In 10 Punkten fasst das BMWK seine wettbewerbspolitische Agenda zusammen. Diese umfasst neben der Digitalisierung u.a. Globalisierung, Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz.
Im Koalitionsvertrag spielt das Kartellrecht eine wichtige Rolle – die Ampel will strengere EU-Regulierung für Gatekeeper, kündigt an, das GWB zu überprüfen, das Kartellamt im Verbraucherschutz zu stärken und unfairen Handel zu bekämpfen.
Am 22. Februar stellte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) seine wettbewerbspolitische Agenda bis 2025 vor, mit der die Ziele der Koalition umgesetzt werden sollen. Das Papier hatte Bundesminister Robert Habeck dem Bundeskartellamt einen Tag zuvor persönlich präsentiert.
In 10 Punkten werden die ambitionierten wettbewerbspolitischen Grundpfeiler für eine sozialökologische Marktwirtschaft zusammengefasst. Im Mittelpunkt stehen neben der Digitalisierung, Globalisierung und Nachhaltigkeit auch die Energieversorgung, der Verbraucherschutz und die öffentliche Beschaffung. Beim Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zeichnet sich – wie im Koalitionsvertrag bereits angekündigt – schon ein Jahr nach Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle (Digitalisierungsnovelle) die nächste Novelle am Horizont ab.
Bekenntnis zur Ordnungspolitik
Allen Punkten voran stellt das BMWK ein Bekenntnis zur Ordnungspolitik als einem starken ordnungspolitischen Rahmen, innerhalb dessen Raum für private Innovationen, Marktkräfte und Wettbewerb ist. Nicht verwechselt sehen will das BMWK Ordnungspolitik mit dem Vertrauen auf ungeregelte Marktkräfte – makroökonomische Stabilität, sozialer Ausgleich und die Stärkung von Innovationen bräuchten eine „aktive Wirtschaftspolitik“. Ein deutlicher Hinweis auf starke Digitalregulierung, Kontrolle von Nachfragemacht und Verbraucherschutz.
Auf der anderen Seite spricht sich das Papier – für viele vielleicht überraschend – auch für einen Abbau von Privilegien sowie Subventionen aus und warnt vor den Gefahren von „Überforderung“, einem Phänomen, das oft mit grüner Energiepolitik verbunden wird. Klare Worte hierzu: Dauersubventionen sind genauso zu vermeiden wie unnötig hohe Kosten für die öffentliche Hand.
Weiterentwicklung des GWB
Nach der GWB-Novelle ist vor der GWB-Novelle: Das BMWK wird das GWB evaluieren und Vorschläge zur Weiterentwicklung machen. Ansatzpunkte, die auch schon im Koalitionsvertrag genannt wurden, sind Mittelstandsschutz, Verbraucherrechte*, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit.
Weiter soll die private Rechtsdurchsetzung im Digitalbereich gestärkt werden; im Ministererlaubnisverfahren sollen wieder Klagemöglichkeiten bestehen und der Bundestag soll eingebunden werden.
Keine gesonderte Erwähnung findet der Punkt des Koalitionsvertrages, sich weiter um fairen Wettbewerb zwischen Geschäftsmodellen digitaler Großunternehmen und lokal verwurzelter Unternehmen zu bemühen, was auch die Durchsetzung des Kartellrechts im Online-Handel betreffen könnte.
Effektive Instrumente für den Klimaschutz
Im Klimaschutz kündigt die Agenda an, auf einen möglichst umfassenden CO2-Bepreisungsmechanismus zu setzen, um die externen Effekte durch CO2-Ausstoß bei den Verursachern zu internalisieren. So weit, so ordnungspolitisch sauber. Die Regierung will sich jedoch auch von „reiner Marktversagenslogik“ lösen und den Ordnungsrahmen um regelgebundene und effektive Instrumente ergänzen. Als konkrete Beispiele genannt werden Klimaverträge (Carbon Contracts for Difference).
Bekämpfung erhöhter Energiepreise
Wettbewerbspolitik soll auch dazu beitragen, die erhöhten Energiepreise zu bekämpfen. Das BMWK beabsichtigt, den kartellrechtlichen Rahmen der verschärften Missbrauchsaufsicht über Strom- und Gaspreise zu verlängern und den Anwendungsbereich auf Fernwärme zu erweitern. Der entsprechende § 29 GWB war im Zuge der 7. GWB-Novelle eingeführt worden, gilt aktuell aber nur bis zum 31. Dezember 2022.
Das BMWK weist darauf hin, dass aktuell bereits Untersuchungen durch Kartellamt und Monopolkommission stattfinden, inwiefern auch missbräuchliches Verhalten eine Rolle beim Anstieg der Energiepreise spielt.
Stärkung der Missbrauchsaufsicht in Bezug auf den Lebensmitteleinzelhandel
Insbesondere im Lebensmittelbereich soll die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht durch das Kartellamt gestärkt werden, um Einschränkungen des „fairen Wettbewerbs mit fairen Preisen“ durch Oligopole der Handelsunternehmen zu begegnen.
Im Juni 2021 ist in diesem Bereich bereits das AgrarOLkG, mit dem die Richtlinie der EU gegen unfaire Handelspraktiken in der Lebensmittellieferkette in deutsches Recht umgesetzt wird, in Kraft getreten. Das AgrarOLkG verbietet diverse unfaire Handelspraktiken von Käufern gegenüber ihren Lieferanten. Allerdings hat dieses einen beschränkten Anwendungsbereich – geschützt werden nur Lieferanten mit einem Umsatz von nicht mehr als EUR 350 Mio.; eine Erweiterung des Anwendungsbereichs besteht für Milch, Fleisch, Obst, Gemüse und Gartenbauprodukte – und die Durchsetzungsbefugnisse liegen bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Möglicherweise werden diese Spezialregelungen nun in der nächsten GWB-Novelle durch stärkere kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht ergänzt.
Keine ausdrückliche Erwähnung in dem 10-Punkte-Papier findet die stärkere Berücksichtigung von Nachfragemacht in Fusionskontrollverfahren, die der Koalitionsvertrag noch angekündigt hat.
Befugnisse im Bereich Verbraucherschutz
Mit der 9. GWB-Novelle 2017 hat das Bundeskartellamt Befugnisse im wirtschaftlichen Verbraucherschutz erhalten, um Defiziten bei der Durchsetzung von Verbraucherrechten zu begegnen.
Die Möglichkeiten des Bundeskartellamts in diesem Bereich sind allerdings sehr eingeschränkt. Die Wettbewerbshüter können nur Sektoruntersuchungen durchführen und Amicus-Curiae-Stellungnahmen abgeben, haben aber keine Eingriffsrechte. Die Abteilung V (für Verbraucherschutz) des Bundeskartellamts wird eher als zahnloser Papiertiger wahrgenommen. Das BMWK wird nun Vorschläge für Befugnisse des Bundeskartellamts machen, bei Verstößen gegen wirtschaftliche Verbraucherrechte zu ermitteln und diese abzustellen. Mit solchen Eingriffsbefugnissen würde es zu einer erheblichen Ausweitung der Tätigkeiten des Amts kommen.
Beschaffung durch die öffentliche Hand als Vorbild
Einen wichtigen Beitrag zu „fairem und verantwortungsvollem“ Wettbewerb soll das Vergaberecht leisten. Mit den hohen Einkaufsvolumen der öffentlichen Auftraggeber will die Regierung Impulse für die sozialökologische und digitale Transformation setzen. Das Vergaberecht umfasst bereits jetzt Vorgaben zur klimafreundlichen Beschaffung und ein Gebot zur Rücksichtnahme bzgl. eines CO2-Schattenpreises. Das BMWK will die Verbindlichkeit dieser Vorgaben stärken und diese mit mehr Digitalisierung wirksam umsetzen.
Wichtig: Das BMWK strebt Regelungen zur Bindung der öffentlichen Auftraggeber an die Einhaltung von repräsentativen Tarifverträgen an, um die Tarifbindung zu stärken. Dies war bereits im Koalitionsvertrag angekündigt worden.
Stärkung des Bundeskartellamts
Das Bundeskartellamt gehört zweifelsfrei zu den stärksten und effektivsten Wettbewerbsbehörden weltweit. Bei vielen wichtigen wettbewerbspolitischen Entwicklungen gingen die Bonner Wettbewerbshüter voran, und dies mit – im Vergleich zu anderen Behörden – relativ überschaubaren Ressourcen. Gleichzeitig nehmen die Aufgaben des Amts zu und es soll nach dem Wunsch der Koalition auch bei der zukünftigen EU-Digitalregulierung (Stichwort Digital Markets Act) eine wichtige Rolle spielen. In Bonn wird man deshalb gerne gehört haben, dass das Amt sowohl personell als auch bei der IT-Ausstattung gestärkt werden soll.
Nachschärfungen in der internationalen Wettbewerbspolitik
Auf internationaler Ebene – in der EU und im Rahmen der G7-Präsidentschaft – will sich das BMWK (weiter) stark in die Wettbewerbspolitik einbringen. Auf der Prioritätenliste stehen dabei, wie bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, Nachschärfungen beim geplanten Digital Markets Act der EU, eine Einbindung der nationalen Behörden bei der Durchsetzung der Digitalregulierung und strenge Regeln beim Aufkauf von Wettbewerbern, sog. „Killer Acquisitions“. Auch an der Forderung nach einer missbrauchsunabhängigen Entflechtungsmöglichkeit als Ultima Ratio wird festgehalten.
Neu auf der Liste des BMWK: eine Initiative zum besseren Schutz von Kronzeugen und zur Reform der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie. Das spiegelt die Unzufriedenheit des Bundeskartellamts mit dem Rückgang von Kronzeugenanträgen wider, der ganz zentral mit der Furcht der Unternehmen vor nachfolgenden Schadensersatzverfahren im Falle einer Selbstanzeige beim Bundeskartellamt zusammenhängt.
Ein kleiner Seitenhieb in Richtung EU-Gesetzgeber: Das BMWK ist unzufrieden mit der Transparenz bei den Gesetzgebungsverfahren im Wettbewerbsbereich und fordert mehr Partizipation und eine bessere institutionelle Balance zwischen Kommission, Parlament und Rat. Gerade bei der geplanten Digitalregulierung der EU fühlte sich die Bundesregierung ganz offensichtlich übergangen.
Einsatz für globalen fairen Wettbewerb
Das BMWK will sich für Offenheit im Handel und für Investitionen und gegen eine Abschottung der Märkte einsetzen. Aber: Voraussetzung dafür sei die Eindämmung von Wettbewerbsverzerrung auf internationaler Ebene. Im Blick hat das BMWK Subventionen von bestimmten Drittstaaten, in denen keine dem EU-Recht vergleichbare Kontrolle von Beihilfen und Subventionen erfolgt. Die Bundesregierung unterstützt damit, wie schon im Koalitionsvertrag betont, den Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung gegen Verzerrungen im Binnenmarkt durch Subventionen aus Drittstaaten (Foreign Subsidies Regulation), der aktuell das EU-Gesetzgebungsverfahren durchläuft. Der Entwurf umfasst drei Instrumente: Neben (i) einem ex-officio tool sieht der Verordnungsentwurf (ii) die Kontrolle von Drittstaatsubventionen im Rahmen von Vergabeverfahren mit einem Projektwert von mind. EUR 250 Mio. sowie (iii) die Überprüfung von Fusionen, die bestimmte Schwellenwerte erreichen (aktueller Entwurf: EUR 500 Mio. Gesamtumsatz und EUR 50 Mio. Subventionen), vor.
In der Serie „Environment and Climate Change“ sind wir eingegangen auf neue Gesetze im Energierecht, den Inhalt des 12. Deutschen Energiekongresses, haben uns mit dem Mieterstrom, mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der H2-Politik und der Herstellerhaftung in Russland befasst sowie die Konsultation und das Feedback zur BNetzA-Konsultation Wasserstoffnetze dargestellt. Weiter beschäftigt haben wir uns mit der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, der Einwegkunststoffverbotsverordnung, dem „Green Deal“, den Auswirkungen der EU-Taxonomie auf die Immobilienwirtschaft und der Wasserstoffstrategie in Ungarn. Anschließend sind wir auf das Fit-for-55-Maßnahmenpaket und die Entwicklungen in der nationalen Wasserstoffstrategie der Türkei, auf die Beschaffungen des Bundes sowie die Auswirkungen der Sondierungsgespräche auf die Immobilienbranche eingegangen.