Der Gesetzgeber hat als Lösungsmechanismus einer fehlenden Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für Fälle der zwingenden Mitbestimmung die Einigungsstelle vorgesehen, § 87 Abs. 2 BetrVG.
Die Einigungsstelle ersetzt in den gesetzlich geregelten Fällen die Einigung zwischen den Betriebsparteien. Für Interessenausgleich und Sozialplan gelten einige Besonderheiten. Wir stellen die rechtlichen Grundlagen und praktische Umsetzung des Einigungsstellenverfahrens dar.
Die Einigungsstelle ist ein betrieblicher Konfliktlösungsmechanismus in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten
Die Einigungsstelle ist in den §§ 76 ff. BetrVG geregelt und wird grundsätzlich bei Bedarf gebildet. Die Betriebsparteien können jedoch auch vorsehen, dass eine ständige Einigungsstelle zur Klärung von Meinungsverschiedenheiten zu bestimmten Mitbestimmungsthemen eingerichtet wird (in der Praxis kommt dies häufig z.B. zu Fragen der Dienstplangestaltung oder auch zu IT-Regelungen vor).
Die Einigungsstelle wird durch die Betriebsparteien gebildet. Sie besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern*, die je von Arbeitgeber und Betriebsrat benannt werden, und einem oder einer unparteiischen Vorsitzenden, § 76 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Die Anzahl der Beisitzer beider Seiten bestimmt sich nach der Komplexität des Verhandlungsgegenstandes. In der Regel einigen sich die Parteien auf zwei bis drei Beisitzer – die Zahl kann aber auch höher sein, wenn eine Vielzahl komplexer Themen oder Interessen einzubeziehen sind. Die Lösungsfindung wird jedoch nicht immer durch eine größere Anzahl unterstützt. Auch die Person des unparteiischen Vorsitzenden wird einvernehmlich durch die Betriebsparteien festgelegt (§ 76 Abs. 2 S. 1 BetrVG). In der Praxis nimmt oftmals ein hauptamtlicher (oder ehemaliger) Arbeitsrichter diese Position ein.
Gelingt keine Einigung über die Besetzung der Einigungsstelle wird diese auf Antrag durch das Gericht eingesetzt
Gelingt keine Einigung über die Einsetzung der Einigungsstelle, deren Anzahl an Beisitzern oder Person des unparteiischen Vorsitzenden, bestimmt diese das Arbeitsgericht auf Antrag einer der Parteien, § 76 Abs. 2 S. 2, 3 BetrVG. Der Vorsitzende Richter entscheidet insoweit allein, § 100 Abs. 1 S. 1 ArbGG.
Die Einsetzung unterbleibt nur dann, wenn diese offensichtlich unzuständig wäre, § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Im Übrigen hat die Einigungsstelle selbst ihre Zuständigkeit zu prüfen und im Zweifel festzustellen.
Die Besetzung der Einigungsstelle kann bei fehlender Einigung zu nicht unerheblichen Verzögerungen führen. Zwar ist das Verfahren in der ersten Instanz beschleunigt, § 100 Abs. 1 ArbGG; in der Beschwerdeinstanz vor dem Landesarbeitsgericht gelten hingegen keine Besonderheiten. Die Verfahrensdauer bestimmt sich dann nach Belastung der zuständigen Kammer, so dass sich die Einsetzung über beide Instanzen über einige Monate hinziehen kann.
Die Kosten der Einigungsstelle
Die Kosten der Einigungsstelle hat der Arbeitgeber zu tragen (§ 76a Abs. 1 BetrVG).
Der Vorsitzende und die (externen) Beisitzer haben einen Anspruch auf Vergütung ihrer Tätigkeit gegenüber dem Arbeitgeber (§ 76a Abs. 3 S. 1 BetrVG). Betriebsangehörige Beisitzer haben hingegen keinen Anspruch auf (gesonderte) Vergütung, sind aber gegen Fortzahlung ihres regulären Arbeitsentgelts von ihrer Arbeitstätigkeit freizustellen (§§ 76a Abs. 2 S. 1, 37 Abs. 2 BetrVG).
Die Vergütung des Vorsitzenden ist im Einzelfall mit diesem zu vereinbaren. Üblich sind Tagessätze zwischen 2.500 EUR and 4.000 EUR (zzgl. Spesen bzw. ggf. gesonderten Vereinbarungen zur Berechnung von Reise- und Vorbereitungszeit). Die (externen) Beisitzer erhalten dabei regelmäßig einen Anteil von 70 % der Vergütung des Vorsitzenden.
Durch Tarifvertrag kann bestimmt werden, dass an die Stelle der betrieblichen Einigungsstelle eine tarifliche Einigungsstelle tritt.
Die Einigungsstelle kann durch jede Betriebspartei angerufen werden
Anrufen können die Einigungsstelle der (Konzern-, Gesamt- oder Einzel-)Betriebsrat (je nach Zuständigkeit für die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit) und der Arbeitgeber. In Angelegenheiten, die der zwingenden Mitbestimmung unterliegen (etwa im Bereich der sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG oder bei der Aufstellung eines Sozialplans §§ 111, 112 Abs. 4 BetrVG), genügt der Antrag einer Seite. Stellt nur eine Seite den Antrag, so muss sich aus diesem ergeben, ob die Einigungsstelle im verbindlichen Einigungsverfahren tätig werden soll.
Soweit Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auf dem Gebiet der freiwilligen Mitbestimmung bestehen, bedarf es eines Antrags bzw. des Einverständnisses beider Seiten. Andernfalls kann die Einigungsstelle nicht tätig werden.
Das Verfahren vor der Einigungsstelle
Die Einigungsstelle hat nach ihrer Anrufung unverzüglich tätig zu werden, § 76 Abs. 3 S. 1 BetrVG. Dies erfolgt in der Regel durch Erfassen des Sachverhalts und Anberaumung und Ladung zu einem Verhandlungstermin durch den Vorsitzenden. Häufig bietet es sich daher an, dem Vorsitzenden frühzeitig eine detaillierte Sachverhaltsdarstellung zukommen zu lassen. Im Verfahren wird zunächst versucht, doch eine Einigung der Betriebsparteien herbeizuführen. Gelingt dies auch im Einigungsstellenverfahren nicht einvernehmlich, fasst die Einigungsstelle ihren Beschluss nach erfolgter mündlicher Beratung mit einfacher Stimmenmehrheit, § 76 Abs. 3 S. 3 BetrVG. Damit kommt der Stimme des Vorsitzenden letztlich entscheidendes Gewicht zu.
Die Beschlüsse sind schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterzeichnen und anschließend den Betriebsparteien zuzuleiten.
In den Fällen der erzwingbaren Mitbestimmung ersetzt der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, § 87 Abs. 2 BetrVG. D.h. der Spruch der Einigungsstelle hat dann die Wirkung einer Betriebsvereinbarung und gilt unmittelbar und zwingend, vgl. § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG.
Etwas anderes gilt, wenn es sich um Gegenstände freiwilliger Mitbestimmung handelt: Hier hat der Spruch der Einigungsstelle nur dann unmittelbare und zwingende Wirkung, wenn sich die Betriebsparteien diesem im Voraus unterworfen haben. Ihnen steht es aber natürlich auch frei, einen nicht zwingenden Spruch als verbindlich anzuerkennen.
Die Besonderheiten der Einigungsstelle in Fällen einer Betriebsänderung
Beabsichtigt der Arbeitgeber einschneidende Restrukturierungs- oder Transformationsmaßnahmen – insbesondere Einschränkungen oder Stilllegungen wesentlicher Teile bzw. des gesamten Betriebs, Verlegungen von wesentlichen Betriebsteilen oder des gesamten Betriebs, Zusammenschlüsse und Spaltungen von Betrieben, grundlegende Änderungen in der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen sowie die Einführung neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren, d.h. eine Betriebsänderung im Sinne des BetrVG – sind die Beteiligungsrecht der Arbeitnehmervertreter nach den §§ 111 BetrVG zu beachten:
Der Arbeitgeber hat einen Interessenausgleich zu versuchen
Der Arbeitgeber hat zu versuchen, einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zu abzuschließen. Ein Interessenausgleich beschreibt das Ob, Wie und Wann der Einzelheiten der Betriebsänderung. Kommt hierüber keine Einigung zustande, kann die Einigungsstelle nach dem Gesetzeswortlaut angerufen werden, § 112 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Letztlich stellt die Anrufung (anders als das Vermittlungsersuchen an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, § 112 Abs. 2 S. 1 BetrVG) aber ein „Muss“ dar. Denn setzt der Arbeitgeber interessenausgleichpflichtige Maßnahmen ohne den vorherigen Versuch einer Einigung über den Interessenausgleich um, so drohen erhebliche Konsequenzen: Je nach zuständigem Landesarbeitsgericht droht auf Antrag des Betriebsrats eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Maßnahme (einen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bejahend: LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10. Dezember 2020 – 26 TaBVGa 1498/20; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 6. Januar 2021 – 4 TaBVGa 6/20; LAG Hessen, Beschluss v. 19. Januar 2010 – 4 TaBVGa 3/10; LAG München, Beschluss v. 22. Dezember 2008 – 6 TaBVGa 6/08; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 15. Dezember 2010 – 3 TaBVGa 12/10; LAG Thüringen, Beschluss v. 18. August 2003 – 1 Ta 104/03; einen solchen ablehnend: LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 27. August 2014 – 4 TaBVGa 4/14; LAG Köln, Beschluss v. 27. Mai 2009 – 2 TaBVGa 7/09; LAG München, Beschluss v. 28. Juni 2005 – 5 TaBV 46/05; LAG Niedersachsen, Beschluss v. 29. November 2002 – 12 TaBV 111/02; LAG Nürnberg, Beschluss v. 9 März 2009 – 6 TaBVGa 2/09; LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 21. Oktober 2009 – 20 TaBVGa 1/09).
Jedenfalls drohen erhebliche Nachteilsausgleichsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer nach § 113 BetrVG – diese können sich bei einer betriebsbedingten Kündigung ohne Versuch des Interessenausgleichs – je nach Alter und Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers – auf bis zu 1,5 Jahresgehälter belaufen, § 10 KSchG. Nach der Rechtsprechung ist ein ausreichender Versuch, einen Interessenausgleich abzuschließen, nur dann unternommen worden, wenn der Arbeitgeber die Einigungsstelle angerufen hat und diese das Scheitern der Verhandlungen feststellt (vgl. BAG, Urteil v. 7. November 2017 – 1 AZR 186/16; BAG, Urteil v. 16. Mai 2007 – 8 AZR 693/06).
Dabei kann die Einigungsstelle – anders als sonst in Fällen erzwingbarer Mitbestimmung – die fehlende Einigung der Betriebsparteien zum Interessenausglich nicht ersetzen. Die Einigungsstelle stellt also nicht selbst einen Interessenausgleich auf. Sie kann nur das Scheitern der Verhandlungen feststellen. Im Anschluss ist der Arbeitgeber berechtigt, die geplanten Maßnahmen umzusetzen. Im Hinblick auf wirtschaftliche Angelegenheiten bleibt es letztlich bei der Entscheidung des Arbeitgebers – auch wenn nach der Rechtsprechung die Pflicht besteht, das Einigungsstellenverfahren zu durchlaufen. Der Betriebsrat kann damit also die Umsetzung von Maßnahmen über das Einigungsstellenverfahren (und insbesondere deren Einsetzung) verzögern – die Maßnahme als solche kann der Betriebsrat aber im Ergebnis nicht verhindern.
Die Einigungsstelle kann selbst einen Sozialplan aufstellen
Weitreichender sind die Kompetenzen der Einigungsstelle im Hinblick auf den Sozialplan. Hier ersetzt der Spruch der Einigungsstelle die fehlende Einigung der Betriebsparteien: Die Einigungsstelle kann also selbst einen Sozialplan aufstellen – dabei ist sie weder an den letzten Verhandlungsstand der Betriebsparteien noch an einzelne Vorstellungen der Arbeitgeber- oder Betriebsratsseite gebunden. Vielmehr entscheidet sie über das Gesamtvolumen des Sozialplans und dessen Verteilung nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen. Dabei hat sie im Hinblick auf die Aufstellung eines Sozialplans die Grenzen des § 112 Abs. 5 BetrVG zu beachten. Danach sind die Leistungen als Ausgleich für bzw. Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen vorzusehen, die Einzelfällen Rechnung tragen und die folgenden Aspekte berücksichtigen:
- Ausmaß von Einkommensminderungen
- Wegfall von Sonderleistungen
- Verlust von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung
- Umzugskosten, erhöhte Fahrtkosten
- Aussichten der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt
- Verhalten der Arbeitnehmer (etwa Ausschlagen von zumutbaren Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten)
- arbeitsförderungsrechtliche Maßnahmen, etwa die Einrichtung von Transfergesellschaften (Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, sog. BQG) oder (Transfer-) Kurzarbeitergeld
- Fortbestand des Unternehmens und die
- Gefährdung von verbleibenden Arbeitsplätzen.
(ausführlich zu den Grenzen der Sozialplandotierung)
Ausnahmen bestehen in der Insolvenz: hier ist das Gesamtvolumen des Sozialplans gesetzlich absolut und relativ begrenzt, vgl. § 123 InsO.
Die Entscheidungen der Einigungsstelle können gerichtlich überprüft werden
Bei ihrer Entscheidung hat die Einigungsstelle ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen zu treffen. Die genannten Punkte formen das „billige Ermessen“ aus, das die Einigungsstelle zu beachten hat. Ob dies hinreichend erfolgt ist, unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Die Einhaltung dieser Grenzen können Arbeitgeber und/oder Betriebsrat binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zuleitung des Beschlusses der Einigungsstelle vor dem Arbeitsgericht überprüfen lassen, § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG.
Rechtsfehler, also Verstöße der Einigungsstelle gegen gesetzliche Vorschriften (z.B. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz), können unabhängig von der Zwei-Wochen-Frist geltend gemacht werden. Die Frist findet darüber hinaus auch bei einem Spruch der Einigungsstelle in Fällen der freiwilligen Mitbestimmung keine Anwendung.
Bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bleibt der Einigungsstellenspruch für die Betriebspartner verbindlich. Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs hat keine suspendierende Wirkung (so LAG Köln, Beschluss v. 20. April 1999 – 13 Ta 243/98 oder auch: Hessisches LAG, Beschluss v. 16. Dezember 2004 – 4 Ta 165/04). Stellt das Arbeitsgericht auf entsprechenden Feststellungsantrag durch rechtskräftigen Beschluss dann aber fest, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam oder nichtig ist, so ist die Rechtswirkung des Spruchs für und gegen den Arbeitgeber, den Betriebsrat und alle Arbeitnehmer mit Rückwirkung (ex tunc) beseitigt. Daneben kann der Vollzug eines Einigungsstellenspruchs, der offensichtlich unwirksam ist, im Wege der einstweiligen Verfügung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ausgesetzt werden (LAG Köln, Beschluss v. 20. April 1999 – 13 Ta 243/98).
Besonderheiten gelten beim Einigungsstellenspruch über einen Sozialplan: Die individualrechtlichen Ansprüche der Betroffenen auf Zahlung von Abfindungen werden aufgeschoben, solange die Betriebsparteien vor Gericht um die Wirksamkeit des Spruches streiten.
Fazit: Die Einigungsstelle als Lösungsmechanismus
Das Einigungsstellenverfahren ist der gesetzlich vorgesehene Konfliktlösungsmechanismus, soweit sich die Betriebsparteien zu mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nicht einigen können. Zu einer zeitlichen Verzögerung kann es hierbei insbesondere kommen, wenn die Parteien Anzahl der Beisitzer und den Vorsitzenden mangels Einigung gerichtlich bestimmen lassen müssen. Die Einigungsstelle ist bei ihrem verbindlichen Spruch nicht an die Vorstellungen der Betriebsparteien gebunden. Für den Sozialplan gibt der Gesetzgeber einen gewissen Rahmen vor, dessen Einhaltung wiederum gerichtlich überprüft werden kann. Wie stets gilt auch im Hinblick auf das Einigungsstellenverfahren, dass eine gute Vorbereitung die Durchführung und den Abschluss des Verfahrens und dessen Ergebnis positiv beeinflusst.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.