6. März 2015
Gestapelte Geldmünzen mit steigendem Wachstum
Arbeitsrecht

Erstes Urteil zum MiLoG: Unwirksamkeit einer Änderungskündigung und Unzulässigkeit der Anrechnung von Sonderleistungen auf den Mindestlohn

Nach dem ArbG Berlin ist es unzulässig, Sonderleistungen auf den Mindestlohn anzurechnen, die nicht unmittelbar die erbrachte Arbeitsleistung vergüten.

Nach dem ArbG Berlin ist es unzulässig, Sonderleistungen auf den Mindestlohn anzurechnen, die nicht unmittelbar die erbrachte Arbeitsleistung vergüten.

Seit Beginn des Jahres gilt in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn. Die wichtigsten Folgen daraus für Unternehmen sind Haftung und drohende Bußgelder bei Unterschreiten des Mindestlohns. Ein scheinbarer Ausweg für manche Unternehmen im Niedriglohnsektor: die „Umrechnung“ von Sonderleistungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld auf den Stundenlohn. Das ArbG Berlin hat sich im ersten Urteil zum MiLoG mit der Frage befasst, inwieweit eine Anrechnung solcher Sonderleistungen auf den Mindestlohn rechtlich zulässig ist (Urteil v. 04.03.2015; Az. 54 Ca 14420/14).

Änderungskündigung sollte Sonderleistungen zusätzlich zum Mindestlohn vermeiden

Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die eine Grundvergütung von 6,44 € brutto pro Stunde zzgl. Schichtzuschlag und einer Leistungszulage erhielt. Darüber hinaus durfte sie sich über ein Urlaubsgeld und eine nach Betriebszugehörigkeit gestaffelte Jahressonderzahlung freuen.

Das Grundgehalt erreichte ohne die Sonderzahlungen nicht den seit dem 01.01.2015 durch das MiLoG flächendeckend vorgeschriebenen Mindestlohn von 8,50 € brutto/Zeitstunde. Die Arbeitnehmerin hätte damit die Aufstockung des Stundenlohns auf 8,50 € und zusätzlich die Gewährung der Sonderzahlungen verlangen können.

Der Arbeitgeber erklärte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und bot der Mitarbeiterin gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis zu einem neuen Stundenlohn von 8,50 € fortzusetzen; die Leistungszulage, das Urlaubsgeld und die jährliche Sonderzahlung sollten jedoch zukünftig entfallen.

Die Entscheidung: Änderungskündigung unwirksam

Das ArbG Berlin steht auf Seiten der Arbeitnehmerin. Die Kündigung sei unwirksam, weil der gesetzliche Mindestlohn (nur) die Leistung des Arbeitnehmers entlohnen solle. Damit liegt das ArbG Berlin auf einer Linie mit vielen bereits vor Einführung des MiLoG veröffentlichten Stellungnahmen und der Gesetzesbegründung.

Der Sinn und Zweck des Mindestlohns besteht darin, die „Normalleistung″ zu vergüten. Das setzt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Arbeitsleistung und dem dafür gezahlten Entgelt voraus.

Nach dem ArbG Berlin ist es unzulässig, Sonderleistungen auf den Mindestlohn anzurechnen, die nicht unmittelbar die erbrachte Arbeitsleistung vergüten. Deshalb ist eine Änderungskündigung, die wie vorliegend eine solche Anrechnung zum Ziel hat, nicht gerechtfertigt.

Mit seiner Entscheidung stützt das ArbG Berlin die Idee des gesetzlichen Mindestlohns und schützt ihn vor einer Aushöhlung durch umgehende Vertragsgestaltungen. Die Berufung zum LAG Berlin/Brandenburg wurde zugelassen.

Zahlungen sind Arbeitsentgelt wenn sie Teil der Arbeitsvergütung sind

Eine Anrechnung sonstiger vom Arbeitgeber geleisteter Zahlungen auf den Mindestlohn ist nicht in jedem Fall gesetzeswidrig. Vielmehr muss nach dem wirtschaftlichen Grund der Zahlung differenziert werden.

1 Abs. 2 MiLoG ordnet an, dass der Mindestlohn je Zeitstunde zu berechnen ist. Diese nur auf den ersten Blick klare Regelung wirft in der konkreten Anwendung Auslegungsfragen auf. Für deren Beantwortung kann man grundsätzlich auf die parallele Rechtsprechung des BAG zum Mindestentgelt nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz zurückgreifen. Danach sind alle Zahlungen des Arbeitgebers – unabhängig von ihrer Bezeichnung – als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, die keine bloße Aufwandsentschädigung darstellen, sondern Teil der Arbeitsvergütung sind (sog. funktionale Gleichwertigkeit).

Der EuGH hat diese Rechtsprechung für das Arbeitnehmerentsenderecht inzwischen bestätigt (EuGH v. 07.11.2013 – C-522/12 „Isbir″). Es ist aber offen, ob Behörden und Gerichte dieser Rechtsprechungslinie auch für das MiLoG folgen werden. Die Begründung für das erste „MiLoG″-Urteil des ArbG Berlin lässt zumindest vermuten, dass diese Linie auch für den gesetzlichen Mindestlohn Bestand haben soll.

Heranziehung einer allgemeingültigen Referenz nicht möglich

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der Kontext, in dem die Frage nach einer Anrechenbarkeit von Leistungen auf einen vorgeschriebenen Mindestentgeltsatz zu beantworten ist, im Arbeitnehmerentsenderecht etwas anders ist als im Anwendungsbereich des MiLoG.

Im erstgenannten Fall steht immer ein konkreter Tarifvertrag als Bezugsobjekt zur Verfügung, der mit Blick auf den Leistungszweck ausgelegt werden kann. Im Hinblick auf den abstrakt vom Gesetzgeber festgelegten gesetzlichen Mindestlohn fehlt ein solches Tarifwerk. Es kann keine allgemeingültige Referenz herangezogen werden, um bestimmen zu können, ob im konkreten Fall eine funktionale Gleichwertigkeit von Grundvergütung und einer anderen vom Arbeitgeber gewährten Leistung besteht.

Weitläufig wird vertreten, dass Nachtzuschläge nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden könnten, weil mit ihnen die besondere Belastung der Arbeit zur Nachtzeit ausgeglichen werden soll. Auf der anderen Seite ist zu überlegen, ob bei Arbeitnehmern, die ausschließlich nachts tätig werden, die Tätigkeit zur Nachtzeit nicht die Normalleistung darstellt, so dass in diesen Fällen Nachtzuschläge wiederum auf den Mindestlohn angerechnet werden könnten.

Es bleibt abzuwarten, ob die Urteilsgründe der Entscheidung des ArbG Berlin, die in einigen Wochen vorliegen dürften, hierzu weitere Erkenntnisse zulassen.

Tags: Änderungskündigung MiLoG Mindestlohn Sonderleistungen