Bisher lässt eine Sitzverlegungsrichtlinie auf sich warten. Die GroKo möchte sich für eine EU-weite Regelung zur Sitzverlegung einsetzen.
Die Formulierung
Wir setzen uns für eine europäische Harmonisierung der Regelungen über die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften („Sitzverlegungs-Richtlinie“) […] ein.
im Koalitionsvertrag 2018 lässt vermuten, dass es bereits einen Entwurf einer Sitzverlegungsrichtlinie gibt und die GroKo sich für die zeitnahe Verabschiedung und nationale Implementierung stark machen wird. Die tatsächliche Situation sieht jedoch anders aus.
Der Bedarf nach einer einheitlichen Regelung innerhalb von Europa bestand schon früh
Aufgrund der Tatsache, dass Gesellschaften mobil sein und ihren Verwaltungssitz bei Bedarf in ein anderes Land verlegen wollen, startete die Diskussion über eine fehlende Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts innerhalb von Europa früh.
In den einen Staaten wird dem Ansatz der Gründungstheorie (d. h. es findet auf die Gesellschaft das Recht des Staates Anwendung, in dem die Gesellschaft gegründet wurde) gefolgt und in anderen Staaten dem Ansatz der Sitztheorie (d. h. es findet auf die Gesellschaft das Recht des Staates Anwendung, in dem die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hat).
Um diesen Konflikt und damit verbundene Folgeprobleme aufzulösen, wurde bereits 1968 das 1. Europäische Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen entworfen und unterzeichnet. Das Abkommen ist jedoch nie in Kraft getreten, da es nicht von allen europäischen Ländern ratifiziert wurde.
Erster Entwurf einer Sitzverlegungsrichtlinie
1997 wurde ein zweiter Versuch gestartet. Diesmal wurde allerdings nicht versucht, den Konflikt im Wege einer kollisionsrechtlichen Harmonisierung (z. B. durch Einführung der Gründungstheorie in allen europäischen Ländern) zu lösen. Sondern die Europäische Kommission legte den Entwurf der 14. Sitzverlegungsrichtlinie – und damit eine Lösung im Wege des „Überstülpens″ unabhängig davon, welchem Ansatz im jeweiligen Mitgliedsstaat gefolgt wird – vor; der Anwendungsbereich der Richtlinie war jedoch beschränkt auf Kapitalgesellschaften und die Verlegung des Satzungssitzes und des damit einhergehenden Rechtsformwechsels. Die alleinige Verlegung des Verwaltungssitzes wurde darin nicht geregelt.
Der Entwurf der Sitzverlegungsrichtlinie wurde – wie zu erwarten – von der Praxis im Interesse von Rechtssicherheit natürlich sehr begrüßt. Allerdings wurde die Arbeit an der Sitzverlegungsrichtlinie zunächst eingestellt, um die weitere Rechtsprechung des EuGH zu beobachten.
EuGH hilft nicht weiter: Angelegenheit der Mitgliedsstaaten
Die erwartete Klarheit und Rechtssicherheit brachten die Urteile des EuGH im Rahmen der Urteilstrias (Centros (Urteil v. 9. März 1999 – C-212/97), Überseering (Urteil v. 5. November 2002 – C-208/00) und Inspire Art (Urteil vom 30. September 2003 – C-167/01)) und das Urteil in Sachen Cartesio (v. 16. Dezember 2008 – C-210/06) jedoch auch nicht.
Der EuGH hatte u. a. im Fall Cartesio lediglich klargestellt, dass es Angelegenheit des jeweiligen Mitgliedsstaats sei, die inhaltliche Anknüpfung einer Gesellschaft an den Staat (und damit einhergehend die Rechtsform der Gesellschaft) zu definieren. Dabei können die Mitgliedstaaten entweder auf den rechtlichen Sitz (Satzungssitz) oder auf den tatsächlichen Sitz (Verwaltungssitz) abstellen.
Ob bei einer Verlegung des Verwaltungssitzes die Rechtsform einer Gesellschaft beibehalten wird, hängt also davon ab, ob der Zuzugsstaat als Anknüpfungspunkt den Satzungssitz oder den Verwaltungssitz sieht. Verlegt z. B. eine Gesellschaft, die in einem Mitgliedsstaat gegründet wurde, der der Gründungstheorie folgt, ihren Verwaltungssitz in einen Mitgliedsstaat, der der Sitztheorie folgt, kommt es zu unterschiedlichen Ergebnissen. Je nachdem, ob man aus Sicht des Wegzugsstaats oder des Zuzugsstaats die Gesellschaft betrachtet, behält die Gesellschaft ihre Rechtsform (Ansicht Wegzugsstaat) oder sie verliert ihre bisherige Rechtsform und wird als rechtliches Nullum oder als eine Gesellschaft nach dem Recht des Zuzugsstaats betrachtet (Ansicht Zuzugsstaat). Somit hat der EuGH im Fall Cartesio nicht einheitlich klargestellt, ob und wann eine Sitzverlegung Rechtsform wahrend möglich ist, sondern dies weiterhin vom Ansatz im jeweils betroffenen Mitgliedsstaat abhängig gemacht.
Als Folge wurden die Rufe nach einer einheitlichen Sitzverlegungsrichtlinie wieder lauter. Denn auch die nachfolgenden Urteile des EuGH in Sachen VALE (Urteil vom 12. Juli 2012 – C-378/10) und Polbud (Urteil vom 25. Oktober 2017 – C-106/16) konnten keine eindeutige Klarheit diesbezüglich schaffen. So wurde in der Rechtssache Polbud lediglich klargestellt, dass die isolierte Satzungssitzverlegung (also ohne zeitgleiche Verlegung des Verwaltungssitzes) von der Niederlassungsfreiheit umfasst ist.
Sitzverlegungsrichtlinie lässt auf sich warten
Die Europäische Kommission hatte für Ende 2017 eine Legislativinitiative für eine Sitzverlegungsrichtlinie in Aussicht gestellt. Es wird vermutet, dass dieser Entwurf in Anlehnung an den Entwurf der Richtlinie von 1997 ausgestaltet sein wird und lediglich die Verlegung des Satzungssitzes regeln wird, aber nicht die reine Verlegung des Verwaltungssitzes. Dies ist jedoch alles Spekulation, denn der Entwurf lässt immer noch auf sich warten.
Grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften
Neben dem im Koalitionsvertrag angedachten Engagement für eine „Harmonisierung der Regelungen über die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften („Sitzverlegungs-Richtlinie“)″ sollte auch eine EU-weite Regelung zu Spaltungen und Verschmelzungen gefordert und unterstützt werden; und nicht nur für Kapital-, sondern auch Personengesellschaften. Und noch viel wichtiger wäre eigentlich die Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts, um die ewige Diskussion um Gründungs- und Sitztheorie zu beenden.
Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Pläne der GroKo in den verschiedenen Rechtsbereichen. Bereits erschienen sind Beiträge zu den allgemeinen Änderungen im Arbeitsrecht sowie speziell zur Zeitarbeit, zu den Auswirkungen der geplanten Einschränkung sachgrundloser Befristungen, zum Recht auf befristete Teilzeit und zu den Änderungen hinsichtlich flexibler und mobiler Arbeitsgestaltung. Weiter ging es mit einem Überblick über die von der GroKo im Koalitionsvertrag geplanten Maßnahmen zu den Themen Venture Capital, Start-ups und Unternehmensgründung. Wir haben einen Überblick über die Änderungspläne der GroKo im Steuerrecht gegeben sowie die Pläne einer Musterfeststellungsklage und eines Sanktionsrechts für Unternehmen beleuchtet. Neben einem Überblick übers Gesellschaftsrecht haben wir uns mit der SPE näher beschäftigt. Danach sind wir auf die Sitzverlegungsrichtlinie, die Reform des Personengesellschaftsrechts sowie die Grunderwerbsteuer bei Share Deals eingegangen. Zuletzt erschienen sind Beiträge zur Finanztransaktionsteuer und zu Änderungen im Kündigungsschutz hochbezahlter Bankangestellter.