2. Februar 2022
Klima Verfassungsbeschwerde CO2
Environment and Climate Change (ESG)

BVerfG: Klima-Verfassungsbeschwerden gegen Bundesländer ohne Erfolg

Fehlende Ländervorgaben zur CO2-Minderung verletzen mangels länderspezifischer CO2-Budgets keine Grundrechte.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 18. Januar 2022 (1 BvR 1565/21 u.a.) der Forderung nach landesgesetzlichen Vorgaben zur CO2-Minderung eine Absage erteilt. Damit bleibt es seiner Linie treu – auch wenn das auf den ersten Blick anders aussieht.

Zielrichtung der erneuten Klimaklagen vor dem BVerfG

Kein Jahr nach seinem viel beachteten „Klima-Beschluss“ vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18 u.a.) hatte das BVerfG erneut über mehrere Verfassungsbeschwerden zu entscheiden, die verbindliche Vorgaben zur CO2-Reduktion in Landes-Klimaschutzgesetzen durchzusetzen versuchten. Die Klimaklagen richteten sich diesmal gegen die aus Sicht der Beschwerdeführenden unzureichenden Klimaschutzgesetze der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bzw. gegen das Fehlen ausdrücklicher Reduktionsziele durch Landes-Klimaschutzgesetze in den Bundesländern Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Die Verfassungsbeschwerden wurden jedoch vom BVerfG schon nicht zur Entscheidung angenommen. Dass hierin keine Abkehr vom sog. Klimabeschluss des BVerfG vom 24. März 2021 liegt, bedarf einer kurzen Einordnung.

Beschwerdebefugnis bei unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen des Gesetzgebers

Das BVerfG erkennt – wie schon in seinem Beschluss vom 24. März 2021 – grundsätzlich eine Beschwerdebefugnis, also die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Grundrechten, im Fall unzureichender Klimaschutzmaßnahmen an. 

Voraussetzung für das Vorliegen einer Beschwerdebefugnis ist hier eine eingriffsähnliche Vorwirkung für spätere Zeiträume. Denn der Bundesgesetzgeber habe das aus Art. 20a GG folgende Klimaschutzgebot durch die Zielvorgabe in § 1 Klimaschutzgesetz des Bundes (KSG), die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu beschränken und perspektivisch durch verschiedene Maßnahmen Klimaneutralität zu erreichen, in zulässiger Weise konkretisiert. Einzelne könnten sich gegen Gesetze wenden, deren Auswirkungen in der Zukunft zu Beschränkungen grundrechtlich geschützter Freiheit führen, weil dann besonders scharfe Klimaschutzmaßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzvorgaben notwendig werden. 

Im letztjährigen Beschluss hatte das BVerfG daher das damals geltende KSG als verfassungswidrig beurteilt. 

Die Beschwerdeführenden rügen nun in Bezug auf die Gesetzgebung in verschiedenen Bundesländern eine Verletzung von Grundrechten in ihrer die Freiheit über die Zeit sichernden Dimension sowie eine Verletzung von Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Die Regelungen in bestehenden Klimaschutzgesetzen der Länder seien unzureichend, weil keine oder keine hinreichenden Reduktionspfade in Gestalt konkret zulässiger Emissionsmengen angegeben werden. Bei einigen Bundesländern wird das Unterlassen der Landesgesetzgeber gerügt, überhaupt Klimaschutzgesetze und damit einen Reduktionspfad für Treibhausgase gesetzlich zu normieren.

Mangels länderspezifischen CO2-Budgets keine verfassungswidrige eingriffsähnliche Vorwirkung auf spätere Grundrechtsausübung erkennbar

Das BVerfG bestätigt zwar, dass auch die Bundesländer aus Art. 20a GG zum Klimaschutz verpflichtet sind. Es nimmt die Verfassungsbeschwerden jedoch schon nicht zur Entscheidung an, weil es an einer landesspezifischen Reduktionsvorgabe fehlt, der die Landesgesetzgeber verpflichtet wären. 

Die für die Annahme einer Grundrechtsverletzung entscheidende Bezugsgröße seien die Reduktionslasten, die nicht unverhältnismäßig auf die Zukunft verschoben werden dürfen. Denn die aktuelle Zulassung von Emissionsmengen führt nur dann rechtlich zwangsläufig zu einer bestimmten weiteren Reduktionslast und damit zu erheblichen Freiheitsbeschränkungen, wenn ein zumindest grob erkennbares Budget von insgesamt noch zulassungsfähigen CO2-Emissionen existiert. Erfolgt kurzfristig eine zu große Reduzierung der Restmenge dieses Budgets, so droht eine spätere, die grundrechtlich geschützte Freiheit beschränkende Reduktionslast.

Ein solches Budget lässt sich aus dem wissenschaftlich anerkannten globalen CO2-Budget und den daraus abgeleiteten nationalen Restmengen für Deutschland grob bestimmen und liegt der Zielfestlegung des Bundesgesetzgebers im Bundes-Klimaschutzgesetz zugrunde. Eine Regelung zur Weiterverteilung auf die Bundesländer existiert jedoch nicht. Nur wenn es länderspezifische CO2-Budgets gäbe, könnte das Unterlassen von Emissionsminderungsvorgaben in Landesgesetzen überhaupt eine verfassungswidrige eingriffsähnliche Vorwirkung auf die spätere Grundrechtsausübung haben. 

Damit hat das BVerfG zugleich die Vorgehensweise des Bundesgesetzgebers, die Vorgabe von jährlichen CO2-Minderungs-Zielen auf verschiedene Sektoren zu beziehen und bei Nichterreichen der Zwischenziele einen Mechanismus zu Nachjustierungen zu implementieren, bestätigt. Das BVerfG betont die wegen seiner Gesetzgebungskompetenz führende Rolle des Bundesgesetzgebers in allen Bereichen des Klimaschutzes. Es deutet an, dass der gewählte sektorale Steuerungsansatz daher sinnvoll ist. 

BVerfG bestätigt Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Steuerung der Klimaschutzmaßnahmen 

In der Entscheidung des BVerfG vom 18. Januar 2022 liegt – auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht – keine Abkehr vom Klimabeschluss von 2021. Diese Grundsatzentscheidung bleibt in ihrer Tragweite bemerkenswert und wird durch den jetzigen Beschluss bestätigt. Das BVerfG verweist aber auch auf Unterschiede der gesetzgeberischen Verpflichtung von Bund und Ländern im föderalen System. Zwar lässt sich eine insgesamt verbleibende CO2-Restmenge für die Bundesrepublik Deutschland grob erkennen – nicht aber für einzelne Bundesländer. Im Ergebnis betont damit das BVerfG auch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und die Entscheidung zu einer sektoralen Steuerung der Klimaschutzmaßnahmen. 

Das Zusammenspiel zwischen Verpflichtung zu einem gesamtstaatlichen CO2-Minderungs-Ziel, sektoralem Steuerungsansatz und föderaler Ausgestaltung von Gesetzgebungskompetenzen und Umsetzungsverantwortung birgt aber auch Herausforderungen für die tatsächliche Erreichung der Klimaschutzziele. Das BVerfG wird jedenfalls erneut Gelegenheit haben, die Entscheidungen des Bundesgesetzgebers zum Klimaschutz zu überprüfen. Denn die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerden auch gegen das erst im Sommer 2021 geänderte Klimaschutzgesetz des Bundes eingelegt. 

Angesichts des im Beschluss vom 18. Januar 2022 erneut bestätigten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und des durchaus zu erkennenden weiteren Gesetzesvorhabens zur Stärkung des Klimaschutzes sowie vielfältiger sonstiger Maßnahmen ist ein erneutes Scheitern der Klima-Verfassungsbeschwerden jedoch nicht ausgeschlossen.  

In der Serie „Environment and Climate Change“ sind wir eingegangen auf neue Gesetze im Energierecht, den Inhalt des 12. Deutschen Energiekongresses, haben uns mit dem Mieterstrom, mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der H2-Politik und der Herstellerhaftung in Russland befasst sowie die Konsultation und das Feedback zur BNetzA-Konsultation Wasserstoffnetze dargestellt. Weiter beschäftigt haben wir uns mit der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, der Einwegkunststoffverbotsverordnung, dem „Green Deal“, den Auswirkungen der EU-Taxonomie auf die Immobilienwirtschaft und der Wasserstoffstrategie in Ungarn. Anschließend sind wir auf das Fit-for-55-Maßnahmenpaket und die Entwicklungen in der nationalen Wasserstoffstrategie der Türkei, auf die Beschaffungen des Bundes sowie die Auswirkungen der Sondierungsgespräche auf die Immobilienbranche eingegangen.

Tags: CO2 Klimaschutzmaßnahme Nachhaltigkeit Real Estate & Public Verfassungsbeschwerde