6. Dezember 2016
Atomausstieg, verfassungsgemäß
Öffentliches Wirtschaftsrecht Energiewirtschaft & Klimaschutz

Atomausstieg ist eingeschränkt verfassungsgemäß

Das BVerfG erklärt die AtG-Novelle zum Atomausstieg für verfassungsgemäß - aber nicht ohne Entschädigung oder sonstigen Ausgleich für Kernkraftwerksbetreiber.

Mit der 13. Novelle des Atomgesetzes (AtG) wurde infolge der Katastrophe von Fukushima der endgültige Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie umgesetzt. Mit Urteil vom 06.Dezember 2016 (1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die AtG-Novelle für im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt.

Mit dem verfassungsmäßigen Schutz des Eigentums ist jedoch nicht vereinbar, dass kein hinreichender Ausgleich für den Entzug in 2002 zugewiesener und nicht mehr verbrauchbarer Reststrommengen und für bestimmte Investitionen in Kernkraftwerke vorgesehen wurde.

13. AtG-Novelle mit Endterminen für den Betrieb der Kernkraftwerke

Die der Entscheidung des BVerfG zugrundeliegende Entwicklung ist allgemein bekannt. Mit der AtG-Novelle im Jahr 2002 war die Grundentscheidung zum Atomausstieg getroffen.

Nach 2009 entschied die neue Bundesregierung, die Kernenergie für einen längeren Zeitraum noch als „Brückentechnologie″ weiter zu nutzen. Demgemäß wurden den Kernkraftwerken mit der 11. AtG-Novelle zusätzliche Reststrommengen gewährt mit dem Ziel, die Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre zu verlängern. Infolge des Tsunamis von 2011 und der dadurch ausgelösten Kernschmelzen im Kraftwerk Fukushima in Japan ist die Bundesregierung von diesem Energiekonzept abgerückt.

Mit der 13. AtG-Novelle wurden erstmals feste Endtermine für den Betrieb der Kernkraftwerke verankert und die mit der 11. AtG-Novelle kurz zuvor vorgenommene Laufzeitverlängerung wieder aufgehoben. Hiergegen wenden sich die Verfassungsbeschwerden der Kernkraftwerksbetreiber unter Berufung auf die damit verbundene Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts.

BVerfG: Kernkraftwerksbetreiber haben Ausgleichs- und Entschädigungsanspruch

Das BVerfG gibt den Beschwerdeführern insoweit Recht, als es im Hinblick auf die Eigentumsgrundrechte der Kraftwerksbetreiber Ausgleichs- und Entschädigungsregelungen einfordert. Der in 2002 beschlossene Atomausstieg war nicht Gegenstand des Verfahrens und bleibt daher schon deswegen unbeanstandet. Aber auch die weitergehende Regelung mit der 13. AtG-Novelle ist grundsätzlich verfassungsgemäß und behält damit Bestand.

Keine Enteignung – 13. AtG-Novelle ist eine „Inhalts- und Schrankenbestimmung″

Das BVerfG sieht die Eigentumsrechte der Kraftwerksbetreiber in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei Kernkraftwerken Eigentumsrechtspositionen betroffen sind, die einen besonders ausgeprägten Sozialbezug aufweisen. Das verschafft dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Atomrechts einen besonders weiten Gestaltungsspielraum. Von der Eigentumsgarantie geschützt ist nicht die atomrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Kernkraftwerksanlage, sondern das Recht zur Nutzung des Eigentums an der zugelassenen kerntechnischen Anlage.

Die angegriffenen Bestimmungen führen nach Auffassung des BVerfG nicht zu einer Enteignung. Die Enteignung sei nicht nur die Entziehung konkreter subjektiver Eigentumspositionen, sondern setze darüber hinaus voraus, dass der hoheitliche Zugriff zugleich eine Güterbeschaffung zugunsten der öffentlichen Hand darstelle. Diese Frage war bisher umstritten. Das BVerfG sieht in dem reinen Eigentumsentzug eine Ausprägung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Die Enteignung sei dagegen auf die Beschaffung des betroffenen Gegenstands gerichtet. Da es an einer solchen Güterbeschaffung fehlt, ist die 13. AtG-Novelle als eine „Inhalts- und Schrankenbestimmung″ zu qualifizieren, die den Umfang des gesetzlich eingeräumten Eigentums festlegt und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss.

Der Gesetzgeber verfolgt mit der Beschleunigung des Atomausstiegs zur Minimierung des mit der Kernenergie verbundenen Restrisikos und zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung sowie der natürlichen Lebensgrundlagen ein legitimes Regelungsziel. Die gesetzlichen Regelungen sind grundsätzlich auch zur Erreichung dieses Ziels geeignet, aber im Hinblick auf fehlende Ausgleichsregelungen teilweise unverhältnismäßig.

Die Streichung der 2010 mit der 11. AtG-Novelle gewährten zusätzlichen Strommengen ist verhältnismäßig. Der Eigentumsschutz ist in Bezug hierauf besonders stark eingeschränkt, da die Zusatzstrommengen nicht auf einer Eigenleistung der betroffenen Unternehmen beruhen und der betroffene Zeitraum äußerst kurz ist. Im Hinblick auf den sehr hohen Wert der verfolgten Gemeinwohlbelange erweist sich dieser Eingriff als angemessen.

BVerfG stellt Verfassungsverstöße in AtG-Novelle fest

Dagegen ist es den betroffenen Kraftwerksbetreibern nicht zumutbar, dass durch die Beschränkung der Restlaufzeiten substanzielle Teile der 2002 zugewiesenen Strommengen nicht konzernintern genutzt werden können. Als Teil einer gesetzlichen Übergangsregelung genießen die Betreiber insoweit besonderen Vertrauensschutz. Dies führt auch zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung der hiervon betroffenen Kraftwerksbetreiber.

Darüber hinaus liegt ein Grundgesetzverstoß auch insoweit vor, als die 13. AtG-Novelle keine Ausgleichsregelung für den Fall vorsieht, dass Investitionen durch Streichung der 2010 zugeteilten Zusatzstrommengen entwertet wurden. Zwar schützt die Eigentumsgarantie nicht gegen jedwede Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns. Mit der 11. AtG-Novelle wurde jedoch ein berechtigtes Vertrauen erzeugt. Die Kraftwerksbetreiber durften damit rechnen, dass der Gesetzgeber von der Grundsatzentscheidung zur Beibehaltung der Atomkraft als „Brückentechnologie″ nicht bereits in diesem kurzen Zeitraum Abstand nimmt.

Neuregelung in AtG-Novelle bis Mitte 2018

Die festgestellten Verfassungsverstöße führen nicht zur Aufhebung der betroffenen gesetzlichen Regelungen. Das BVerfG stellt die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz fest und fordert eine Neuregelung zur Beseitigung der Verfassungsverstöße insbesondere durch Schaffung einer Entschädigungs-, Kompensations- oder sonstigen Ausgleichsregelung. Diese muss einen angemessenen Ausgleich im Hinblick auf die Beschränkung des Verbrauchs der Reststrommengen und die durch die Festlegung des Laufzeitendes entwerteten Investitionen schaffen.

Jetzt ist der Gesetzgeber am Zuge. Er muss bis zum 30. Juni 2018 eine Neuregelung treffen. Die Neuregelung muss nicht zwingend die Entschädigung der betroffenen Betreiber beinhalten, sondern kann auch andere Ausgleichsregelungen umfassen, etwa eine Anpassung der Restlaufzeiten oder eine anderweitige Kompensation. Bei der Neuregelung muss der Gesetzgeber die in dem Urteil aufgezeigten Grenzen des Eigentumsschutzes beachten.

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