21. Januar 2021
Individualschadensersatz UWG
Verbraucherverträge im Digitalzeitalter

UWG-Novelle – Individualschadensersatz zugunsten von Verbrauchern

Erstmals soll das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) einen Schadensersatzanspruch von Verbrauchern vorsehen. Wir beschäftigen uns mit den Auswirkungen.

Das deutsche Lauterkeitsrecht könnte im Mai 2022 um einen Individualschadensersatz-anspruch von Verbrauchern ergänzt werden. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht vom 20. Januar 2021 heißt es in § 9 Absatz 2 UWG-E:

Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine nach § 3 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die sie andernfalls nicht getroffen hätten, ist ihnen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht für unlautere geschäftliche Handlungen nach den §§ 3a, 4 und 6.

Hintergrund dieses Gesetzesentwurfs ist die sog. Omnibus-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2161), die der europäische Gesetzgeber im November 2019 erlassen hat. Sie ist Teil der EU-Verbraucherschutzinitiative „New Deal for Consumers“ und soll die Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union verbessern. 

Art. 3 Ziff. 5 der Omnibus-Richtlinie ergänzt die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (Richtlinie (EG) 2005/29 – UGP-Richtlinie) um einen neuen Artikel 11a, welcher die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Absatz 1 Satz 1 dazu verpflichtet, Verbrauchern Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Ersatz des entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Beendigung des Vertrages, zu gewährleisten. 

Mit § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E könnte diese Unionsvorgabe daher ab 28. Mai 2022 Einzug ins deutsche Lauterkeitsrecht finden.

Unlautere Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern auch bisher nicht folgenlos

Schon heute dient das UWG auch dem unmittelbaren Schutz von Verbrauchern, siehe § 1 UWG. Dessen ungeachtet sind weder Verbraucher noch Verbraucherschutzverbände nach dem aktuellen deutschen Lauterkeitsrecht schadensersatzberechtigt. 

Dies führt aber nicht dazu, dass Verbraucher den unlauteren Praktiken von Unternehmern aktuell schutzlos ausgeliefert sind. Denn den Verbrauchern stehen zur Bekämpfung solcher Praktiken die Instrumentarien des allgemeinen Zivilrechts zur Seite. So ist es Verbrauchern in vielen Fällen möglich, mit einer Anfechtung (§§ 119 ff. BGB), über Mängelgewährleistungsansprüche (§§ 434 ff. BGB), (vor-)vertragliche Schadensersatzansprüche (§§ 280, 281, 311 Abs. 2 BGB), verbraucherschützende Widerrufs- (§§ 312 ff. BGB) und andere Rechte (§§ 241a, 661a BGB) sowie außervertragliche Ansprüche (§§ 1004, 823 ff. BGB) auf unlautere Praktiken zu reagieren. 

Nichtdestotrotz verbleiben de lege lata Schutzlücken: Ist Verbrauchern beispielsweise durch fahrlässige irreführende geschäftliche Handlungen ein Schaden entstanden, besteht aber zu dem Werbenden kein Vertrags- oder vorvertragliches Schuldverhältnis, so fehlen Individualansprüche der Verbraucher. 

Dasselbe gilt auch in den Fällen, in denen Verbraucher durch psychisch vermittelten Zwang im Rahmen aggressiver geschäftlicher Handlungen, die die Schwelle einer Drohung im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB nicht erreichen, zu einer wirtschaftlich nachteiligen Handlung veranlasst werden.

Der Schließung dieser Schutzlücken dient der § 9 Abs. 2 UWG-E.

Was sich mit Einführung des Individualschadensersatzanspruchs ändern könnte

Mit § 9 Abs. 2 S.1 UWG-E könnten Verbraucher bei unlauteren Praktiken von Unternehmern individuell lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche geltend machen. Sie wären unmittelbar aktivlegitimiert – allerdings nicht bei jeder Art unlauteren Verhaltens, sondern insbesondere bei aggressiven geschäftlichen Handlungen sowie Irreführung (durch aktives Tun und Unterlassen). 

Der Anspruch lädt mit Blick auf sein Verhältnis zu den Ansprüchen des allgemeinen Zivilrechts zu Diskussionen ein. In der Begründung des Gesetzesentwurfs heißt es insoweit: 

Der Schadensersatzanspruch steht in freier Anspruchskonkurrenz zu den bereits bestehenden Ansprüchen des bürgerlichen Rechts. Das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher können bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen frei entscheiden, ob sie gegen den Schädiger den Schadensersatzanspruch aus § 9 Absatz 2 Satz 1 UWG-E oder einen ebenfalls bestehenden Gewährleistungs- oder außervertraglichen Haftungsanspruch geltend machen.

Zu Regelungskonflikten kann es überall dort kommen, wo besondere Voraussetzungen und Ausschlussgründe bestimmte Wertungen und Interessensabwägungen absichern sollen – beispielsweise bei der Frage, ob ein betroffener Verbraucher sich über § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E von Verträgen lösen kann, die unter Einsatz unlauterer Praktiken zustanden gekommen sind. 

§ 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E regelt eine solche Lösung von Verträgen zwar nicht direkt. Im Wege der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB steht dem Verbraucher ein solcher Anspruch auf Vertragsaufhebung aber unter Umständen zu. Der Normtext und die Begründung des Gesetzesentwurfs schließen eine solche Auslegung jedenfalls nicht aus. 

Bei einem solchen Verständnis der Norm sind Wertungskonflikte insbesondere im Verhältnis zum Anfechtungs- und Mängelgewährleistungsrecht denkbar: 

  • Über das kaufrechtliche Mängelgewährleistungsrecht können Verbraucher sich bei unlauteren Praktiken bis dato nur dann vom Vertrag lösen, wenn sie ihrem Vertragspartner eine erfolglose angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben, oder eine solche Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich ist. Über § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E käme eine Lösung vom Vertrag hingegen auch ohne Setzung einer solchen Frist in Betracht. Damit droht das vom Unionsrecht geschützte Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung praktisch leer zu laufen. 
  • Wertungskonflikte drohen auch im Verhältnis zur Anfechtung gemäß § 123 BGB. Denn nach §§ 123 Abs. 1, 142 BGB kann ein Verbraucher sich nur vom Vertrag lösen, wenn er arglistig, d.h. vorsätzlich getäuscht oder widerrechtlich bedroht wurde. Demgegenüber könnte sich ein Verbraucher nach § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E bereits bei einfacher Fahrlässigkeit des Unternehmers vom Vertrag lösen. Nicht ausgeschlossen ist zudem, dass Verbraucher sich schon bei Beeinflussungen im Sinne des § 4a Abs. 1 UWG, die das Maß einer Drohung nach § 123 Abs. 1 BGB nicht erreichen, vom Vertrag lösen können. Denn § 4a UWG erfasst auch Situationen, in denen Unternehmer Verbraucher überrumpeln oder deren Notlage ausnutzen, um diese zu geschäftlichen Handlungen zu veranlassen.

Die Einführung des Individualschadensersatzanspruchs aus § 9 Abs. 2 S.1 UWG-E könnte daher die Folge haben, dass Verbraucher einen Anspruch bekommen, mit dem diese an den bestehenden und in aller Regel interessengerechten Regelungsregimen vorbei ihre Interessen unter geringeren Voraussetzungen als durch das BGB bestimmt durchsetzen könnten.

Auf Verjährungsebene droht mit dem neuen Gesetzesentwurf hingegen keine weitere Verschärfung der aufgezeigten Regelungskonflikte mehr. Denn mit ihrem Gesetzesentwurf hat die Bundesregierung Abkehr von dem im Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 04. November 2020 ursprünglich vorgesehenen § 11 Abs. 5 UWG-E genommen. Dieser sah die Geltung der regelmäßigen Verjährungsfrist für den neuen Individualschadensersatzanspruch vor und hätte die erläuterten Regelungskonflikte um eine zeitliche Komponente erweitert. Nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung soll der neue Schadensersatzanspruch von Verbraucher gemäß § 11 Absatz 1 UWG nun aber – wie auch derjenige von Mitbewerbern bisher schon – in sechs Monaten verjähren.

Gesetzgeber schafft mit § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E eine neue Rechtsgrundlage für Massenverfahren

In der Mehrzahl der Fälle wird der Schaden der Verbraucher so gering sein, dass viele Verbraucher von einer individuellen Rechtsdurchsetzung absehen dürften.

Nichtsdestotrotz würde der Gesetzgeber mit Einführung des § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E eine neue Rechtsgrundlage für Massenverfahren eröffnen. Verfahren, deren Abwicklung bisher hauptsächlich über Mängelgewährleistungsrechte und das Deliktsrecht erfolgte, könnten zukünftig auf § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E gestützt werden.

Unter anderem aus diesem Grund hat der deutsche Gesetzgeber in der Vergangenheit bereits mit der folgenden Begründung Abstand von der Einführung von lauterkeitsrechtlichen Individualansprüchen von Verbrauchern genommen (Begr. RegE, BT-Drs. 15/1487, 22):

Das Lauterkeitsrecht enthält […] sehr hohe Anforderungen an das Verhalten der Unternehmer im Wettbewerb. Die Anerkennung von individuellen Rechten des Verbrauchers bei Verstößen gegen das UWG würde dieses hohe Schutzniveau, welches gerade auch im Interesse des Verbrauchers besteht, im Ergebnis in Frage stellen. Der Unternehmer müsste bei Beibehaltung des materiellen Schutzniveaus jederzeit mit einer Vielzahl von Klagen von Verbrauchern wegen eines (angeblichen) Verstoßes gegen das UWG rechnen. Dies würde zu sehr hohen Belastungen für die Wirtschaft führen und hätte einen erheblichen Standortnachteil zur Folge. Diese Belastungen ließen sich nur dadurch auf ein für die Wirtschaft akzeptables Maß verringern, dass man das Schutzniveau absenkt und dadurch das Prozessrisiko für die Unternehmen verringert.

Erfahrung aus der Schweiz, Österreich und Belgien – Länder, die bereits einen lauterkeitsrechtlichen Individualschadensersatzanspruch kennen – zeigen jedoch, dass Verbraucher diesen in der Praxis nur zurückhaltend geltend machen. 

Im Kollektiv stark: Änderungen lenken Aufmerksamkeit auf Zahlungsrisiken im UWG 

Ebenfalls zum „New Deal for Consumer“ zählt jedoch die Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher. Essenzieller Punkt dieser Richtlinie ist die Verbandsklagemöglichkeit für sogenannte „qualifizierte Einrichtungen“ zugunsten geschädigter Verbraucher. Hierdurch werden „qualifizierte Einrichtungen“ befähigt, für geschädigte Verbraucher aufzutreten und kollektive Leistungsklagen zu erheben. Für das deutsche Recht, das mit der Musterfeststellungsklage – wie deren Name schon verrät – bis dato nur kollektive Feststellungsklagen bereithält, absolutes Neuland.

Mit Umsetzung dieser Richtlinie bis Juni 2023 dürfte der § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E in der Praxis merklich an Bedeutung gewinnen. Denn Massenschäden aufgrund von irreführenden geschäftlichen Handlungen könnten so mithilfe des Individualschadensersatzanspruchs aus § 9 Abs. 2 S. 1 UWG-E künftig kollektivrechtlich kompensiert werden.

Nicht nur die ebenfalls mit dem Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht geplanten erweiterten Bußgeldvorschriften, sondern auch die Kombination aus Individualschadensersatzanspruch mit der Möglichkeit von Verbandsklagen werden künftig den Blick von den zukunftsgerichteten Unterlassungsansprüchen auf die bislang im UWG nur im Einzelfall bestehenden Zahlungsrisiken lenken.

In unserer Blogserie „Verbraucherverträge im Digitalzeitalter″ zeigen wir auf, wie die Maßnahmenpakete der EU das europäische Verbraucherschutzrecht fit für das Digitalzeitalter machen sollen. Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit den hohen Bußgeldern für Unternehmer, im zweiten Teil mit Bußgeldern bei Verletzungen von Verbraucherschutzvorschriften und Lauterkeitsrecht. Anschließend haben wir uns mit den Änderungen im BGB und den neuen Regelungen der Warenkaufrichtlinie beschäftigt. Zuletzt sind wir auf Personalized Pricing und Dual Quality Verbot sowie die Verbandsklage eingegangen.

Mit der Einführung von verschiedenen Regelwerken in Deutschland und der EU wird der gesamte Bereich der digitalen Dienste grundlegend reformiert. Vom neuen Rechtsrahmen werden beinahe sämtliche Anbieter von digitalen Diensten erfasst, Adressaten sind insbesondere Plattformen wie Media PlatformsUser Interface Provider und Media Intermediaries als auch Market Places. Eine Übersicht über unser Beratungsangebot zum Bereich „Digital Regulation“ finden Sie hier.

Tags: Individualschadensersatz UWG-Novelle verbraucher