8. Oktober 2015
Dresdner Waldschlösschenbrücke
Öffentliches Wirtschaftsrecht

Schlussanträge zur Dresdner Waldschlösschenbrücke

FFH-Verträglichkeitsprüfung: Generalanwältin legt Schlussanträge im Verfahren um Bau der Dresdner Waldschlösschenbrücke vor.

Das Schicksal der Dresdner Waldschlösschenbrücke beschäftigt seit Jahren die Gerichte, zuletzt das Bundesverwaltungsgericht und nun den Europäischen Gerichtshof (Rs. C-399/14). Das BVerwG hatte das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vier Fragen zur Entscheidung vorgelegt. Am 24. September 2015 hat die Generalanwältin Sharpston ihre Schlussanträge vorgelegt.

Schutz von FFH-Gebieten

Nach der Habitatrichtlinie 92/43/EWG sind Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, sog. FFH-Gebiete, auszuweisen. Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den FFH-Gebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und geschützten Arten zu vermeiden (Art. 6 Abs. 2).

Projekte, die ein solches Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, sind grundsätzlich einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 zu unterziehen. Das Projekt darf nur zugelassen werden, wenn es das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt, es sei denn, die Durchführung ist aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses geboten.

Ausweisung des FFH-Gebietes nach Planfeststellung

Die Dresdner Waldschlösschenbrücke wurde zu einem Zeitpunkt geplant und planfestgestellt, als das umliegende Elbtal noch nicht als FFH-Gebiet eingestuft war. Mit dem Bau wurde jedoch erst nach Ausweisung des FFH-Gebiets „Elbtal zwischen Schöna und Mühlberg“ begonnen. Die Brücke ist mittlerweile fertiggestellt.

Die Planfeststellungsbehörde hatte vor Ausweisung des Gebiets im Rahmen einer „Gefährdungsabschätzung“ geprüft, ob das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets führen könne. Nachdem das Elbtal als FFH-Gebiet ausgewiesen war, wurde nachträglich eine detailliertere Prüfung vorgenommen.

Das BVerwG hatte über die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zu entscheiden. Es hält die durchgeführten FFH-Prüfungen für unzureichend und hat dem EuGH vier Fragen zur Notwendigkeit einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung sowie der Art und Weise ihrer Durchführung vorgelegt.

Generalanwältin formuliert weitreichende Anforderungen an die Verträglichkeitsprüfung

In ihren Schlussanträgen stellt die Generalanwältin Sharpston weitreichende Anforderungen an die Verträglichkeitsprüfung eines Projekts. Einige ihrer Ausführungen beziehen sich auf die sehr spezielle Sachverhaltsgestaltung. Andere hätten erhebliche darüber hinausgehende Folgen, falls der EuGH sich den Schlussanträgen anschließt.

Selbst nach Erlass einer bestandskräftigen Vorhabengenehmigung ist nach Auffassung der Generalanwältin eine erneute FFH-Verträglichkeitsprüfung in zwei Szenarien erforderlich:

Erstens, wenn die ursprüngliche Prüfung die einschlägigen Maßstäbe so weit verfehlt, dass erhebliche Verschlechterungen der Lebensräume oder Störungen von Arten drohen.

Zweitens, wenn seit dem Zeitpunkt der ursprünglichen Untersuchung und vor dem Beginn der Bauarbeiten eine erhebliche Veränderung der Verhältnisse des Gebiets oder der Projektdetails eingetreten ist – selbst wenn die Planfeststellungsbehörde eine fachgerechte Verträglichkeitsprüfung vorgenommen hat.

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt sei der Zeitpunkt der Durchführung der erneuten Prüfung. Inhaltlich habe die Prüfung im Regelfall Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie zu entsprechen. Im Einzelfall sei allerdings ein erleichtertes Verfahren denkbar.

Für den Fall, dass eine neue Verträglichkeitsprüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vorhaben das FFH-Gebiet erheblich beeinträchtigen könne, schließt die Generalanwältin sogar einen Rückbau der fertiggestellten Brücke nicht aus. Der Rückbau könne aber seinerseits ein Projekt sein, das einer FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden müsse. Deshalb seien die ökologischen Folgen bei der Entscheidung über den Rückbau zu berücksichtigen. Außer Acht bleiben müssten aber die Kosten des Rückbaus. Ökologisch abträgliche Projekte dürften nicht allein deshalb bestehen bleiben, weil es zu teuer sei, der mangelnden Beachtung der Anforderungen der Habitatrichtlinie abzuhelfen.

Rückbau der Dresdner Waldschlösschenbrücke?

Sofern der EuGH den Schlussanträgen folgt, werden die Verwaltungsgerichte zu klären haben, ob die nachträgliche Überprüfung den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie entspricht bzw. ob im Einzelfall ein weniger strenger Maßstab zugrunde zu legen war. War die Prüfung nicht rechtmäßig, so kann der Fehler unter Umständen in einem nachträglichen Verfahren behoben werden. Nur wenn auch dies nicht gelingt und der Rückbau nicht seinerseits zu erheblichen Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets führen kann, müsste die Waldschlösschenbrücke im Extremfall zurückgebaut werden.

Auswirkungen auf andere Vorhaben

Wörtlich führt die Generalanwältin unter anderem aus:

Art. 6 Abs. 2 beinhaltet eine laufende Verpflichtung, das gleiche Schutzniveau wie Art. 6 Abs. 3 zu gewährleisten, und es widerspräche der Zielsetzung der Richtlinie, wenn eine Baugenehmigung unverändert Bestand hätte und von ihr auch nach einer wesentlichen Änderung des Erhaltungszustands des Gebiets Gebrauch gemacht werden dürfte. (Rn. 43)

sowie

Zunächst halte ich es für undenkbar, dass die nach nationalem Verfahrensrecht eingetretene Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses in irgendeiner Weise als Begründung dafür herangezogen werden kann, dass Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie nicht eingehalten werden muss. […] Zudem sieht Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie fortlaufende Verpflichtungen vor. Selbst wenn eine Baugenehmigung in einem mit Art. 6 Abs. 3 und 4 völlig in Einklang stehenden Verfahren erteilt wird, müssen die Mitgliedstaaten weiterhin geeignete Maßnahmen treffen, um Verschlechterungen der Lebensräume und Störungen von Arten zu vermeiden. (Rn. 64 f.)

Diese beiden Passagen bergen juristischen Sprengstoff: Jedenfalls bis zum Baubeginn ist zu gewährleisten, dass das Vorhaben auch bei geänderten Umständen mit der Habitatrichtlinie vereinbar bleibt und nicht – etwa in Folge zwischenzeitlicher Verschlechterungen des Erhaltungszustands – zu erheblichen Beeinträchtigungen von Lebensräumen oder Arten führt.

Dies wird insbesondere bei Großprojekten relevant, wurden doch die Bestandsaufnahmen für die FFH-Verträglichkeitsprüfung oft mehrere Jahre vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses durchgeführt und kann sich der Baubeginn durch gerichtliche Auseinandersetzungen um weitere Jahre verzögern. Folgt man der Generalanwältin, verliert das Datum des Planfeststellungsbeschlusses als eigentlich maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage in FFH-rechtlicher Hinsicht an Bedeutung.

Verändert sich in diesem Zeitraum der Erhaltungszustand des FFH-Gebiets, muss die FFH-Verträglichkeit erneut geprüft werden. Geht die Prüfung negativ aus und liegen auch die Voraussetzungen für eine Ausnahme nicht vor, soll sich der Vorhabenträger nicht auf Vertrauens- und Investitionsschutz berufen können. Nicht, wenn das Vorhaben mittlerweile fertiggestellt wurde und selbst dann nicht, wenn eine bestandskräftige Genehmigung vorliegt. In dieser Deutlichkeit hatte sich der EuGH bisher nicht zu Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie geäußert.

Angesichts der neueren verbandsklagefreundlichen Rechtsprechung des EuGH zu Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention muss man damit rechnen, dass auch Umweltvereinigungen versuchen werden, bestandskräftig genehmigte Vorhaben nachträglich vor den Verwaltungsgerichten zu blockieren.

Die in einigen Monaten zu erwartende Entscheidung des EuGH könnte deshalb weitreichende Konsequenzen für Projekte innerhalb oder in der Nähe von FFH-Gebieten haben.

Update: Der EuGH hat am 14. Januar 2016 sein Urteil verkündet. Muss die Waldschlösschenbrücke wieder abgerissen werden?

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