16. September 2011
Moderner (Fast-) Alleskönner
Kanzleialltag

Deutschlands Arbeitsgerichte (10) – Duisburg

Mit Duisburg verbindet sich in der Vorstellung vieler auch heute noch das Montan-Industriezeitalter des Ruhrgebiets. Wer heute die Stadt aufsucht, findet dagegen Spuren des Kulturwandels und der Europäischen Kulturhauptstadt 2010.

Das Arbeitsgericht Duisburg liegt nur wenige Gehminuten hinter dem Bahnhof an der Mülheimer Straße 54. Hierzu verlässt man den Duisburger Bahnhof am besten durch den „Ausgang Neudorf″. Das Gericht ist im Landesbehördenhaus untergebracht. Das dreiteilige Gebäude besteht aus dem 9-geschossigen Turm an der Ecke der Mülheimer Straße zur Ludgeristraße, dem rechts neben dem Turm angesetzten Gebäudeteil an der Mülheimer Straße und dem später errichteten Anbau in der Ludgeristraße.

 TurmfassadeFensternischenTurm mit Anbauten

Entworfen hat das Gebäude der Architekt Emil Fahrenkamp, in den 1920er-Jahren einer der prominentesten Architekten in der rheinisch-westfälischen Region mit hervorragenden Kontakten in die Kreise der Industrie, die für ihn Aufträge und Erfolg bedeuteten. Sein Name wird heute hauptsächlich mit dem „Shell-Haus“ in Berlin und dem inzwischen abgerissenen Hotel Breidenbacher Hof in Düsseldorf verbunden. Fahrenkamp leitete ab 1937 die Kunstakademie Düsseldorf. Obwohl er selbst eine Verstrickung mit dem Regime nicht erkannte, zog er sich – nachdem er 1946 seines Direktoren-Amtes enthoben wurde – aus der Öffentlichkeit zurück. Für die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens widmete sich Fahrenkamp privaten Bauaufträgen; einen solchen stellt auch das Gebäude an der Mülheimer Straße 54 dar:

Der Turm an der Mülheimer Straße mit zunächst acht Geschossen wurde 1951 nämlich als Verwaltungsgebäude für die Klöckner & Co. AG errichtet, deren vor dem Krieg genutztes Bürogebäude schwer beschädigt worden war. Der im Jahr 1951 errichtete Turm war eines der ersten größeren Bauprojekte der Nachkriegsjahre in Duisburg. Er war damit nicht nur ein Zeichen für den Wiederaufbau, sondern auch Symbol des beginnenden Wirtschaftswunders, mit dem sich auch die Stadt Duisburg in ihrer Stadtwerbung schmückte. Während der Turm – wie frühe Ansichten zeigen – ursprünglich nur vom Aufbau für die Aufzüge gekrönt war, wurden ihm bereits 1955 zwei weitere Etagen aufgesetzt, die mit einem hervorkragenden Flachdach gekrönt wurden.

 Der Turm

Blick aus der LutgeristraßeMühlheimer StraßeDie Klöckner-Verwaltung zog Ende der 1970er Jahre in ein näher am Bahnhof gelegenes und eigens neu errichtetes, heute Silberpalais genanntes Gebäude. Blickt man aus den oberen Etagen des alten Turms zum Stadtzentrum, wird einem der frühere Status des Hauses, das eine Reihe mit weiteren Industriehochhäusern an der Mülheimer Straße und ihrer Verlängerung bildet, deutlich.

 Blick von oben: Die Hochhaus-Achse Duisburgs

Der mit einer mit Naturstein-Fassade verkleidete Stahlbeton-Skelettbau, der ursprünglich auf allen Etagen bis zum Boden reichende Fenster mit davor gesetztem Geländer hatte, wurde in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach modernisiert und umgebaut. Allerdings bezogen Sozialgericht und Arbeitsgericht Ende Oktober 1980 ein noch unrenoviertes Gebäude. Zum Zeitpunkt der Übernahme durch die Gerichte befand sich das Haus in einem erbarmungswürdigen Zustand. Die Beschäftigten und Besucher mussten sich zunächst mit einer laufenden Renovierung zurechtfinden. Nicht selten lagen Schutthaufen auf den Fluren, notdürftig mit altem Teppichboden abgedeckt. Davon ist heute nichts mehr zu sehen.

Das Sozialgericht mit zur Zeit 49 Kammern nimmt als hausverwaltende Dienststelle den weitaus größeren Teil des Gebäudes ein. Das Arbeitsgericht Duisburg umfasst fünf heute Kammern. Neben den Gerichten waren zahlreiche Ämter, u.a. das Versorgungsamt, untergebracht. Zeitgleich mit den neuen Mietern dürfte auf dem Seitenflügel zur Mühlheimer Straße der Schriftzug „Landesbehördenhaus“ an der Steinfassade angebracht worden sein.

"Landesbehördenhaus"

In den 1990er Jahren begann ein weiterer mehrjähriger Umbau. Zum Leidwesen der Beschäftigten wurden die Fenster im Winter ausgetauscht. Sie reichen mittlerweile nicht mehr in allen Etagen bis zum Boden. Wegen der dahinter befindlichen Heizkörper hat man den unteren Teil der Fenster teilweise verblendet. Dennoch sind die heute grün gestrichenen Brüstungsgeländer nach wie vor überall vorhanden.

Den ursprünglichen feudalen Industriecharakter des Gebäudes bekommt der Besucher zu Gesicht, wenn er sich unmittelbar vor dem Eingang befindet. Zwar fällt der Blick des Fußgängers zunächst auf die unschlüssige Beschilderung. Aber spätestens beim Blick in die Höhe wirkt die streng symmetrische, nur durch die Fenster unterteilte Fassade hier monumental – als Zeichen industrieller Leistungsfähigkeit. Und doch haftet dem Gebäude durch die hohen Fensternischen und den Verzicht auf Verzierungen sowie die Beschränkung auf den fast quadratischen Grundriss etwas Filigranes an, wie eine frühe Nachtansicht des beleuchteten Turms belegt.

Turmfassade Mühlheimer StraßeDoppelt hält besserFensterreihen über Eck

Im Foyer finden sich neben dem schönen Marmorfußboden sowie den Umrandungen der Aufzüge die auslaufenden Stufen des Treppenhauses. Die schwarzen Steinstufen enden allerdings in der ersten Etage und werden dort durch helle Steinplatten ersetzt. Im Erdgeschoss, nicht wie anderswo auf der Aussichtsetage, befindet sich eine Cafeteria.

 Jahrzehnte dazwischen: Marmor, Aufzug, FlachbildschirmTreppenaufgang im FoyerDurchgang zur CafeteriaDas Treppenhaus war zunächst nach außen hin verglast und bot einen Blick in Richtung Innenstadt. Im Zuge von Brandschutzmaßnahmen wurden die Außenfenster jedoch durch eine Wand ersetzt und im Gegenzug das Treppenhaus zu den Fluren mit Glasscheiben abgetrennt. Die schlichten und formschönen Hängelampen sind leider – wie so häufig und nach dem viel zu frühen Tod der Glühlampe ohne Alternative - mit Energiesparbirnen bestückt, die auch hier die Atmosphäre eines Krankenhausflures verbreiten.

 Trennwand zum TreppenhausFormschön - aber Energiesparbirnen

Das Arbeitsgericht nutzt die Sitzungssäle I und II im ersten Obergeschoss und den Sitzungssaal III im zweiten Obergeschoss. Ein früher kreischend grüner Teppichboden ist heute einer dezenteren Auslegeware gewichen. In den Fluren und Büros liegt überwiegend Linoleumboden. Die Wände sind hell gestrichen und folgen einem nicht ganz einheitlichen Farbmuster für Arbeits- und Sozialgericht. Für den Klöckner-Bürobetrieb hatte man das Gebäude mit zahlreichen Einbaumöbeln ausgestattet. Auf der ehemaligen Vorstandsetage ist u.a. ein beeindruckender Einbauschrank neben der hölzernen Stuckdecke zu bewundern.

 Büroflur

Ein besonderes Augenmerk sollte man auch auf die Einrichtung der Sitzungssäle richten. Diese nach dem Einzug des Arbeits- und Sozialgerichts Anfang der 1980er Jahre eingerichteten Räume leben von zweierlei: Der hellen Holzvertäfelung aus schmalen Leisten einerseits und der für Elektrik und Belüftung abgehängten Decke. Letztere ist, und das macht sie so interessant, nur zum Rauminneren abgehängt und öffnet sich an den Fenstern abgeschrägt bis zur ursprünglichen Deckenhöhe. So nimmt sie dem Raum nicht allzu viel Licht, wenngleich sie wie ein riesiger Trichter über den Köpfen schwebt.

 An den Wänden viel HolzDeckenkonstruktionAbgehängte Technikdecke

Die Tischmöbel der Säle sind in den vergangenen Jahren nachgerüstet worden. Für meinen Geschmack weisen sie ein wenig zu viele Leisten, Kassetten und Deckel auf, hier hätten schlichtere Formen – wie sie bei den Parteischildern verwendet wurden – den Räumen mehr entsprochen.

 Viel Holz

Als Kontrast zu den Schalttafeln in den Verhandlungssälen verdeutlichen die elektronischen Infotafeln auf dem Flur, wozu die Justiz im 21. Jahrhundert fähig ist: Denn sie zeigen nicht nur eine elektronische Sitzungsrolle, die abwechselnd die Termine von Sozial- und Arbeitsgericht angibt. Darüber hinaus kann sich der Suchende die Sitzungsrolle auch nach Klägern und Beklagten alphabetisch sortieren lassen. Zusätzlich bietet die Infotafel einen Zugang zu den Abfahrtszeiten der Züge am Hauptbahnhof, zum Verkehrsinformationssystem des NRW-Verkehrsministeriums sowie einen Nachrichtenticker. Den wenigsten Gerichtsbesuchern dürfte dies bislang bekannt sein.

 Robuster KlassikerModerner (Fast-) Alleskönner

Bekannter ist dagegen, dass die zahlreichen Etagen des Gebäudes von – vom bis 2008 tätigen Sozialgerichtspräsident Albert Stürmer initiierten – Kunstausstellungen geschmückt werden. Im Jahr 2008 gab es eine vielbeachtete Ausstellung mit Originalwerken Otto Pankoks. Zur Zeit sind Fotografien der Ausstellung „Von Istanbul zum Berg der Arche Noah“ zu sehen, die die formale Welt der Gerichte mit orientalischen Ein- und Ansichten verknüpft.

Das Arbeitsgericht in Duisburg vereinigt damit die Industriebüro-Architektur der frühen Bundesrepublik Deutschland mit funktional-ästhetische Inneneinrichtung der 80er Jahre und Elektronik und Kultur des 21. Jahrhunderts. Was will man mehr?

Die Serie widmet sich Deutschlands Arbeitsgerichten – den Gebäuden, ihrer Architektur und der Umgebung.

Hier geht es zu Teil 9 der Serie, Ulm. Die vorhergehenden Teile finden Sie hier: Stuttgart, Berlin, Ravensburg, München, Saarbrücken, Köln, Siegburg, Frankfurt.

Tags: Arbeitsgericht Duisburg Architektur Deutschland Mühlheimer Straße 24 Serie