Der Krieg in der Ukraine verschärft Preissteigerungen und Lieferengpässe. Welche Folgen hat das auf bestehende und zukünftige Bauverträge bzgl. Vergütung und Zeit?
Bereits seit einiger Zeit sind erhebliche Preissteigerungen und Lieferengpässe für Baustoffe wie Stahl und Stahllegierungen, Aluminium, Kupfer, Roheisen, Zementprodukte, Erdölprodukte und Holz zu verzeichnen. Bitumen ist etwa im Jahresvergleich des Monats Februar 2021/2022 um +45,4 % im Preis gestiegen (Quelle: Zentralverband des Deutschen Baugewerbes).
Bereits jetzt ist absehbar, dass die Kriegsgeschehnisse in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland die bereits bestehenden Lieferschwierigkeiten bei Baustoffen erheblich verschärfen und zu weiteren beträchtlichen Preissteigerungen führen werden. Denn wichtige Materialien wie Stahl, Roheisen oder Bitumen werden in Russland bzw. der Ukraine und Belarus produziert. Auch die Energiekosten steigen aktuell.
Die öffentliche Hand hat reagiert. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) haben in zwei Erlassen vom 25. März 2022 für Bundesbauten und den Verkehrswegebau Vorgaben zum Umgang mit den aktuellen Lieferengpässen und Preissteigerungen bei wichtigen Baustoffen als Folge des Ukrainekrieges aufgestellt (Wirkung aktuell bis zum 30. Juni 2022). Hiernach soll die öffentliche Hand bei zukünftigen Vorhaben Preisanpassungsklauseln einfacher vorsehen können. Im Erlass wird zudem dargelegt, wann die Anpassung bestehender Verträge nach gesetzlichen Regelungen bzw. der VOB/B erfolgen kann oder muss.
Zwar hat der Erlass keine unmittelbare Wirkung auf die private Bauwirtschaft, gleichwohl gibt er praktisch wichtige Hinweise für den vertraglichen Umgang mit den aktuellen Lieferengpässen und Preissteigerungen.
Anpassung der Vergütung aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage denkbar
Bei bestehenden Bauverträgen stellt sich – soweit keine vertragliche Regelung für diese Fälle vorgesehen ist – die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Auftragnehmer* einen Anspruch auf Anpassung des Vertrages bei Preissteigerungen und Lieferengpässen hat.
Grds. gilt, dass der Auftragnehmer das Materialbeschaffungsrisiko und damit auch das Risiko von Preissteigerungen trägt. Mithin führt keinesfalls jede Veränderung der Wirtschaftslage und der Einkaufskosten zu einem Anspruch auf Vertragsanpassung.
Eine Anpassung kommt praktisch nur in Betracht, wenn die (engen) Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) vorliegen. Voraussetzung ist, dass sich die Umstände, die Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorhergesehen hätten und keiner Partei nach dem Vertrag das Risiko zuzuweisen ist. Die Voraussetzungen sind insoweit sehr hoch. Dennoch kann in Extremfällen die Preissteigerung eines Baustoffes, wie z.B. bei Stahl, Zement- oder Erdölprodukten, aufgrund der unvorhersehbaren Produktknappheit durch den Ukrainekrieg grds. eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB darstellen. Wann eine Preissteigerung eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellt, kann allerdings nicht allgemein gesagt werden. Es kommt auf den Einzelfall an. Die Erlasse von BMWSB und BMDV nennen unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Literatur zu § 2 Abs. 7 VOB/B – der ebenfalls einen Fall der Störung der Geschäftsgrundlage abbildet – Richtwerte zwischen 10 – 29 % an Mengen- bzw. Preissteigerungen. Diese „Richtwerte″ sind schon deswegen kaum verallgemeinerungsfähig, weil in jedem Fall die vorliegende Situation und insbesondere die vertragliche Risikoallokation genau in den Blick zu nehmen ist. Zudem behandelt die in den Erlassen in Bezug genommene Literatur und Rechtsprechung weitgehend den Fall von Mengenmehrungen, der aus hiesiger Sicht nicht automatisch mit dem Fall der Steigerung von Einkaufspreisen gleichgesetzt werden kann.
Selbst wenn ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB grds. bestehen sollte, bedeutet dies nicht, dass die jeweilige Preissteigerung 1 : 1 vollständig an den Auftraggeber „weitergereicht“ werden kann. Es wird richtigerweise jeweils um die Aufteilung des Deltas der Preissteigerung gehen können, die den im Einzelfall ermittelten Schwellenwert übersteigt.
Soweit auch eine preisliche Anpassung des Vertrages als nicht zumutbar erscheint, kommt als Ultima Ratio sogar der Rücktritt vom Vertrag in Betracht (vgl. § 313 Abs. 3 BGB).
Die gleiche Problematik stellt sich aktuell z.B. auch bei Lieferverträgen.
Ferner sind – soweit die jeweiligen weiteren Voraussetzungen gegeben sind – Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche ebenso wie Aufwendungsersatzansprüche gegen den Auftraggeber theoretisch denkbar.
Lieferengpässe können einen Anspruch des Auftragnehmers auf Verlängerung von Ausführungszeiten begründen
Voraussetzung für die Verlängerung von Ausführungszeiten ist, dass ein tatsächliches Hindernis durch einen Fall höherer Gewalt vorliegt, das die Einhaltung der Ausführungsfristen kausal verhindert und dass dieses Hindernis nicht vom Auftragnehmer verschuldet ist. Dies könnte z.B. der Fall sein, wenn Stahlprodukte aufgrund des Krieges nicht aus der Ukraine ausgeführt werden können und diese Produkte nur mit erheblichen Verzögerungen aus anderen Ländern beschaffbar sind.
Soweit die VOB/B vereinbart wurde, können nachgewiesene Verzögerungen in diesem Fall einen Anspruch auf Verlängerung der Bauausführungsfristen begründen, und zwar um die Dauer der Nichtlieferbarkeit des Roh- bzw. Baustoffes zuzüglich eines angemessenen Zuschlags zur Wiederaufnahme der Arbeiten nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/B. Die meisten Bauverträge, die nicht auf den Regelungen der VOB/B beruhen, haben vergleichbare Regelungen. Soweit keine entsprechenden Regelungen vorhanden sind, kann sich ein Anspruch auf Verlängerung der Ausführungsfristen bei einem BGB-Werkvertrag u.U. mittelbar aus §§ 286 Abs. 4, 242 BGB ergeben.
Hervorzuheben ist, dass die Auswirkungen eines Hindernisses auf die Ausführung der einzelnen Gewerke unter dem Gesichtspunkt der Kausalität im Einzelnen darzulegen sind, was einen baubetrieblichen Nachweis erforderlich machen kann. Dies ist im Einzelfall zu prüfen.
Bei der Gestaltung von Bauverträgen dürften Preisanpassungsklauseln relevanter werden
Durch die erheblichen Preissteigerungen und Lieferengpässe in der Bauwirtschaft wird sich die Praxis aktuell noch intensiver mit der vertraglichen Abbildung dieser Risiken beschäftigen müssen. Besonders bei langfristigen Bauverträgen ist zu erwarten, dass auftragnehmerseitig vertragliche Anpassungsmechanismen gefordert werden. Dies kann auch aus Auftraggebersicht oftmals sinnvoll sein, da andernfalls der Auftragnehmer (nachvollziehbarerweise) die Unwägbarkeiten am Markt durch entsprechende Aufschläge auf die angebotenen Leistungen abbilden wird.
In Betracht kommt insbesondere die Vereinbarung sog. Stoffpreis- oder Materialgleitklauseln und Kostenelementeklauseln. Während sich Stoffpreis- oder Materialgleitklauseln auf Preissteigerungen bestimmter Baustoffe beziehen, orientieren sich sog. Kostenelementeklauseln an der Entwicklung eines Kostenelements (Warenpreis und Lohnleistungen).
Die Variationsbreiten solcher Bestimmungen sind erheblich. Häufig werden Preisanpassungsklauseln an Indizes gekoppelt, wie z.B. den vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Baupreisindex. Allerdings ist bei der Auswahl und Abbildung geeigneter projektspezifischer Indizes besondere Vorsicht geboten. Zugleich setzt dieser Ansatz voraus, dass für die Koppelung bestimmter Kostenelemente entsprechend geeignete Indizes existieren.
Alternativ kommt die Berechnung aufgrund tatsächlicher Marktpreise in Betracht. Auch bei dieser Methode ist vertraglich hinreichend präzise festzulegen, welche Einkaufspreise als Ausgangspunkt und für die Anpassung der Preise maßgeblich sind.
Insbesondere ist der zeitliche Anknüpfungspunkt für die Preisanpassung projektspezifisch zu definieren. Dabei ist besondere Sorgfalt bei der Bestimmung des Ausgangszeitpunkts (Vertragsentwurf, Angebotsabnahme etc.) und eines Anpassungszeitpunkts (z.B. Abnahme) geboten. Bei der Verknüpfung mit Indizes besteht in den aktuellen volatilen Zeiten die Schwierigkeit, dass diese nur in größeren zeitlichen Abständen (z.B. Baupreisindex nur vierteljährig) veröffentlicht werden und daher die tatsächlichen kurzfristigeren Preisentwicklungen nicht erfassen können.
Darüber hinaus ist für die Wirksamkeit derartiger Preisgleitklauseln zusätzlich zu prüfen, ob sie den Vorgaben des Preisklauselgesetzes (PrKG) entsprechen.
Die vorgenannten Punkte betreffen nur die wichtigsten Elemente solcher Klauseln. Es ist darauf zu achten, dass diese projektspezifisch und hinreichend präzise formuliert sind. In der Praxis sind vielfach unbestimmte Klauseln und unangemessene Risikoverteilung zu finden.
Wir gehen davon aus, dass sich in naher Zukunft neue Standards für Preisanpassungsklauseln etablieren werden und dass diese ggf. über einen längeren Zeitraum die Vertragspraxis prägen werden.
Die Auswirkungen des Erlasses aus vergaberechtlicher Sicht folgen in Teil 2 dieses Beitrages.