Sowohl Investoren als auch Gründer sind über Geschäftsanteile am Start-up beteiligt. Wann dürfen sie diese vor dem Exit verkaufen? Wer entscheidet darüber?
Gemeinsames Ziel der Gesellschafter ist im Regelfall ein Verkauf der Gesamtheit (oder zumindest der Mehrheit) der Geschäftsanteile an einen oder mehrere Käufer, wenn das Start-up sein Wachstumspotential genutzt und eine hohe Bewertung erreicht hat (sog. Exit). Weniger klar ist, ob Gesellschafter ihre Geschäftsanteile eigentlich auch vorher als Minderheitsbeteiligung an Dritte oder Mitgesellschafter verkaufen dürfen und wessen Zustimmung sie dafür bedürfen.
Standard-Regelungen schränken die Veräußerungsmöglichkeit im Venture Capital ein
In der Venture Capital-Vertragspraxis sind bestimmte Regelungen weit verbreitet, die das Interesse der Bestandsgesellschafter an einem stabilen Gesellschafterkreis gegen das Ausstiegsinteresse einzelner Gesellschafter absichern sollen.
Das sind im Wesentlichen:
- befristete Veräußerungsverbote (engl.: lock-up period),
- Vorerwerbsrechte (engl.: rights of first refusal) und
- Mitveräußerungsrechte (engl.: tag-along rights, co-sale rights).
Diese Regelungen greifen im Standardfall wie folgt ineinander:
- Das befristete Veräußerungsverbot ist die härteste Maßnahme, um die Stabilität des Gesellschafterkreises sicherzustellen. Ein solcher „Lock-Up″ wird in der Regel allenfalls für die von Gründern gehaltenen Geschäftsanteile vorgesehen. Das ist zumindest für denjenigen Zeitraum geboten, in dem die von den Gründern gehaltenen Geschäftsanteile einem sog. „Vesting″ unterliegen (d.h. einer Verkaufspflicht unter Wert an die Mitgesellschafter oder die Gesellschaft bei Beendigung der Tätigkeit des Gründers für die Gesellschaft). Denn andernfalls könnte das „Vesting″ theoretisch dadurch unterlaufen werden, dass der Gründer seine Geschäftsanteile ganz oder teilweise an einen Dritten veräußert, bevor er seine Tätigkeit für die Gesellschaft beendet.
- Für diejenigen Geschäftsanteile, für die Lock-Up-Regelungen nicht bestehen, wird regelmäßig eine Kombination von Vorerwerbsrechten und Mitverkaufsrechten vorgesehen. Diese stellen ein deutliches Hindernis für den Verkauf vor einem Exit dar:
Selbst wenn der veräußerungswillige Gesellschafter zunächst einen Interessenten für seine Minderheitsbeteiligung am Start-up gewinnen kann, muss er diese Beteiligung dann zunächst seinen Mitgesellschaftern zum Vorerwerb anbieten. Wenn diese den Vorerwerb ablehnen, hat er ihnen die Möglichkeit zur Mitveräußerung zu geben. Allein der Prozess, die Mitgesellschafter entsprechend zu informieren und ihnen ausreichend Antwortfrist zu geben, wird leicht mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Gut möglich, dass der Interessent so viel Geduld nicht hat und von vorneherein vom Erwerb Abstand nimmt, wenn er von der Existenz von Vorerwerbs- und Mitverkaufsrechten bei der Gesellschaft erfährt. Selbst wenn der Interessent die Geduld aufbringt, stellt sich für den Veräußerer die Frage, ob er die Unwägbarkeiten der Anwendung von Vorerwerbsrechten und Mitveräußerungsrechten tatsächlich auslösen will.
Vinkulierungsklausel: Abstrakte Einschränkungen der Veräußerungsmöglichkeit im Gesellschaftsvertrag
Wie werden diese Einschränkungen der Veräußerungsmöglichkeit nun technisch umgesetzt und abgesichert?
Grundsätzlich hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass Geschäftsanteile einer GmbH oder Aktien einer Aktiengesellschaft jederzeit frei veräußert werden können, ohne dass der betreffende Gesellschafter dazu die Zustimmung der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter benötigt. Wenn es anders sein soll, müssen die Gesellschafter es in ihrem Gesellschaftsvertrag durch eine sog. „Vinkulierungs-Klausel″ festlegen (lateinisch: vinculum = die Fessel).
Gerade bei Gesellschaften mit kleinerem Gesellschafterkreis – wie insbesondere Start-ups – ist eine solche Vinkulierungsklausel im Gesellschaftsvertrag die Regel. Dabei wird die Vinkulierungsklausel typischerweise festlegen, dass es für jede Anteilsübertragung einer Zustimmung der Gesellschafter (einzeln oder durch Gesellschafterbeschluss) bedarf. Häufig wird die Klausel jedoch gerade keine materiellen Regelungen zur Veräußerung enthalten, also gerade offenlassen, in welchen Fällen die Gesellschafter zur Zustimmung verpflichtet sind und in welchen Fällen sie ihre Zustimmung verweigern müssen. Die Vinkulierungsklausel für sich gibt dann dem einzelnen Gesellschafter (oder – je nach Ausgestaltung – ggf. bereits der Gesellschaftermehrheit) ein abstraktes Veto-Recht gegen jedwede Veräußerung.
Dieses Veto-Recht ist insofern gesellschaftsrechtlich besonders abgesichert, als dass es eine sog. „dingliche″ Wirkung entfaltet. Ein von der Vinkulierung erfasster Geschäftsanteil darf nicht nur nicht ohne die Zustimmung der Gesellschafter übertragen werden; er kann gar nicht ohne ihre Zustimmung übertragen werden.
Notwendigkeit ergänzender materieller Regelung (z.B. in Gesellschaftervereinbarung)
Dieses abstrakte Veto-Recht im Gesellschaftsvertrag wird jedoch zu Recht regelmäßig durch eine materielle Ergänzungsvorschrift (meist in einer Gesellschaftervereinbarung) vervollständigt:
Diese stellt einerseits klar, dass die Mitgesellschafter einer Veräußerung dann zustimmen müssen, wenn
- die zu veräußernden Geschäftsanteile nicht dem erwähnten befristeten Veräußerungsverbot unterliegen und
- der veräußerungswillige Gesellschafter die Vorerwerb- und Mitveräußerungsrechte seiner Mitgesellschafter beachtet, also die entsprechenden Abstimmungsprozesse durchgeführt hat.
Die materielle Ergänzungsvorschrift erläutert andererseits, dass die Mitgesellschafter jegliche Veräußerungen, die dieser Voraussetzungen nicht erfüllen, abzulehnen haben.
Damit ist abgesichert, dass die Mitgesellschafter dem veräußerungswilligen Gesellschafter nicht die Zustimmung – regelwidrig, d.h. obwohl er sich an die Vorerwerbs- und Mitveräußerungs-Vorschriften gehalten hat – verweigern dürfen. Andererseits dürfen sie ihm die Veräußerung auch nicht – unter Umgehung der Vorschriften von Lock-Up-, Vorerwerbs- und Mitveräußerungsrechten – erlauben. Letzteres wäre nämlich dann ein Problem, wenn unter der Vinkulierungsklausel bereits die Zustimmung einer Mehrheit von Mitgesellschaftern (z.B. durch mehrheitlichen Gesellschafterbeschluss) ausreicht. Käme es allein auf die (abstrakte) Vinkulierungsklausel an, könnte dann eine Gesellschaftermehrheit die Vorerwerbs- und Mitveräußerungsrechte der Minderheitsgesellschafter aushebeln. Daher bedarf es einer materiellen Ergänzungsvorschrift, die auch regelwidrige Zustimmungen zur Veräußerung ausschließt.
Wenn die befristeten Veräußerungsverbote und die Vorerwerbs- und Mitverkaufsrechte nicht im Gesellschaftsvertrag selbst geregelt sind, sondern in einer Gesellschaftervereinbarung (die – anders als der Gesellschaftsvertrag – nicht im Handelsregister sichtbar ist), wird die Ergänzungsvorschrift auch in dieser Gesellschaftervereinbarung eingebaut, nicht in den Gesellschaftsvertrag. Deshalb ist es gerade für das Verständnis der Vinkulierungsklausel wichtig, sowohl den Gesellschaftsvertrag als auch eine separat abgeschlossene Gesellschaftervereinbarung gründlich zu lesen und die materielle Ergänzungsvorschrift (so vorhanden) zu identifizieren.
Erweiterungen der Vinkulierung
Regelmäßig wird schon in der Vinkulierungsklausel im Gesellschaftsvertrag festgelegt, dass nicht nur Veräußerungen von Geschäftsanteilen ohne Zustimmung der Gesellschafter verboten sind, sondern auch jegliche sonstigen dinglichen oder wirtschaftlichen Belastungen des Geschäftsanteils, z.B. durch Verpfändungen, Treuhandschaften oder Unterbeteiligungen. Dieses Vorgehen erscheint sinnvoll, wenn man sicherstellen will, dass der Gesellschafterkreis sich nicht indirekt dadurch verändert, dass die wirtschaftlich Berechtigten an den Geschäftsanteilen ausgetauscht werden.
„Erlaubte Übertragungen″ als Ausnahmen
Andererseits wird häufig für die Veräußerung (oder Belastung) von Geschäftsanteilen zugunsten verbundener Unternehmen eines Gesellschafters oder auch zugunsten seiner Verwandten eine Ausnahme von den Veräußerungseinschränkungen gemacht. Dies geschieht technisch teilweise schon durch eine Ausnahme von der Anwendbarkeit der Vinkulierungsklausel. Oft wird stattdessen aber auch eine Zustimmungspflicht der Gesellschafter für solche Veräußerungen auf Ebene der materiellen Ergänzungsvorschrift, meist in der Gesellschaftervereinbarung, vorgesehen. Hintergrund ist bei Finanzinvestoren das Interesse, die Beteiligung notfalls von Fonds zu Fonds (im eigenen Fonds-Universum) verschieben zu können, z.B. wenn ein Fonds geschlossen wird. Bei natürlichen Personen besteht häufig im Rahmen von Erbfolgeregelungen Bedarf nach Flexibilität. Allerdings wird man Gründern solche „erlaubten Übertragungen″ (engl.: permitted transfers) selten zugestehen. Sie sollen aus Sicht der Investoren zu 100% am wirtschaftlichen Erfolg des Start-ups interessiert bleiben.
Problemfall: „upper-level exit″
Die Vinkulierungsklausel bindet als Teil des Gesellschaftsvertrags nur die Gesellschafter und ihre an der Start-up-Gesellschaft bestehenden Geschäftsanteile. Handelt es sich bei den Gesellschaftern aber wiederum um Gesellschaften (z.B. Beteiligungsvehikel eines Gründers oder Investors), dann befinden sich die eigentlich wirtschaftlich Berechtigten mindestens eine Ebene über den Gesellschaftern der Gesellschaft. Auf dieser Ebene hat die Vinkulierungsklausel keine Wirkung. Hält etwa ein Gründer 100% an seinem Beteiligungsvehikel, das seinerseits die Geschäftsanteile am Start-up hält, ist es dem Beteiligungsvehikel durch die Vinkulierung im Gesellschaftsvertrag des Start-ups zwar nicht möglich, die direkten Geschäftsanteile am Start-up ohne Zustimmung der Mitgesellschafter zu veräußern. Aber der Gründer könnte theoretisch 100% seiner Geschäftsanteile an seinem Beteiligungsvehikel an einen Dritten veräußern und würde damit seine – indirekte – Beteiligung am Start-up veräußern, ohne die Zustimmung der Mitgesellschafter zu benötigen (sog. upper-level exit).
Um diese Lücke der Vinkulierung zu schließen, hat die Vertragspraxis im Wesentlichen zwei rechtliche Lösungen ersonnen, die jedoch auf ein ähnliches wirtschaftliches Ergebnis hinauslaufen:
- Das Beteiligungsvehikel des Gründers garantiert auf Ebene einer Gesellschaftervereinbarung, dass der Gründer auch zukünftig zu 100% am Vehikel beteiligt sein wird. Als Sanktion für den Fall, dass sich diese Zusicherung als falsch herausstellen sollte, verspricht das Beteiligungsvehikel den Mitgesellschaftern den Verkauf der am Start-up gehaltenen Geschäftsanteile zum Nominalwert (Call-Option).
- Es wird im Gesellschaftsvertrag ein Passus in die Einziehungsklausel eingebaut, durch den die Veränderungen im Gesellschafterkreis des Beteiligungsvehikels mit Einziehung der vom Beteiligungsvehikel am Start-up gehaltenen Geschäftsanteile zum Nominal- oder Buchwert sanktioniert werden.
Ein entsprechendes „Einfrieren″ der indirekten Gesellschafterstruktur wird für Investoren seltener vorgesehen. Diese haben häufig ein höheres Interesse daran, in dieser Hinsicht flexibel zu bleiben.
Problemfall: Universalsukzession im Umwandlungsrecht
Der Schutz der Stabilität des Gesellschafterkreises durch eine Vinkulierungsklausel endet auch dort, wo auf Ebene eines Gesellschafters Umwandlungsmaßnahmen stattfinden, die zu einer Gesamtrechtsnachfolge (sog. Universalsukzession) führen. Dabei übernimmt im Wege einer Verschmelzung oder einer Spaltung ein anderes Unternehmen eine Vermögensgesamtheit des Gesellschafters. Dazu können auch die Start-up-Anteile des Gesellschafters gehören. Weil das Gesetz keine Einzelübertragung der Bestandteile der Vermögensgesamtheit vorsieht, sondern die Übertragung des Gesellschaftervermögens in einem Vorgang erfolgt, ist die Vinkulierungsklausel dann wohl nicht anwendbar.
Will man den Gesellschafterkreis auch in diesen Fällen vor einer Veränderung im Gesellschafterbestand schützen, müssen die gleichen rechtlichen Vorkehrungen wie gegen einen „upper-level exit″ getroffen werden (Call-Option oder Einziehung).
Fazit zu Vinkulierung & Co.: Achtung, hier wird es technisch!
Wirtschaftlich sind sich Gründer und Investoren häufig schnell über Regelungen zu befristeten Veräußerungsverboten, Vorerwerbs- und Mitveräußerungsrechten einig. Denn als eigentliches Ziel gilt der Exit. Dass die Veräußerung der Start-up-Anteile zuvor beschränkt sein soll, ist daher für alle Beteiligten akzeptabel. Bekannt ist auch meist die Notwendigkeit, die Veräußerungsbeschränkungen durch eine Vinkulierungsklausel abzusichern.
Das Zusammenspiel dieser (abstrakten) Vinkulierungsklausel im Gesellschaftsvertrag mit einer materiellen Ergänzungsvorschrift in der Gesellschaftervereinbarung ist jedoch ebenso wichtig und keinesfalls trivial.
Das gilt auch für die Themen „permitted transfers″ und „upper-level exit″. Immer geht es um Fragen der Stabilität des Gesellschafterkreises: Wie ist sichergestellt, dass sich der Gesellschafterkreis nicht plötzlich durch unilaterale Entscheidung eines Gesellschafters ändern kann? Wie ist der Einstieg eines Wettbewerbers durch die Hintertür zu verhindern? Wie bleibt der Gründer wirtschaftlich im Start-up investiert?
Hier sollte die Vertragsdokumentation keine Lücken aufweisen: Vorsprung durch (Vertrags-)Technik!
Dies ist ein Beitrag aus unserer Blogserie „Venture Capital Basics“. Auch die verschiedenen Arten von Venture Capital Investoren sowie das Corporate Venture Capital haben wir bereits beleuchtet. Weitere Beiträge, wie Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Venture Capital & Private Equity, Finanzierungsarten für Start-ups und den Finanzierungsrunden sind gefolgt. Anschließend sind wir aufs Bridge Financing für Start-ups, auf den Ablauf eines Venture Capital Investments und das Term Sheet sowie die wichtigsten Vertragsdokumente einer VC-Beteiligung eingegangen. Zuletzt haben wir uns mit der Anti Dilution Protection beschäftigt.