19. Juni 2019
Restrukturierungsrahmen Entschuldung Unternehmer
Präventive Restrukturierung

Präventiver Restrukturierungsrahmen – Volle Entschuldung insolventer Unternehmer

Neben der vorinsolvenzlichen Restrukturierung enthält die Restrukturierungsrichtlinie in Art. 20 bis 24 Regelungen zur vollen Entschuldung eines insolventen Unternehmers.

Die Restrukturierungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Möglichkeit der vollen Entschuldung eines insolventen Unternehmers innerhalb einer Höchstfrist von drei Jahren sowie die Aufhebung eines damit zusammenhängenden Tätigkeitsverbots sicherzustellen. Ein Unternehmer im Sinne der Restrukturierungsrichtlinie ist dabei eine natürliche Person, die eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt.

Einheitliche Regelungen zur Entschuldung von Unternehmern in Europa

Hintergrund der Neuregelung ist, dass die unterschiedlichen Regelungen zur Entschuldung in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu einem Ungleichgewicht in Europa und zu zahlreichen Sitzverlegungen kriselnder Unternehmen führten. Für Schuldner bedeuteten die unterschiedlichen Regelungen bisher teils höhere Kosten für die Umsetzung eines Neubeginns sowie häufig eine Behinderung der unternehmerischen Freiheit durch lange Tätigkeitsverbote. Auch ein gleicher Zugang zu Kreditgewährungen war seither praktisch unmöglich. Darüber hinaus belastet das Stigma des „Scheiterns″ Unternehmer schwer, sodass in einigen EU-Ländern kaum positive Anreize bestanden, die Krise zu überwinden und einen Neustart zu wagen.

Nicht nur für Schuldner, sondern auch für deren Gläubiger brachten die bisherigen Regelungsunterschiede zahlreiche Nachteile mit sich. Die häufigen Sitzverlegungen, um von besseren Voraussetzungen in den Nachbarstaaten zu profitieren, führten für die Gläubiger insolventer Unternehmer häufig zu Rechtsunsicherheiten und erhöhten Kosten für die Auslandsvollstreckung. Mit der langen Dauer von Entschuldungsverfahren gingen oftmals ein erheblicher Wertverlust des betreffenden Unternehmens und niedrigere Befriedigungsquoten für Gläubiger einher. Dies schreckte letztlich auch künftige Investoren ab, die ein langwieriges und kostspieliges Restrukturierungsverfahren fürchteten.

Volle Entschuldung und Aufhebung von Tätigkeitsverboten – die beiden Säulen der Neuregelung

Die Restrukturierungsrichtlinie legt fest, dass die Mitgliedstaaten insolventen Unternehmern Zugang zu mindestens einem Verfahren ermöglichen müssen, das zur vollen Entschuldung führt. Volle Entschuldung bedeutet dabei, dass die Eintreibung ausstehender Schulden im Zusammenhang mit einem Verfahren, das eine Verwertung von Vermögenswerten oder einen Tilgungsplan vorsieht, ausgeschlossen ist, oder dass diese Schulden erlassen werden. Die Mitgliedstaaten, in denen die volle Entschuldung von einer teilweisen Tilgung der Schulden abhängig ist, haben sicherzustellen, dass diese Tilgungspflicht während der Entschuldungsfrist zwingend der finanziellen Situation des einzelnen Unternehmers einerseits und dem berechtigten Gläubigerinteresse andererseits angepasst wird.

Die Restrukturierungsrichtlinie legt für alle Mitgliedstaaten für die Entschuldung eine Höchstfrist von drei Jahren fest. Die Frist beginnt ab gerichtlicher oder behördlicher Bestätigung oder Umsetzung eines Tilgungsplans oder ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Mitgliedstaaten werden ferner verpflichtet, sicherzustellen, dass die Entschuldung nach Ablauf der Entschuldungsfrist ohne weiteren Antrag automatisch stattfindet, sofern der insolvente Unternehmer seinen nach nationalem Recht bestehenden Verpflichtungen nachgekommen ist.

Darüber hinaus ermöglicht die Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten, die gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit, mit der die Schulden eines insolventen Unternehmers im Zusammenhang stehen, einzustellen. Ein allein aufgrund der Insolvenz des Unternehmers erlassenes Tätigkeitsverbot muss jedoch nach Ablauf der Entschuldungsfrist ohne weiteren Antrag außer Kraft treten.

Die Restrukturierungsrichtlinie legt weiter fest, dass berufliche und private Schulden, sofern sie nicht sinnvoll voneinander getrennt werden können und für eine Entschuldung in Frage kommen, in einem gemeinsamen Verfahren zu behandeln sind.

Abweichungsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten

Die Restrukturierungsrichtlinie öffnet die Vorschriften zur vollen Entschuldung insolventer Unternehmer für die Mitgliedstaaten an mehreren Stellen. So können diese beispielsweise strengere Regelungen für den Schuldner vorsehen, der unredlich oder bösgläubig im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften gegenüber Gläubigern oder sonstigen Interessenträgern gehandelt hat. Die Restrukturierungsrichtlinie ermöglicht den Mitgliedstaaten hier, den Zugang zur Entschuldung zu beschränken oder die Vorteile der Entschuldung zu widerrufen. Sie können ferner beispielsweise längere Fristen für die Entschuldung oder Tätigkeitsverbote vorsehen oder bestimmte Schuldenkategorien von der Entschuldung ausnehmen.

Im Zentrum steht dabei, wie sich aus dem Katalog der Abweichungsmöglichkeiten ergibt, die Besserstellung des redlichen Schuldners. So sind insbesondere Verstöße gegen Tilgungspläne oder die missbräuchliche Beantragung eines Entschuldungsverfahrens zu sanktionieren. Gleiches gilt für einen Verstoß gegen Informationspflichten oder gegen gesetzliche Verpflichtungen zur Zusammenarbeit. Zu den möglichen ausschließbaren Schuldenkategorien zählen insbesondere Schulden, die besichert sind oder solche, die aus strafrechtlichen Sanktionen oder deliktischer Haftung entstanden sind. Des Weiteren können auch die Schulden ausgenommen werden, die nach dem Antrag auf ein zur Entschuldung führendes Verfahren oder nach dessen Eröffnung entstanden sind.

Volle Entschuldung insolventer Unternehmer – Die Frage der Praxistauglichkeit

Die von der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehene Höchstfrist von drei Jahren für die volle Entschuldung insolventer Unternehmer ist angesichts der bisherigen Regelungen des deutschen Rechts zur Restschuldbefreiung bei natürlichen Personen verhältnismäßig kurz.

Nach deutschem Recht beträgt die Wohlverhaltensphase sechs Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zwar trägt die von der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehene dreijährige Frist dem Interesse von Schuldnern und Gläubigern an der Beschleunigung des Restrukturierungsverfahrens Rechnung, doch erscheint diese Zeitspanne im Vergleich zum deutschen Recht äußerst knapp bemessen.

Darüber hinaus eröffnet die Restrukturierungsrichtlinie zahlreiche Abweichungsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten. Das Ziel der Angleichung der Vorschriften in den verschiedenen Mitgliedstaaten zur Vermeidung der Ausnutzung der bestehenden Regelungsunterschiede ist damit letztlich in Frage gestellt. Es bleibt abzuwarten, ob sich die neuen Regelungen in der Restrukturierungsrichtlinie in der Praxis bewähren und das Ziel der Vereinheitlichung erreicht werden kann.

Der Beitrag ist Teil unserer Blogreihe zum Präventiven Restrukturierungsrahmen. Es erschien bereits ein Beitrag zu den Moratorien und zu den Restrukturierungsplänen. Anschließend haben wir uns mit den Pflichten der Unternehmensleitung, dem Schutz von Finanzierungen und Finanzierungsgebern sowie den Restrukturierungsbeauftragten und Verwaltern befasst. Zuletzt sind wir auf die Entschuldung insolventer Unternehmer eingegangen.

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