Nach den aufgetretenen Corona-Häufungen reagiert die Bundesregierung mit einem Maßnahmen-Paket auf Missstände in der Fleischwirtschaft.
Die Fleischwirtschaft steht nicht zum ersten Mal in der Kritik. Aber größere Corona-Infektionen bei Beschäftigten in Schlachtbetrieben brachten die Arbeitsbedingungen in diesem Sektor ein weiteres Mal in den öffentlichen Fokus und die Diskussion. Die Bundesregierung reagiert mit einem Maßnahmenplan.
Kritische Arbeitsbedingungen: Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Fleischwirtschaft fragwürdig
In mehreren Fleischfabriken gab es in den letzten Wochen zahlreiche Covid-19-Fälle. Die Fleischwirtschaft, so jedenfalls der Eindruck, ist in Deutschland geprägt von Beschäftigten, die nicht bei den Fleischfabriken angestellt sind, sondern im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassungen und Werkverträgen eingesetzt werden. Ein großer Teil der auf diese Weise beschäftigen Kräfte stammt aus dem Ausland, ist nicht dauerhaft in Deutschland ansässig und wird für die Dauer des Arbeitseinsatzes in Sammelunterkünften untergebracht.
Die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf. Denn in Zeiten wie diesen, in denen durch die Corona-Gefahr der Arbeits- und Gesundheitsschutz wichtiger ist denn je, können sich ungünstige individuelle Arbeits- und Unterbringungsbedingungen folgenreich auswirken. Und ihre Folgen beschränken sich nicht auf wenige Beschäftigte, sondern können auch unbeteiligte Dritte betreffen. Arbeitsschutz für die Beschäftigten heißt zur Zeit eben auch Infektionsschutz für alle.
Dies hat dazu geführt, dass das Bundesarbeitsministerium am 20. Mai 2020 im Bundeskabinett ein Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft vorgestellt hat.
Zehn Maßnahmen für Arbeitsschutz und Hygiene in der Fleischwirtschaft beschlossen
Die Bundesregierung beschloss zehn Maßnahmen, die für mehr Arbeitsschutz und Hygiene in der Fleischwirtschaft sorgen und Missstände beseitigen sollen:
- Kontrollen und Überwachungsquote: Das Ministerium plant eine Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes. Ziel sollen häufigere Kontrollen durch Zoll- und Arbeitsschutzverwaltungen umgesetzt werden. Das Ministerium strebt eine Überwachungsquote an, die in § 21 ArbSchG ergänzt werden dürfte. Die Kontrollen sollen sich auch der Zusammenarbeit von Auftraggeber und Werkvertragsunternehmer widmen, die gestärkt werden soll. Daher wäre mit einer Überarbeitung des § 8 ArbSchG zu rechnen, wenngleich die Vorschrift – meiner Ansicht nach – schon jetzt klar und bestimmt ist. Das Ministerium möchte auch im Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite kurzfristig spezifische verbindliche Arbeitsschutz- und Hygienemaßnahmen erlassen können. Vorbild könnte der Covid-19-Arbeitsschutzstandard sein, der inhaltlich aber nicht frei von Kritik ist. Ob kurzfristige Maßnahmen auch sinnvoll sind, müsste das Ministerium dann noch dem Praxistest unterziehen.
- Mindeststandards für Unterbringung: Das Ministerium plant eine dauerhafte Verpflichtung der Unternehmen, bei der Unterbringung von Beschäftigen, Mindeststandards einzuhalten. Das soll unabhängig davon gelten, ob es sich um vom Arbeitgeber vermittelte Unterkünfte handelt oder nicht. Ersteres ist im Anhang zur Arbeitsstättenverordnung unter Ziff. 4.4. geregelt und durch die Technische Regel ASR A4.4 für die Praxis übersetzt. Eine Ergänzung mit Blick auf den Infektionsschutz dürfte hier die Folge sein, in dem das Thema „Reinigung″ geregelt wird. Möglicherweise werden auch die bislang vorgesehenen Größen (z.B. 8 m² Nutfläche pro Bewohner) überarbeitet. Wo eine Pflicht des Arbeitgebers mit Blick auf externe Unterkünfte geregelt werden soll, wäre dagegen abzuwarten. Denkbar wäre eine Ergänzung im Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft.
- Verbot von Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen: Eine einschneidende Maßnahme mit unmittelbaren wirtschaftlichen Konsequenzen dürfte das Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassungen in der Fleischwirtschaft sein. Das Verbot ist ab dem 1. Januar 2021 geplant. Wo zur Zeit Fremdkräfte im Wege der Arbeitnehmerüberlassung oder über Werkverträge eingesetzt sind, dürften dann nur noch eigene Angestellte eingesetzt werden. Schon jetzt ist die Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 AÜG im Baugewerbe verboten. Hier dürfte es auf eine entsprechende Regelung für die Fleischwirtschaft hinauslaufen. Ein Verbot von Werksvertragsgestaltungen greift allerdings tief in die unternehmerische Freiheit ein. Es bleibt abzuwarten, wo und wie das Ministerium dies gesetzlich regeln will. Werden auch Dienstleistungsverträge verboten? Oder wird die Branche dahin ausweichen?
- Meldepflichten: Dem Ministerium ist eine Kontrolle der Unterbringungsbedingungen wichtig. Damit die zuständigen Behörden diese nicht erst mühsam suchen müssen, sollen Arbeitgeber einschließlich Werksvertragsunternehmen verpflichtet werden, die Behörden einerseits über den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte zu informieren, andererseits auch über deren Wohnort. Ob die Erwähnung von „Werksvertragsunternehmen″, deren Einsatz in der Fleischwirtschaft ja verboten werden sollen, im Maßnahmenplan übergangsweise vorgesehen ist, oder sich diese Maßnahme auf alle Branchen beziehen soll, bei denen ausländische Arbeitskräfte beschäftigt werden, ist unklar.
- Ausweitung „Faire Mobilität″: Ein Problem der Fleischwirtschaft ist, dass ausländische Beschäftigte, die sich nur temporär in Deutschland aufhalten, oftmals weder über die benötigten Sprachkenntnisse verfügen, noch die Möglichkeit haben, adäquate Unterkünfte zu finden. Für sie sieht das Ministerium daher ein besonderes Schutzbedürfnis. Das Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), das es seit dem Jahr 2012 gibt, soll daher ausgeweitet werden. Hiermit will das Ministerium die bessere Beratung ausländischer Arbeitskräfte erreichen.
- Digitale Arbeitszeiterfassung: Auch die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes ist nach Ansicht des Ministeriums ein Problem. Daher sollen Arbeitszeiten zukünftig aufgezeichnet werden, um eine entsprechende Kontrolle zu ermöglichen. Das Ministerium traut Papier nicht. Es stellt sich eine verpflichtende digitale Arbeitszeiterfassung vor. Geregelt werden soll diese nicht im Arbeitszeitgesetz, sondern im Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft. Ob hiermit ein Vorbild für die von vielen Stellen erwartete Novellierung des Arbeitszeitgesetzes mit Blick auf die EU-Rechtsprechung verbunden ist, bleibt abzuwarten.
- Erhöhung Bußgeldrahmen: Als weitere Maßnahme plant das Ministerium eine Erhöhung des Bußgeldrahmens im Arbeitszeitgesetz, der zur Abschreckung verdoppelt werden soll. Das wird sich auf alle Arbeitgeber auswirken. Die Risiken von Arbeitszeitverstößen werden sich also nochmals erhöhen.
- Ausweitung Unfallversicherung: Laut dem Ministerium gibt es Lücken bei der sozialen Absicherung gegen Unfall- und Gesundheitsrisiken. Ausdrücklich angesprochen werden Praktikantinnen und Praktikanten. Ob in der Fleischwirtschaft tatsächlich auch mit Praktika gearbeitet wird? Es wäre bedauerlich, wenn dem noch kein Riegel vorgeschoben wurde.
- Grenzüberschreitende Information: Während der derzeitigen Krise wurde von den Heimatländern ausländischer Arbeitskräfte bemängelt, dass sie nicht oder viel zu spät über die Betroffenheit ihrer Landsleute informiert wurden. Hier will das Ministerium die Informationswege ausweiten, um zeitnah informieren zu können.
- Studie: Eine Studie zur „Durchsetzung rechtlicher Regelungen in der Fleischwirtschaft“ mit dem Schwerpunkt auf die Arbeitsbedingungen soll helfen, um Synergieeffekte bei der Kontrolle zu identifizieren. Dem Ministerium schwebt vor, Arbeitsschutz gemeinsam mit der Überprüfung von Fleischvorschriften, Hygienevorschriften sowie Vorschriften des Tierschutzes zu kontrollieren. Hier müssen die Bundesländer einbezogen werden.
Maßnahmen-Paket: Neue Regelungen sind nicht auf die Fleischwirtschaft beschränkt
Der Fahrplan des Ministeriums soll verschiedenartigste „Baustellen“ der Fleischwirtschaft reparieren. Hierzu wird in verschiedensten Vorschriften angesetzt. Dabei werden auch grundlegende Fragen tangiert und Leitplanken für die gesamte Arbeitswirtschaft in Deutschland eingezogen. Es lohnt sich für alle Branchen, dies im Auge zu behalten!
In unserer Serie „Social and Human Rights″ sind wir eingegangen auf das Arbeitsschutzkontrollgesetz und den entsprechenden Gesetzesentwurf sowie auf die Schutzvorschriften in der Fleischwirtschaft. Ebenfalls eingegangen sind wir auf Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette und diesbezügliche Regelungen im Ausland wie der Schweiz. Gleichermaßen ein Thema waren (Psychischen) Belastungen am Arbeitsplatz.