Auch ein Haustarifvertrag kann Ziel von Arbeitskampfmaßnahmen sein und insbesondere durch einen Streik erzwungen werden.
Es gibt unterschiedliche Arten von Tarifverträgen. Die wohl bekannteste Form ist der Verbandstarifvertrag. Er wird zwischen einem oder mehreren Arbeitgeberverbänden auf der einen und einer oder mehreren Gewerkschaften auf der anderen Seite geschlossen. Der einzelne Arbeitgeber ist kraft seiner Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband an den Verbandstarifvertrag gebunden (§ 3 Abs. 1 TVG). Dies hat den Vorteil, dass die abgeschlossenen Tarifverträge ohne jeglichen Verhandlungsaufwand automatisch unmittelbar gelten. Gewichtiger Nachteil ist jedoch neben der weitgehenden Fremdbestimmtheit und sehr begrenzten Möglichkeit der Einflussnahme auf die Tarifverhandlungen und -abschlüsse, die mangelnde Berücksichtigung der wirtschaftlichen, betriebsorganisatorischen und personellen Unternehmenssituation.
Hiervon zu unterscheiden ist die Möglichkeit von Arbeitgeberverband und Gewerkschaft, für einzelne oder mehrere Arbeitgeber oder für eine Tarifgruppe sog. firmenbezogene Verbandstarifverträge abzuschließen. Der Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags bezieht sich auf ein oder mehrere betroffene Mitgliedsunternehmen. Ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag ermöglicht, die Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten des Unternehmens, z.B. durch Anpassungen der flächentariflichen Arbeitszeitregelungen an die betrieblichen Abläufe. Die Vertretung und Verhandlungsführung durch den Verband kann für den Arbeitgeber ein Vorteil sein. Sie kann allerdings zu einer ungewollten Fremdbestimmtheit führen, insbesondere wenn der Verband in den Verhandlungen eigene verbandspolitische Interessen schützt oder verfolgt.
Sind statt eines Arbeitgeberverbands ein einzelner oder mehrere einzelne Arbeitgeber Tarifvertragspartei, handelt es sich um einen sog. Haus- oder Firmentarifvertrag. Da die Eintragung von Haustarifverträgen in ein zentrales Register nicht gesetzlich vorgegeben ist, können kaum Aussagen über die Bedeutung von Haustarifverträgen im Tarifsystem und deren Entwicklung getroffen werden. Im Jahr 2018 waren allerdings laut der Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamts ein Prozent der Betriebe in Deutschland und 4 Prozent der Arbeitnehmer durch einen Haustarifvertrag gebunden (Quelle: Verdienststrukturerhebung 2018, Tarifbindung nach Betrieben und Wirtschaftszweigen – Statistisches Bundesamt (destatis.de)).
Der Vorteil eines Haustarifvertrags liegt in seiner Sachnähe. Da er individuell zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft verhandelt wird, können seine Inhalte – anders als beim Verbandstarifvertrag – konkret auf die Besonderheiten und Gegebenheiten des Unternehmens zugeschnitten werden. So kann der Haustarifvertrag dazu beitragen, dass die Arbeitsbedingungen im Unternehmen verbessert werden, denn er ermöglicht eine betriebsnahe Tarifpolitik. Hierdurch wird die Wettbewerbsfähigkeit als Unternehmen und die Attraktivität als Arbeitgeber gesteigert.
Die Verhandlung eines auf die individuellen Besonderheiten des Unternehmens zugeschnittenen Haus- oder Firmentarifvertrags oder firmenbezogenen Verbandstarifvertrags kann daher aus Arbeitgebersicht günstiger sein. Entscheidet sich der Arbeitgeber für den Abschluss eines Haustarifvertrags sollte er unbedingt im Vorfeld abklären, ob eine entsprechende Verhandlungsbereitschaft auf Seiten der zuständigen Gewerkschaft und – sofern der Arbeitgeber einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag präferiert – auch des Arbeitgeberverbands vorliegt.
Arbeitgeber sollten beim Abschluss von Haustarifverträgen aber berücksichtigen, dass sie nicht nur die Kosten der Tarifvertragsverhandlungen tragen müssen, sondern im Falle eines Arbeitskampfes die finanzielle Unterstützung durch den Arbeitgeberverband nicht greift. Außerdem kann der Arbeitgeber als vertragsschließende Partei von der Gewerkschaft auf Einhaltung und Durchführung der tarifvertraglichen Pflichten in Anspruch genommen werden.
Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers
Die Tariffähigkeit, d.h. die Möglichkeit, als einzelner Arbeitgeber Haustarifverträge abzuschließen ergibt sich unmittelbar aus dem Grundgesetz (Art. 9 Abs. 3 GG) und findet ihre einfachgesetzliche Umsetzung in § 2 Abs. 1 TVG. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers soll sicherstellen, dass die Gewerkschaften einen potentiellen Partner finden, mit dem ein Tarifvertrag verhandelt und abgeschlossen werden kann, auch wenn sich auf Arbeitgeberseite keine Koalition gebildet hat. Aus diesem Grund ist auch weder ein Verzicht des Arbeitgebers auf die Tariffähigkeit möglich noch bedarf es einer besonderen Tarifwilligkeit des Arbeitgebers. Ausschlaggebend ist allein die Arbeitgebereigenschaft, wobei es genügt, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern vorgesehen ist (BAG, Beschluss v. 1. August 2017 – 9 AZB 45/17; BAG, Urteil v. 24. Juni 1998 – 4 AZR 208/97).
Erzwingbarkeit eines Haustarifvertrags durch Streik
Ebenso wie ein Verbandstarifvertrag kann auch der Abschluss eines Haustarifvertrags durch einen Streik erzwungen werden.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines solchen Streiks gelten die allgemeinen Voraussetzungen. Das heißt, auch ein Streik, der auf den Abschluss eines Haustarifvertrags gerichtet ist, muss
- auf einen rechtmäßigen Tarifvertrag abzielen,
- gewerkschaftlich organisiert sein,
- eine bestehende Friedenspflicht wahren und
- verhältnismäßig sein.
Selbstverständlich kann sich ein Arbeitgeber auch gegen einen rechtswidrigen Streik zur Wehr setzen, dessen Ziel der Abschluss eines Haustarifvertrags ist.
Kampfgegner eines auf den Abschluss eines Haustarifvertrags gerichteten Streiks ist der einzelne Arbeitgeber. Unproblematisch ist dies, wenn der Arbeitgeber keinem Arbeitgeberverband angehört, Mitglied ohne Tarifbindung in einem solchen ist oder der Arbeitgeberverband, dem er angehört, keinen geltenden Verbandstarifvertrag geschlossen hat.
Ein Haustarifvertrag kann jedoch grundsätzlich auch gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber durch Streik erzwungen werden (BAG, Urteil v. 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02). Allein der Umstand, dass gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ein Firmentarifvertrag erzwungen werden soll, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Streiks. Allerdings greift zugunsten des organisierten Arbeitgebers die Friedenspflicht aus einem Verbandstarifvertrag, d.h. er darf von der tarifschließenden Gewerkschaft während der Laufzeit eines für ihn geltenden Verbandstarifvertrages nicht zu Verhandlungen und zum Abschluss eines Haustarifvertrages gezwungen werden, dessen Regelungsgegenstand bereits in einem Verbandstarifvertrag geregelt ist oder der Gegenstand der Tarifvertragsverhandlungen war. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass die Erzwingung eines ergänzenden Haustarifvertrags möglich ist.
Losgelöst davon können Arbeitgeber, die aufgrund Verbandszugehörigkeit an einen für sie gültigen Verbandstarifvertrag gebunden sind, jederzeit freiwillig einen konkurrierenden oder ergänzenden Haustarifvertrag abschließen (BAG, Urteil v. 4. April 2001 – 4 AZR 237/00).
Abschluss eines Haustarifvertrags trotz Tarifbindung kraft Verbandszugehörigkeit möglich
Regelmäßig untersagen Satzungen der Arbeitgeberverbände den verbandsangehörigen Arbeitgebern den Abschluss von Haustarifverträgen. Eine solche Regelung wirkt allerding lediglich verbandsintern, also zwischen Arbeitgeber und Arbeitgeberverband, und nicht gegenüber den Gewerkschaften (BAG, Urteil v. 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02). Sie stehen der Wirksamkeit eines dennoch abgeschlossenen Haustarifvertrags also nicht entgegen; ebenso wenig wird ein auf einen Haustarifvertrag gerichteter Streik durch eine solche verbandsinterne Regelung rechtswidrig (BAG, Urteil v. 4. April 2001 – 4 AZR 237/00). Allerdings verstößt der verbandangehörige Arbeitgeber durch den Abschluss des Haustarifvertrags gegen seine Verbandspflichten und riskiert auf diese Weise unter Umständen Verbandsstrafen.
Wird der Haustarifvertrag mit der Gewerkschaft abgeschlossen, die auch Tarifpartei des Verbandstarifvertrags ist, geht er dem Verbandstarifvertrag als speziellere Regelung vor, soweit es sich um die gleichen Regelungsbereiche handelt (sog. Tarifkonkurrenz). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Haustarifvertrag zu Lasten der Arbeitnehmer bestimmte Regelungen verdrängt. Wird der Haustarifvertrag hingegen mit einer Gewerkschaft abgeschlossen, die nicht Partei des Verbandstarifvertrags ist, ist der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden (sog. Tarifpluralität). Überschneiden sich die Geltungsbereiche des nicht inhaltsgleichen Verbands- und des Haustarifvertrags, setzen sich in dem betroffenen Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft durch, die im Zeitpunkt der Kollision die meisten Mitglieder im Betrieb hat (§ 4a Abs. 2 TVG).
Wahl des passenden Haustarifvertrages
Vor Abschluss des Haustarifvertrags sollte der Arbeitgeber sich zudem Gedanken über den passenden Inhalt machen. Inhaltlich werden Haustarifverträge häufig als Anwendungstarifverträge oder modifizierte Anwendungstarifverträge ausgestaltet. Bei einem reinen Anwendungstarifvertrag werden die Bestimmungen eines oder mehrerer anderer Tarifverträge – in der Regel diejenigen der räumlich und fachlich einschlägigen Verbandstarifverträge – in Bezug genommen und deren Anwendung vereinbart. Vorteil ist der geringe Vorbereitungs- und Verhandlungsaufwand sowie die Möglichkeit einer nur statischen Anerkennung des in Bezug genommenen Tarifvertrags. Bei der dynamischen Inbezugnahme eines anderen Tarifvertrags entsteht dagegen eine Bindung an die künftigen Tarifentwicklungen und -abschlüsse ohne Einflussmöglichkeit des Arbeitgebers. Nachteil ist außerdem, dass ein reiner Anerkennungstarifvertrag nicht die individuelle Unternehmenssituation berücksichtigt. Verbreiteter und in der Regel vorzugswürdig sind daher sog. modifizierte Anwendungstarifverträge. Hierbei übernehmen die Tarifvertragsparteien für bestimmte Regelungsbereiche, die auf Verbandsebene bestehenden Tarifregelungen, während für einzelne Themengebiete (z.B. Arbeitszeit, Entgelthöhe) spezielle Regelungen für die unter den Geltungsbereich des Haustarifvertrags fallenden Beschäftigten ausgehandelt werden. Schließlich kann ein Haustarifvertrag auch ohne Orientierung an existierenden Tarifverträgen „auf der grünen Wiese“ verhandelt werden. Der hiermit verbundene Verhandlungsaufwand ist jedoch relativ hoch.
Tarifliche Sperrwirkung erfordert Bestandsaufnahme der geltenden Betriebsvereinbarungen und betrieblich streitiger Regelungsgegenstände
Bestandteil der Vorbereitung der Verhandlung eines Haustarifvertrags sollte neben einer Analyse betrieblich streitiger Regelungsgegenstände, stets eine Bestandsaufnahme der Betriebsvereinbarungen sein, die im Geltungsbereich des zu verhandelnden Tarifvertrags Anwendung finden. Hintergrund ist, dass durch abschließende tarifliche Regelungen eine Sperrwirkung für bestehende Betriebsvereinbarungen und den Abschluss künftiger Betriebsvereinbarungen herbeigeführt werden kann. Betriebliche Streitsituationen können auf die tarifliche Ebene verlagert und befriedet werden. Der betriebsverfassungsrechtlich geltende Tarifvorbehalt (§ 77 Abs. 3 BetrVG) bzw. Tarifvorrang (§ 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG) schließt Betriebsvereinbarungen aus, soweit der Tarifvertrag bestimmte Arbeitsbedingungen tatsächlich regelt. Dies ist der Fall, wenn und soweit der Tarifvertrag eine inhaltliche Sachregelung enthält. Insoweit ist jede Regelung durch Betriebsvereinbarung – auch durch eine günstigere – unzulässig.
Die Herbeiführung einer Sperrwirkung durch Regelungen im Haustarifvertrag setzt jedoch eine entsprechende Bereitschaft der Gewerkschaft voraus. Nicht auszuschließen ist, dass Gewerkschaft und Betriebsräte sich eng über die Regelungsgegenstände des Haustarifvertrags abstimmen und die Gewerkschaft in den Verhandlungen Rücksicht darauf nimmt, die betrieblichen Regelungen durch den Tarifvertrag – ggf. durch Verhandlung sog. Öffnungsklauseln – unberührt zu lassen. Es kann zu einer besonderen taktischen Herausforderung in Haustarifvertragsverhandlungen werden, wenn Gewerkschaft und Betriebsrat versuchen, die Rosinen aus den Betriebsvereinbarungen und dem Tarifvertrag, an dem sich die Tarifparteien orientieren, herauszupicken.
Vereinbarung von Öffnungsklauseln
Schließlich sollte im Vorfeld der Verhandlungen geprüft werden, für welche Regelungsgegenstände Öffnungsklauseln im Haustarifvertrag vereinbart werden sollen. Dies kann angezeigt sein, wenn ein Bedürfnis besteht, dass Regelungen auf betrieblicher Ebene flexibel und schnell geändert werden können. Auch wenn eine Thematik sehr komplex ist, kann eine abschließende tarifliche Regelung den zeitlichen Rahmen von Tarifverhandlungen sprengen. Dann bietet es sich ggf. an, lediglich Eckpfeiler im Haustarifvertrag festzulegen und die weitere Ausgestaltung der Regelung auf die betriebliche Ebene zu verlagern.
Fazit: Ein Haustarifvertrag kann sinnvoll sein
Verbandstarifverträge passen häufig nicht zu den Besonderheiten eines Unternehmens. „Maßgeschneiderte“ Regelungen in einem Haustarifvertrag können dem Rechnung tragen.
Sowohl die Entscheidung für die passende Form des Haustarifvertrags als auch die taktischen Herausforderungen der Verhandlungsführung erfordern eine sorgfältige Vorbereitung unter Berücksichtigung der individuellen Unternehmenssituation. Entschließt sich der Arbeitgeber nicht aus freien Stücken zum Abschluss eines Haustarifvertrags, kann der Abschluss eines solchen durch Streik erzwungen werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der betroffene Arbeitgeber Mitglied in einem Arbeitgeberverband ist.
In unserer Serie veröffentlicht haben wir bereits einen Überblick über das Thema Arbeitskampf und einem Beitrag zu den Anforderungen auf Gewerkschaftsseite. Es folgten Beiträge zu den Folgen für die Vergütungs- und Beschäftigungspflicht, zu den Vorbereitungen auf und dem Verhalten beim Arbeitskampf und zum Rechtsschutz gegen Arbeitskampfmaßnahmen.
Ergänzend hierzu weisen wir Sie gerne auf unseren Podcast zu diesem Thema hin, den Sie hier finden.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.