30. Juli 2010
Kartellrecht

Kartellverbot bald auch für gesetzliche Krankenkassen?

AMNOG„: Die Abkürzung, die phonetisch einem Begriff für unkontrolliertes Verhalten nahekommt, ist zum neuen Reizwort für deutsche Krankenkassen geworden. Und das nicht nur wegen der weitreichenden Reformen im Gesundheitswesen, die der Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) vorsieht. Mindestens ebenso relevant ist: Das scharfe Schwert des Kartellrechts soll künftig vollständig auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar sein. Bislang war dies nur eingeschränkt der Fall.

Derzeit gilt für gesetzliche Krankenkassen eine Bereichsausnahme. Anders als privatwirtschaftliche Unternehmen ist das allgemeine Kartellverbot gemäß §§ 1 bis 3 GWB auf sie nicht anwendbar. Gemäß § 69 SGB V finden lediglich die Vorschriften über die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht – §§ 19 bis 21 GWB – auf gesetzliche Krankenkassen entsprechende Anwendung. Das soll sich nach dem (derzeitigen) Willen der Regierungskoalition nun ändern.

Der am 9. Juli 2010 in erster Lesung behandelte Regierungsentwurf des AMNOG sieht vor, gesetzliche Krankenkassen künftig wie Privatunternehmen dem Kartellrecht zu unterwerfen. In der Begründung heißt es (BT-Ds. 17/2413, S. 44):

„Die §§ 19 bis 21 GWB erfassen das Vorgehen einzelner Krankenkassen und ermöglichen so eine Kontrolle bereits bestehender Marktmacht. Nicht erfasst sind jedoch Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen von Krankenkassen im Sinne des Kartellverbots. Mittlerweile sind Krankenkassen vielfach dazu übergegangen, gemeinsam Verträge abzuschließen. Beispiel hierfür sind gemeinsame Ausschreibungen der Allgemeinen Ortskrankenkassen im Bereich der Rabattverträge in der Arzneimittelversorgung nach § 130a Abs. 8. Da derartige Praktiken von Krankenkassen bei Vertragsabschlüssen von den §§ 19 bis 21 GWB nicht erfasst werden, ist es erforderlich, die Geltungsanordnung des Kartellverbots zu regeln. Die entsprechende Anwendung des § 1 GWB wird daher künftig in den § 69 aufgenommen. Die §§ 2 und 3 GWB, die Freistellungen vom Kartellverbot vorsehen, gelten ebenfalls entsprechend.

Die entsprechende Geltung der §§ 1 bis 3 GWB stellt sicher, dass das Kartellrecht als Ordnungsrahmen umfassend auf die Einzelvertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern Anwendung findet und es auf Nachfrager-, aber auch auf Anbieterseite zu keinen unerwünschten, einer wirtschaftlichen Versorgung abträglichen Wettbewerbsbeschränkungen kommt (Kartellabsprachen und Oligopolbildung).″

Wenig überraschend findet der Vorstoß die Unterstützung des Bundeskartellamtes. Deren Präsident, Andreas Mundt, äußerte sich diesbezüglich am 29. Juli 2010 gegenüber dem Handelsblatt und begrüßte den Vorstoß der Regierung. Es sei wichtig, den Gesundheitsmarkt stärker für den Wettbewerb zu öffnen. Von einer wirksamen Wettbewerbskontrolle – etwa im Hinblick auf Nachfragemacht und Rabattverträge – würden sowohl die gesetzlichen Kassen als auch die Versicherten profitieren.

Ganz anders sehen dies – ebenso wenig überraschend – einige gesetzliche Krankenkassen. Deutliche Kritik kommt vor allem von Seiten des AOK-Bundesverbands. Er dürfte sich besonders negativ betroffen fühlen, weil Rabattverträge für verschiedene Ortskrankenkassen künftig als kartellrechtlich problematisch angesehen werden könnten. Nach Auffassung des Bundesverbands sei das Gesetzesvorhaben in mehrerer Hinsicht zweifelhaft: Es verstoße, wie ein von ihm in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ergeben habe, gegen das europäische Wettbewerbsrecht, sei verfassungsrechtlich bedenklich und habe schwerwiegende Folgen für die Krankenversicherung.

Auch unter den Regierungsparteien scheint noch keine Einigkeit über alle Reformpunkte zu bestehen. So forderte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Johannes Singhammer, kürzlich gegenüber dem Handelsblatt, den kartellrechtlichen Teil der Arzneimittelreform im Laufe des Gesetzgebungsvorhabens noch einmal zu überprüfen. Es dürfe nicht zu einer Konkurrenz zwischen Sozial- und Kartellgerichten kommen, die negative Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Kassen haben könne.

Welchen Argumenten der Gesetzgeber am Ende den Vorzug geben wird, scheint derzeit offen. Es bleibt also in jedem Falle spannend. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil vom Ausgang des Gesetzgebungsprozesses abhängen könnte, ob und wie das im Februar 2010 vom Bundeskartellamt gegen neun Krankenkassen eingeleitete Verfahren wegen des Verdachts der Preisabsprache über Zusatzbeiträge weitergehen wird. Das Bundeskartellamt hatte den Unternehmen förmliche Auskunftsbescheide zugestellt. Es ermittelt, ob der Festlegung und der Bekanntgabe der Zusatzbeiträge der betroffenen Kassen verbotene Kartellabsprachen zugrunde gelegen haben könnten.

Mehrere Kassen bezweifeln jedoch die Zuständigkeit des Bundeskartellamts und lassen dies dem Vernehmen nach derzeit gerichtlich prüfen. Ein klares Wort des Gesetzgebers könnte diesen Streit obsolet werden lassen – damit niemand „AMNOG″ laufen muss…

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