang Quoten vereinbart, Kunden geteilt und Preise festgesetzt

Die Kommission hat gegenüber 18 Spannstahl-Lieferanten eine Kartellstrafe in Gesamthöhe von ca. EUR 270 Millionen verhängt. Grund hierfür ist die Beteiligung an einem europaweiten und fast 20 Jahre andauernden Kartell. Die beteiligten Unternehmen vereinbarten Quoten, teilten sich Kunden auf, setzten Preise fest und tauschten sensible Geschäftsinformationen über Preise, Liefermengen und Kunden aus.

Verteidigung: keine Zurechnung und Mehrfachvertretung des Handelsvertreters

Gegen die Kommissionsentscheidung hat u.a. voestalpine Klage erhoben mit der Begründung,

  • die Kommission habe lediglich die Beteiligung des italienischen Handelsvertreters von voestalpine an den Kartellabsprachen festgestellt, aber keine direkte Beteiligung voestalpines. Die Handlungen des italienischen Handelsvertreters seien ihr aber grundsätzlich nicht zurechenbar.
  • Darüber hinaus könnten voestalpine die Handlungen des italienischen Handelsvertreters im konkreten Fall auch deshalb nicht zugerechnet werden, weil der Handelsvertreter in den Kartelltreffen auch einen weiteren Kartellanten, CB Trafilati Acciati SpA („CB″) vertreten habe und damit nicht ausschließlich für voestalpine tätig war.

EuGH: Handelsvertreter und Unternehmen sind wirtschaftliche Einheit

Das Gericht lehnt diese Klagegründe ab: Unter Verweis auf die Rechtsprechung in Sachen Suiker Unie und Minoan Lines stellt das Gericht klar, dass im vorliegenden Fall der Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit im Sinne von Artikel 101 AEUV mit voestalpine bildet und dessen Handlungen damit eine kartellrechtliche Haftung voestalpines begründen. Im Einzelnen kann voestalpine die Zuwiderhandlung des Handelsvertreters zugerechnet werden, weil

  • voestalpine weit überwiegend das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeiten des Handelsvertreters in Italien übernommen hat und
  • der Handelsvertreter nicht selbständig und unabhängig von seinem/-n Geschäftsherr/-en agieren konnte.

Bezüglich letzterem Punkt stellt das Gericht klar, dass es hier nicht darauf ankomme, dass der Handelsvertreter ausschließlich für voestalpine tätig werde. Er würde weit überwiegend keine selbständigen und unabhängigen Tätigkeiten auf eigene Rechnung unterhalten. Eine parallele abhängige Tätigkeit für CB schade der Zurechnung deshalb nicht, weil der Handelsvertreter auf dem betreffenden Markt nicht auf eigene Rechnung tätig gewesen sei und insoweit einer eigenen Geschäftstätigkeit als unabhängiger Händler nicht in erheblichem Umfang nachgegangen sei.

Teilnahme am Kartell nur soweit Handelsvertreter bemächtigt ist

Die Klage war für voestalpine trotzdem erfolgreich. Denn das Gericht erklärte die Kommissionsentscheidung im Hinblick auf voestalpines Teilnahme am Kartell außerhalb Italiens für nichtig. Da voestalpine nur das Verhalten des Handelsvertreters zuzurechnen war und der räumliche Bereich des Handelsvertretervertrages auf Verkäufe in Italien beschränkt war, hätte die Kommission die Haftung auch nicht über den Umfang des Handelsvertretervertrages hinaus ausweiten dürfen. Da die Kommission aber voestalpines Umsatz außerhalb Italiens bei Festsetzung der Kartellbuße miteingerechnet hatte, zog das Gericht diese Umsätze außerhalb Italiens wieder ab und setzte die Buße von EUR 22 Millionen um EUR 14,5 Millionen auf „nur noch″ EUR 7,5 Millionen herab.

Fazit: Handeln des Handelsvertreter kann Kartellstrafen begründen

Das Urteil verdeutlicht, dass Unternehmen selbst dann für das Handeln ihrer Handelsvertreter haftbar gemacht werden können, wenn das Unternehmen selbst keine Kenntnis von dem illegalen Verhalten des Handelsvertreters hat und auch wenn der Handelsvertreter nicht ausschließlich für diesen Unternehmen auftritt. Sobald also die Kriterien der Rechtsprechung erfüllt sind, ist der Handelsvertreter einem Angestellten des Unternehmens gleichgestellt. Diese Erweiterung einer möglichen Kartellhaftung sollte sich jedes Unternehmen bewusst machen, das sich Handelsvertretern bedient.

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