1. August 2022
MiFID II Nachhaltigkeit Anlageberatung
Sustainable Finance (ESG)

Neues zu MiFID II und Nachhaltigkeitspräferenzen in der Anlageberatung

Ab dem 2. August 2022 müssen Berater ihre Kunden aktiv auf das Thema Nachhaltigkeit ansprechen.

Bisher müssen Portfolioverwalter* und Anlageberater im Rahmen der sog. Geeignetheitsprüfung alle Informationen über die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden im Anlagebereich, seine finanziellen Verhältnisse und seine Anlageziele einschließlich seiner Risikobereitschaft einholen, um auf dieser Basis geeignete Anlageprodukte zu empfehlen. 

Nach der neuen Delegierten Verordnung (EU) 2021/1253 zu MiFID II (DelVO 2021/1253), die die Delegierte Verordnung (EU) 2017/65 zu MiFID II modifiziert, werden sie darüber hinaus verpflichtet, Informationen über die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden aktiv einzuholen. 

Dafür ist zunächst im Rahmen eines Beratungsgesprächs zu klären, ob der Kunde neben der finanziellen Rendite der Geldanlage auch soziale und ökologische Auswirkungen berücksichtigen will. Wenn der Kunde diese Frage verneint, kann ihm das ganze Anlagespektrum angeboten werden. 

Berater müssen die individuellen Präferenzen der Kunden zum Thema Nachhaltigkeit ermitteln

Wenn der Kunde jedoch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen möchte, müssen Anlageberater die individuellen Präferenzen des Kunden zum Thema Nachhaltigkeit ermitteln. 

Dazu soll nach der DelVO 2021/1253 der Kunde gefragt werden, ob und inwieweit er Produkte in seine Anlage einbeziehen will, die

  • einen Mindestanteil ökologisch nachhaltiger Investitionen i.S.d. Taxonomie-Verordnung (Taxonomie-VO) enthalten,
  • einen Mindestanteil nachhaltiger Investitionen i.S.d. Offenlegungs-Verordnung (Offenlegungs-VO) enthalten,
  • die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (PAI) berücksichtigen.

Diese drei genannten Merkmale können einzeln oder auch kombiniert vorliegen. Den jeweiligen Mindestanteil der Investitionen unter der Taxonomie-VO und Offenlegungs-VO sollen die Kunden jeweils selbst bestimmen können. 

Angebotene Produkte müssen eine nachhaltige Investition oder eine PAI-Qualifikation enthalten

Auffallend ist, dass sich nicht alle Produktkategorien unter der Offenlegungs-VO als Produkt mit Nachhaltigkeitsmerkmalen unter MiFID II qualifizieren. Die EU-Kommission führt hierzu in der Begründung zum Entwurf der DelVO 2021/1253 aus, dass hierdurch sichergestellt werde, dass bei einer Nachhaltigkeitspräferenz des Anlegers nur Finanzprodukte, die einen bestimmten Grad an nachhaltigkeitsbezogener Wesentlichkeit aufweisen, empfohlen werden dürfen. Angebotene Produkte müssen zumindest eine nachhaltige Investition oder eine PAI-Qualifikation enthalten. Nach den oben dargestellten drei Merkmalen sind für einen Anleger mit Nachhaltigkeitspräferenz z.B. folgende Produkte unter der Offenlegungs-VO geeignet: 

  • Art.-9-Produkte mit ökologischen nachhaltigen Investitionen unter der Taxonomie-VO, 
  • Art.-9-Produkte, die nachhaltige Investitionen unter der Offenlegungs-VO anstreben,
  • Art.-8-Produkte, die zu einem bestimmten Anteil nachhaltige Investitionen unter der Taxonomie-VO oder Offenlegungs-VO enthalten (sog. Art.-8-plus-Produkte), sowie
  • Art.-8-Produkte, bei denen die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden. 

Ein reines Art.-8-Produkt, das lediglich Mindestausschlüsse enthält und die genannten Merkmale nicht erfüllt, kann nicht als Produkt mit Nachhaltigkeitsmerkmalen unter MiFID II vermarktet werden. 

Nachhaltigkeitspräferenzen als Bestandteil der Kundenexploration

Die EU-Kommission führt in den Erwägungen der DelVO 2021/1253 aus, dass im Rahmen der Kundenexploration zunächst die Anlageziele, der Zeithorizont und die individuellen Umstände des Kunden bewertet werden sollen, bevor die Nachhaltigkeitspräferenzen abgefragt werden. Damit will sie vermeiden, dass die Aufnahme von Nachhaltigkeitsfaktoren in den Beratungsprozess zu unlauteren Verkaufspraktiken oder dazu führt, dass Finanzinstrumente so dargestellt werden, als würden sie mit Nachhaltigkeitspräferenzen im Einklang stehen, wenn dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. 

Grds. darf im Rahmen der Anlageberatung keine Empfehlung ausgesprochen werden, wenn keines der Produkte für den Kunden geeignet ist (Art. 54 Abs. 10 DelVO 2021/1253). Die beiden neu hinzugefügten Absätze regeln jedoch Folgendes: 

Eine Wertpapierfirma empfiehlt Finanzprodukte nicht als den Nachhaltigkeitspräferenzen eines Kunden oder potentiellen Kunden entsprechend oder trifft keine Handelsentscheidungen bezüglich solcher Instrumente, wenn die Finanzinstrumente diesen Präferenzen nicht entsprechen.

Entspricht kein Finanzprodukt den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden oder potenziellen Kunden und entscheidet sich der Kunde, seine Nachhaltigkeitspräferenzen anzupassen, so wird die Kundenentscheidung einschließlich ihrer Begründung von der Wertpapierfirma aufgezeichnet.

Daraus folgt, dass ein Finanzprodukt, das nicht den individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen eines Kunden entspricht, trotzdem empfohlen werden darf, jedoch nicht als Produkt, das den individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen entspricht. Voraussetzung sind jedoch eine dahingehende Aufklärung des Kunden und eine Anpassung der Nachhaltigkeitspräferenzen durch den Kunden. Dies soll in den Eignungsbericht aufgenommen werden.

Angaben zu Nachhaltigkeitspräferenzen sorgfältig dokumentieren

Die Komplexität der Regulierung, insbesondere die Diskrepanz zur Offenlegungs-VO, dürfte Beratende vor Herausforderungen stellen. Konkretisierungen sind von der ESMA in Form von Guidelines zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen voraussichtlich in Q4 zu erwarten. Das zugrundeliegende Konsultationsverfahren ist bereits abgeschlossen. 

Wichtig ist und bleibt die Dokumentation. Im Rahmen der Geeignetheitsprüfung und -erklärung müssen die Angaben einfließen, warum das Finanzinstrument für den Kunden geeignet ist. Anlageberater sollten daher die Angaben des Kunden zu seinen Nachhaltigkeitspräferenzen und ggf. auch die Anpassungen der Nachhaltigkeitspräferenzen im Verlauf des Gesprächs sorgfältig dokumentieren.

In unserer Serie „Sustainable Finance“ sind wir eingegangen auf steuerliche Lenkungsmechanismen beim Erreichen von Nachhaltigkeitszielen, auf neue Pflichten in der AnlageberatungOffenlegungspflichten unter der Taxonomie-VO, auf „Green Bonds“ sowie das Sustainable Finance Package der EU-Kommission und Nachhaltigkeitsfonds.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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