Nachdem Russland im Herbst 2020 einen Plan zur Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft bis 2024 vorgestellt hat, sind nun erste Schritte zur Umsetzung eingeleitet worden.
Der Plan sieht 43 Maßnahmen vor, um bis 2024 unter Beteiligung des Energieministeriums und einer Reihe weiterer Ministerien sowie anderer Beteiligter aus Wissenschaft und Industrie die Voraussetzungen für eine russische Wasserstoffwirtschaft zu schaffen.
Maßgebliches Ziel des Vorhabens ist es, Russlands Position als Energielieferant im sich wandelnden Energiemarkt aufrechtzuerhalten. Der Plan ist im Wesentlichen ein Maßnahmenkatalog, der den angesprochenen Behörden und Unternehmen Aufgaben zuweist und diese mit Fristen versieht. Für das erste Quartal 2021 stellt der Plan die strategische Planung in den Vordergrund. Weitere Vorhaben des Plans, die Bildung von Produktionskapazitäten, Forschung und Entwicklung, gesetzgeberische Maßnahmen, Ausbildung und internationale Zusammenarbeit, sollten im gleichen Zeitraum angestoßen werden.
Soweit ersichtlich, ist bislang davon nicht viel realisiert worden. Bei zwei Punkten aber ist jetzt Bewegung zu erkennen: Der strategischen Planung und der internationalen Zusammenarbeit.
Das Energieministerium hat einen Entwurf eines „Konzepts zur Entwicklung der Energetik auf Grundlage von Wasserstoff in der Russischen Föderation″ vorgelegt. Damit wird der erste Punkt des Maßnahmenkatalogs umgesetzt.
Das Konzept liegt jetzt der russischen Regierung zur Verabschiedung vor. Obwohl der Text des Konzepts noch nicht veröffentlicht wurde, ist sein Inhalt über Presseberichte bereits bekannt geworden. Wird das Papier in der bislang bekanntgewordenen Form von der Regierung beschlossen, sind die Absichten als durchaus ehrgeizig zu bewerten.
Russland mit ambitioniertem Konzept
Das Konzept reicht zeitlich über den Plan hinaus. Anders als der Plan, der mit dem Handlungszeitraum bis 2024 einen relativ knappen Zeitabschnitt abdeckt, beschäftigt sich das Konzept perspektivisch mit Russlands Ambitionen in der Wasserstoffwirtschaft. Das Konzept formuliert kurz-, mittel- und langfristige Ziele bis zum Jahr 2050.
Laut Energieministerium sollen für die Produktion und den Export ökologischer Formen von Wasserstoff bis zum Jahr 2024 vier geographisch definierte Cluster gebildet werden, und zwar im Nord-Westen, Osten, Süden sowie der Arktis.
Als wichtiges Etappenziel beabsichtigt Russland 20 % des Wasserstoffmarktes bis zum Jahr 2030 zu beherrschen. Konkret ist vorgesehen, dass bereits bis zum Jahr 2024 der Export von „sauberem“ Wasserstoff auf 200 Tausend bis zu einer Million Tonnen anwachsen und Einnahmen in Höhe von USD 0,6 und 3,3 Mrd. einbringen soll.
Der Export soll bis zum Jahr 2035 auf 2-7 Millionen Tonnen ansteigen und einen Ertrag zwischen USD 7,8 und 21,1 Mrd. bringen.
Bis 2050 plant Russland mit dem Export vom „sauberen“ Wasserstoff 23, 6 bis USD 100,2 Mrd. im Jahr zu verdienen und dafür zwischen 7,9 bis 33,4 Millionen Tonnen zu exportieren.
Die erheblichen Spannen zwischen den genannten Werten werden damit erklärt, dass bislang Unwägbarkeiten genauere Angaben unmöglich machen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass ein Markt für Wasserstoff derzeit noch nicht existiert, auch wenn dessen Entwicklung erwartet wird.
Zur Finanzierung dieser Ziele schlägt das Energieministerium vor, spezielle Investitionsverträge abzuschließen.
Dies deckt sich mit dem Vorschlag von Industrie- und Handelsminister Denis Manturow aus dem Februar, Wasserstofftechnologien in die Liste priorisierter Vorhaben für spezielle Investitionsverträge aufzunehmen.
Weitere Vorschläge des Energieministeriums sind die Subvention der High-Tech-Produktion sowie die Einrichtung von „grünen“ Zertifikaten. Diese Vorschläge bleiben derzeit noch vage.
Auch an anderer Stelle nennt das Konzept zwar Ziele, jedoch kaum konkrete Maßnahmen, wie diese erreicht werden sollen.
Bei der Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft bestehen noch viele Ungewissheiten
Auffällig am Konzept erscheint, dass bislang keine klare Aussage getroffen wird, welche Art Wasserstoff Russland produzieren will.
Es ist vor dem Hintergrund der Wasserstoffstrategien der EU und Deutschlands absehbar, dass auf längere Sicht nur „grüner″, also mithilfe von erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff, Abnehmer in der EU finden wird. Um grünen Wasserstoff in nennenswerten Mengen herstellen zu können, müsste Russland den Ausbau der erneuerbaren Energien intensivieren. Diese spielen bislang in der russischen Energiewirtschaft eine untergeordnete Rolle.
Ob dies in dieser Konsequenz politisch gewünscht ist, ist allerdings unklar. Die vordringlichste Aufgabe sieht der Vizepremier- und Energieminister der Russischen Föderation Alexander Nowak, in der Entwicklung konkurrenzfähiger Technologien zur Herstellung von Wasserstoff aus fossilen Rohstoffen, in erster Linie aus Gas, sowie durch Elektrolyse auf Basis von Atomstrom und erneuerbaren Energien. Die Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien (Solar- und Windenergie) gelten als im Vergleich zu hoch; sie sollen gesenkt werden.
Auch hinsichtlich des Transports von Wasserstoff gibt das Konzept bislang keine eindeutige Antwort. Die wohl präferierte Variante, Wasserstoff durch bestehende Gaspipelines in die EU zu transportieren, muss auf ihre langfristige Eignung überprüft werden.
Russland forciert die internationale Zusammenarbeit
Im achten Kapitel des Plans wird eine Reihe von Maßnahmen zur Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit aufgeführt. Exemplarisch und an erster Stelle wird darin Deutschland genannt.
Im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie will Deutschland Wasserstoff in nennenswertem Umfang importieren und hat 2 Milliarden Euro für die Unterstützung von Wasserstoff-Projekten im Auslandbereitgestellt. Ein Teil dieser Gelder steht auch für russische Projekte zur Verfügung.
Folgerichtig haben die Energieministerien der beiden Staaten am 20. April 2021 eine Absichtserklärung zur „Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nachhaltigen Energie“ unterzeichnet.
Die Absichtserklärung sieht die Förderung erneuerbarer Energiequellen, die Gründung von Joint Ventures und die technische Zusammenarbeit von Organisationen beider Staaten zur Erleichterung der Umsetzung gemeinsamer Projekte vor.
Zur Koordinierung der Absichtserklärung, die insbesondere die Zusammenarbeit beim Wasserstoff und den Methan-Wasserstoff-Gemischen vorsieht, wird eine bilaterale hochrangige Arbeitsgruppe eingerichtet. Dabei soll sich eine Unterarbeitsgruppe ausschließlich mit Wasserstoff befassen.
Russland geht die nächsten Schritte auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft – Viele weitere müssen folgen
Mit dem vorgelegten Konzept zeigt Russland die Bereitschaft, den zukünftigen Energiemarkt mitgestalten zu wollen und möchte damit weiterhin als wichtiger Akteur auf dem Weltmarkt auftreten. Die Beteiligten haben sich, trotz bestehender Bedenken aus den eigenen Reihen, selbstbewusste Ziele gesetzt.
Offen bleibt, ob und in welchem Zeitraum die Umsetzung dieser Pläne gelingen kann.
Viele der laut Plan für das erste und zweite Quartal 2021 vorgesehenen Maßnahmen warten auf Ihre Ausführung. So sind wichtige Vorhaben der strategischen Planung, wie die Schaffung eines Projektbüros und einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe bislang nicht verwirklicht worden. Unklar ist, ob der Aufbau eines Monitoringsystems bis zum Jahr 2022 realisiert werden kann. Auch die Verordnung des Energieministeriums zur Schaffung eines Registers über aussichtsreiche Wasserstofftechnologien ist bislang nicht erlassen worden.
Spannend bleibt deshalb, wie die Regierung nun auf das Konzept reagiert Für den Erfolg der russischen Wasserstoffstrategie werden damit die nächsten Monate entscheidend sein.
In der Serie „Environment and Climate Change″ sind wir eingegangen auf neue Gesetze im Energierecht, den Inhalt des 12. Deutschen Energiekongresses, haben uns mit dem Mieterstrom, mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der H2O-Politik und der Herstellerhaftung in Russland befasst sowie die Konsultation und das Feedback zur BNetzA-Konsultation Wasserstoffnetze dargestellt. Weiter beschäftigt haben wir uns mit der Wasserstoffstrategie, der Einwegkunststoffverbotsverordnung, dem „Green Deal″ sowie den Auswirkungen der EU-Taxonomie auf die Immobilienwirtschaft.