Das BAG hat entschieden, dass nur eine vollständige Verweisung auf ein Tarifwerk der Zeitarbeit equal treatment ausschließt. Personaldienstleister sind gut beraten, ihre Arbeitsverträge zu überprüfen.
Wird ein Zeitarbeitnehmer* von einem Verleiher an einen Entleiher überlassen, hat dieser ab dem ersten Tag des Einsatzes einen Anspruch auf Gleichstellung hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen (einschließlich des Entgelts), die einem vergleichbaren Stammbeschäftigten im Betrieb des Entleihers gewährt werden (sog. equal treatment). So jedenfalls der gesetzliche Grundsatz in § 8 Abs. 1 S. 1 AÜG, der in der Praxis jedoch die Ausnahme darstellt.
Die mit Zeitarbeitnehmern abgeschlossenen Arbeitsverträge enthalten nämlich regelmäßig eine Bezugnahmeklausel auf ein Tarifwerk der Zeitarbeit (BAP/DGB oder iGZ/DGB), um so den Gleichstellungsgrundsatz ausschließen. Für das sog. equal pay, also die Gleichstellung hinsichtlich des Entgelts, ist dies seit dem 1. April 2017 nur noch eingeschränkt möglich. Eine entsprechende Abweichung ist grundsätzlich auf die ersten neun Monaten der Überlassung des Zeitarbeitnehmers an einen Entleiher beschränkt (§§ 8 Abs. 2, 3, Abs. 4 S. 1), es sei denn, es kommt ein sog. Branchenzuschlagstarifvertrag zur Anwendung (§ 8 Abs. 4 S. 2, 3 AÜG).
Fehler bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen können equal pay/equal treatment-Ansprüche nach sich ziehen
Wir haben bereits auf Grundlage einer vom BAG veröffentlichten Pressemitteilung über eine Entscheidung des 4. Senats berichtet (Urteil v. 16. Oktober 2019 – 4 AZR 66/18), die nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Praxis hat, nämlich hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsverträge. Werden in diesem Zusammenhang Fehler gemacht, besteht die Gefahr, dass der Gleichstellungsgrundsatz nicht wirksam abbedungen wurde und folglich equal pay/equal treatment ab dem ersten Tag der Überlassung zu gewähren wäre. Nachzahlungs- bzw. -forderungsansprüche der Zeitarbeitnehmers (wohl das geringere „Problem″) bzw. der DRV (ein ganz erhebliches „Problem″) wären die Konsequenz (abgesehen von strafrechtlichen Weiterungen).
Inzwischen liegen die vollständig abgesetzten Urteilsgründe der Entscheidung vor, die diesen Befund bestätigen. Personaldienstleister sollten nach einer Auswertung selbiger nicht nur, sie müssen ihre Arbeitsverträge prüfen bzw. anwaltlich überprüfen lassen, um entsprechende Risiken zumindest minimieren zu können.
Parteien streiten über Differenzvergütungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des equal pay
Der Kläger war seit 2013 bis Juli 2017 bei dem beklagten Personaldienstleister als Zeitarbeitnehmer beschäftigt. In dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag wird auf das Tarifwerk iGZ/DGB in ihrer jeweils gültigen Fassung verwiesen. Eine Kollisionsklausel sieht der Arbeitsvertrag nicht vor.
Der Kläger macht equal pay-Ansprüche i.H.v. ca. EUR 18.000,00 brutto mit der Begründung geltend, dass die vertragliche Bezugnahmeklausel auf die Tarifverträge der Zeitarbeit nicht hinreichend transparent sei. Es sei nicht ersichtlich, welche Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis anwendbar seien. Im Übrigen wichen die arbeitsvertraglichen Regelungen in wesentlichen Punkten von den tariflichen Bestimmungen ab.
Punktuelle Vereinbarung tariflicher Bestimmungen genügt für eine Abweichung vom Gleichstellungsgebot nicht
Das BAG hob die noch klageabweisende Entscheidung des LAG Bremen auf und verwies die Sache zurück. Eine Zusammenfassung des Ergebnisses der Entscheidung des BAG vom 16. Oktober 2019 ist dem amtlichen Leitsatz zu entnehmen, in dem es wörtlich wie folgt heißt:
Will der Verleiher vom Gleichstellungsgebot nach § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF abweichen, ist nach § 9 Nr. 2 Halbs. 3 AÜG aF für den Entleihzeitraum eine vollständige Inbezugnahme des zwischen den jeweiligen Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Tarifwerks für die Arbeitnehmerüberlassung erforderlich. Unschädlich sind lediglich vertragliche Regelungen über Gegenstände, die tariflich nicht geregelt sind oder die zugunsten des Arbeitnehmers von den tariflichen Bestimmungen abweichen.
„Hausaufgaben″ für Personaldienstleister
Interessant ist das Urteil insbesondere für diejenigen Zeitarbeitsunternehmen, die zunächst auf das Tarifwerk BAP/DGB bzw. iGZ/DGB verwiesen haben, aber dann im Arbeitsvertrag – wie in dem von dem BAG entschiedenen Fall – davon (möglicherweise auch unbewusst und ohne „böse Absicht″) zum Nachteil des Zeitarbeitnehmers abweichende Abreden davon getroffen haben. Hier besteht das Risiko, dass der Personaldienstleister von den Zeitarbeitnehmern auf die Einhaltung des Gleichstellungsgrundsatzes und damit auf equal pay ab dem ersten Tag der Überlassung in Anspruch genommen wird.
Personaldienstleistern ist aufgrund des Urteils des BAG vom 16. Oktober 2019 dringend zu empfehlen, die bisher verwendeten Arbeitsvertragsmuster zu prüfen bzw. anwaltlich prüfen zu lassen und diese im Bedarfsfall an die vom 4. Senat gestellten Anforderungen anzupassen. Das im Zweifel geänderten Muster sollte sodann zwingend für Neueinstellungen verwendet werden. Dabei sind Personaldienstleister gut beraten, mit Blick auf die Unwägbarkeiten, die sich aus der rechtlich komplexen Abgrenzung auf Grundlage der Entscheidung des BAG ergeben, ob eine Abweichung von dem Tarifwerk der Zeitarbeit ausnahmsweise möglich ist (keine Regelung im Tarifvertrag oder Abweichung zugunsten des Zeitarbeitnehmers), im Wesentlichen auf die tariflichen Vorschriften zu verweisen und darüber hinaus keine Experimente zu wagen, indem zu tariflichen Teilregelungen ergänzende Abreden im Arbeitsvertrag getroffen werden. Weniger dürfte in diesem Fall mehr sein, selbst wenn dabei die bisherige Flexibilität im Arbeitsverhältnis durch eine entsprechend „offene″ Gestaltung des Arbeitsvertrages – wie sie bisher mitunter gelebt wurde – ein Stück weit verloren gehen dürfte.
Ob auch eine „Umstellung″ der Altverträge erfolgt bzw. erfolgen sollte, hängt von dem „Befund″ der Prüfung des Arbeitsvertrages und der daraus abgeleiteten Erkenntnisse ab, wie hoch das Risiko eingeschätzt wird, dass aufgrund der Vertragsgestaltung der Gleichstellungsgrundsatz in der Vergangenheit nicht wirksam abbedungen worden ist. Wird dieses als hoch eingeschätzt, dürfte an einer „Umstellung″ durch den Abschluss von Änderungsverträgen kein Weg vorbeigehen, um zu verhindern, dass sich die oben dargestellten erlaubnisrechtlichen und wirtschaftlichen sowie ggf. strafrechtlichen Risiken weiter erhöhen. Dabei muss der Personaldienstleister natürlich einkalkulieren, dass bei einer flächendeckenden „Umstellung″ der Arbeitsverträge der Bestandsmitarbeiter ein nicht unerheblicher organisatorischer Aufwand entsteht und dass durch deren Ansprache erst „schlafende Hunde″ und entsprechende Begehrlichkeiten erst geweckt werden.
Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der Februar-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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