Im 5. Teil zur Überlassungshöchstdauer gehen wir auf Rotationsmodelle, Bildung von Gemeinschaftsbetrieben und Umstellung auf „echte“ Werkverträge ein.
Auf den Ablauf der Überlassungshöchstdauer kann aus Kundensicht mit der Beendigung des Einsatzes des betreffenden Zeitarbeitnehmers* durch die Kündigung des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages und daran anknüpfend mit der Beendigung der Überlassung reagiert werden. Dies löst jedoch oftmals nicht das Problem, da der Beschäftigungsbedarf, der über den Zeitarbeitnehmer abgedeckt werden soll, im Zweifel fortbesteht.
Der Entleiher hat (natürlich) die Möglichkeit, den Zeitarbeitnehmer in ein (auch sachgrundlos befristetes) Arbeitsverhältnis zu übernehmen (zur Zulässigkeit: BAG, Urteil v. 23. September 2014 – 9 AZR 1025/12). Dies ist jedoch in der Praxis aufgrund von Head Count-Vorgaben in der Regel nicht das Mittel der Wahl. Es kommen insoweit alternative Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht, auf die wir nachfolgend eingehen.
Rotationsmodelle
Ein anderer Zeitarbeitnehmer kann den bisher eingesetzten Mitarbeiter ablösen. Entsprechende Rotationen sind nach der herrschenden Ansicht auf einem Dauerarbeitsplatz des Entleihers möglich. Nach einer Unterbrechung von mindestens 3 Monaten und 1 Tag (§ 1 Abs. 1b S. 2 AÜG) kann der ursprüngliche Zeitarbeitnehmer auf den betreffenden Arbeitsplatz wieder „hineinrotieren“ und erneut unter Ausschöpfung der einschlägigen Überlassungshöchstdauer eingesetzt werden (kritisch dazu, wenn ein Dauerbeschäftigungsbedarf nur noch mit wechselnden Zeitarbeitnehmern abgedeckt wird, da der Einsatz nur vorübergehend gem. § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG erfolgen dürfe: Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 328; a.A. Zimmermann, MDR 2017, 979; Ulrici, AÜG, § 1 Rn. 91; Bissels/Falter, ArbR 2017, 4 ff.: dem Merkmal „vorübergehend“ kommt aufgrund der gesetzlichen Neuregelung in § 1 Abs. 1b AÜG keine selbständige Bedeutung mehr zu).
Während der Unterbrechungszeit kann der ursprünglich eingesetzte Zeitarbeitnehmer auch an ein Konzernunternehmen des Ausgangsentleihers überlassen werden. Dies setzt voraus, dass der Zeitarbeitnehmer bei dem anderen Konzernunternehmen eingegliedert und weisungsgebunden tätig wird; nicht ausreichend ist es, wenn schlichtweg auf dem Papier der Entleiher ausgetauscht wird, der Zeitarbeitnehmer aber (weiterhin) an seinem bisherigem Arbeitsplatz bei dem Erstentleiher tätig wird und dessen Weisungen unterstellt ist. Entleiherrotationen schließt das AÜG nicht aus, sog. Verleiherrondelle aufgrund der gesetzlich angeordneten Anrechnung der Vorüberlassungszeiten durch einen anderen Verleiher faktisch hingegen schon (vgl. § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG). Auch in diesem Zusammenhang erfolgt – wie bei der Bestimmung des Entleihers – eine rechtsträgerbezogene Betrachtung (vgl. Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 227). In der Praxis sind derartige Entleiherrotationen jedoch mit operativen Schwierigkeiten verbunden, da die neu eingesetzten Zeitarbeitnehmer zunächst eingearbeitet werden müssen. Gerade bei größeren Populationen von Drittkräften kann der gleichzeitige Austausch erhebliche betriebsorganisatorische Störungen bedingen. Hier ist also Weitsicht geboten, um frühzeitig mit diesem zu beginnen, damit stets eine kritische Masse von eingearbeiteten Zeitarbeitnehmern beim Entleiher verbleiben kann.
Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs beim Kunden
Aufgrund der AÜG-Reform 2017 ist die (gewillkürte) Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs auf der Kundenseite – gerade zwischen Konzerngesellschaften – wieder verstärkt in den Fokus geraten, nämlich um die gesetzliche Überlassungshöchstdauer durch einen „Einsatzwechsel“ des überlassenen Zeitarbeitnehmers (von einem Entleiher zu einem anderen, die beide an dem Gemeinschaftsbetrieb beteiligt sind) de facto zu verlängern. Eine Arbeitnehmerüberlassung und ein Gemeinschaftsbetrieb schließen sich nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des BAG aus (vgl. BAG, Urteil v. 23. September 2010 – 8 AZR 567/09; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 1. Februar 2018 – 4 Sa 137/17; dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 42/2018 Anm. 4).
Die Tragfähigkeit dieses Modells scheint man zumindest offensichtlich nicht von der Hand weisen zu können. Immerhin ist der Entleiherbegriff des AÜG, der für die Bestimmung der Überlassungshöchstdauer maßgeblich ist, rechtsträger- und nicht betriebsbezogen zu verstehen (Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 214; Bissels/Falter, ArbR 2017, 3 f.; Ulrici, AÜG, § 1 Rn. 93; Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 325; Neighbour/Schröder, BB 2016, 2869; FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 1, S. 23).
Kommt es für den Entleiherbegriff auf die Rechtspersönlichkeit bzw. den Vertragspartner an, kann ein Gemeinschaftsbetrieb bzw. dessen Bildung auf Seite des Entleihers bzgl. der Überlassungshöchstdauer eine weitere Flexibilität schaffen, indem eine „Rotation“ des Zeitarbeitnehmers zwischen den am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten entleihenden Unternehmen erfolgt; die Überlassungshöchstdauer läuft dann bei jedem Entleiher neu an. Bei einer betriebsbezogenen Betrachtung würde die Überlassungshöchstdauer im Gemeinschaftsbetrieb hingegen „einheitlich“ ablaufen, unabhängig davon, an welches der daran beteiligten Unternehmen der Zeitarbeitnehmer überlassen wird.
Ob die Rechtsprechung das obige Rotationsmodell im Gemeinschaftsbetrieb mittragen wird, ist unter Berücksichtigung von gewissen Umgehungstendenzen nicht abschließend vorhersehbar, so dass dieses Vorgehen zumindest mit nicht unerheblichen Risiken behaftet ist – mit der (möglichen) Konsequenz, dass die Zeiten bei den formal unterschiedlichen Entleihern im Gemeinschaftsbetrieb zusammengerechnet werden könnten. Dies gilt insbesondere, wenn nur zum Zweck der faktischen Verlängerung der Überlassungshöchstdauer ein Gemeinschaftsbetrieb – gerade zwischen Konzerngesellschaften oder im zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen mit Wirkung zum 1. April 2017 bzw. spätestens mit dem (erstmaligen) Ablauf der Überlassungshöchstdauer – gebildet wird (vgl. Bissels/Falter, ArbR 2017, 3 f.; für eine Zusammenrechnung der Einsatzzeiten im Gemeinschaftsbetrieb: Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 326; kritisch auch: Scharff, BB 2018, 1142 f.).
Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs zwischen Personaldienstleister und Kunden
Um entsprechende Unwägbarkeiten, die durch die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs auf Kundenseite und entsprechende Rotationen der dort eingesetzten Zeitarbeitnehmern entstehen können, zu reduzieren, wird vorgeschlagen, dass der gemeinsame Betrieb zwischen dem Verleiher und dem Entleiher selbst gebildet wird. Ein solcher würde eine Arbeitnehmerüberlassung von vornherein ausschließen, so dass die beschränkenden Vorschriften des AÜG (einschließlich der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten) nicht zu beachten wären.
Nicht abschließend geklärt ist jedoch, ob sich ein Unternehmen an einem Gemeinschaftsbetrieb nur durch die Gestellung von Personal beteiligen kann. Dies würde in der Regel dem inhaltlichen Beitrag des Verleihers im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung entsprechen, der in der Praxis oftmals über keine weiteren für den gemeinsamen Betrieb nutzbaren (materiellem) Betriebsmittel verfügen dürfte. Die h.M. lässt dies zu Recht jedoch ausreichen (vgl. Schönhöft/Oelze, BB 2016, 566 ff.; Panzer-Heemeier/Schwipper, DB 2017, 1584 ff.; a.A. ArbG Osnabrück v. 17.03.2015 – 1 Ca 174/14).
Eine gewisse Rechtsunsicherheit verbleibt jedoch; zudem sind insbesondere die kündigungsschutzrechtlichen Konsequenzen eines Gemeinschaftsbetriebs (z.B. einheitliche Sozialauswahl im Gemeinschaftsbetrieb sowie Berücksichtigung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten unabhängig von der Unternehmenszugehörigkeit des dort tätigen Arbeitnehmers) zu beachten, die im Zweifel von Kundenseite angeführt werden können, sich nicht auf die Bildung eines gemeinsamen Betriebs mit einem außerhalb des Konzerns agierenden Verleiher einzulassen. Hier gilt es eine Abwägung vorzunehmen, ob die mit dem Gemeinschaftsbetrieb verbundenen Vorteile, die gerade im Ausschluss der Anwendung der limitierenden Vorschriften des AÜG liegen, die Herausforderungen beim Kündigungsschutz- und Betriebsverfassungsrecht überwiegen.
Umstellung auf einen „echten“ Werk-/Dienstvertrag
Die bisher durchgeführte Arbeitnehmerüberlassung kann auf einen „echten“ Werk-/Dienstvertrag umgestellt werden. Dafür ist es erforderlich, allerdings nicht hinreichend, die vertragliche Grundlage zu ändern. Darüber hinaus muss de facto die Art der Leistungserbringung erheblich angepasst werden.
Während die Hauptleistungspflicht des Verleihers darin bestand, geeignetes Personal bereit zu stellen, das in die Betriebsorganisation des Entleihers eingegliedert und dort nach dessen Weisungen tätig wird, muss der Werkunternehmer bzw. Dienstleister im Rahmen eines Werk-/Dienstvertrags mit den eigenen und seinen Weisungen unterworfenen Mitarbeitern ein Werk erstellen bzw. eine freie Dienstleistung erbringen. Dies kann mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein, da klassische Verleiher oftmals nicht über das Know-how bzw. die (sachlichen) Betriebsmittel verfügen, um einen Werk-/Dienstvertrag tatsächlich abbilden zu können. Erfolgt die Leistungserbringung zudem on-site, d.h. beim Auftraggeber/Kunden vor Ort, besteht zudem die nicht unerhebliche Gefahr, dass die aufgrund der vormals praktizierten Arbeitnehmerüberlassung eingeschliffenen und bewährten Strukturen schlichtweg fortgeführt werden und so ein Scheinwerk-/Scheindienstvertrag gelebt wird, der aufgrund des damit regelmäßig verbundenen Verstoßes gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht (§ 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG) seit dem 1. April 2017 ebenfalls mit erheblichen rechtlichen Konsequenzen verbunden ist (u.a. Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem de facto überlassenen Arbeitnehmer und dem de facto Entleiher gem. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1a, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG und Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeldrahmen von bis zu EUR 30.000,00 gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1c, 1d, Abs. 2 AÜG).
Bei einer „Umstellung“ der Arbeitnehmerüberlassung auf einen „echten“ Werk-/Dienstvertrag ist daher darauf zu achten, dass der Werkunternehmer/Dienstleister überhaupt in der Lage ist, die vereinbarten Leistungen selbständig zu erbringen, und dass insbesondere streng kontrolliert wird, dass der Werk-/Dienstvertrag im Sinne der getroffenen Vereinbarungen „frei“ umgesetzt wird. Ob ein solcher tatsächlich in Betracht kommt, ist daher immer im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung sorgfältig zu prüfen.
Ausblick: Überlassungshöchstdauer in der Praxis
Gesamtbetrachtend stellt sich die (wieder eingeführte) gesetzliche Überlassungshöchstdauer in der Praxis – gerade aufgrund der komplexen und insbesondere für den juristischen Laien kaum noch durchdringbaren Bestimmungen – als besonders sperrig dar. Zahlreiche Rechtsfragen sind noch nicht abschließend geklärt, so dass für deren Anwendung nach wie vor keine abschließende Sicherheit besteht, was allein schon aufgrund der dreifachen Sanktion bei einem Verstoß (hier: Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Zeitarbeitnehmer und Entleiher, Ordnungswidrigkeit des Verleihers und ggf. erlaubnisrechtliche Schritte der BA gegen den Verleiher bis zum Widerruf der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis) für die Rechtsanwender ausgesprochen misslich erscheint.
Hinzu kommt, dass die Beschränkung der Überlassungshöchstdauer auf 18 Monate sachlich nicht begründbar ist. Diese ist weniger an den tatsächlichen Notwendigkeiten oder Erfordernissen orientiert, sondern scheint eher einen ausschließlich politischen Kompromiss darzustellen, ist diese doch das arithmetische Mittel zwischen der Forderung der SPD nach einer Begrenzung der Zeitarbeit auf 12 Monate und der Union auf 24 Monate im Bundestagswahlkampf des Jahres 2013. In Zusammenschau mit der Verpflichtung des Verleihers, dem Zeitarbeitnehmer nach einer Überlassung von 9 Monaten an einen Entleiher grundsätzlich equal pay zu gewähren (§ 8 Abs. 1, 4 AÜG), zeigt sich, dass die an sich zum Schutz des Zeitarbeitnehmers wieder eingeführte Überlassungshöchstdauer für diesen nachteilig wirken kann. Der Mitarbeiter ist grundsätzlich spätestens nach 18 Monaten bei dem Entleiher abzuziehen und muss bei einem anderen Kundenunternehmen eingesetzt werden. Dies dürfte in der Regel mit (erheblichen) Verdiensteinbußen einhergehen, da der Zeitarbeitnehmer bei dem Erstentleiher nach 9 Monaten bereits nach equal pay entlohnt wurde; bei dem neuen Folgeentleiher fällt dieser wieder zurück auf die arbeitsvertraglich vereinbarten bzw. tariflich vorgesehenen Arbeitsbedingungen, die im Zweifel unter dem bereits gewährten equal pay liegen dürften.
Neben die rechtlichen Schwierigkeiten bei der Anwendung der Überlassungshöchstdauer treten daher rein praktische Erwägungen, die den ursprünglich im Gesetz angelegten Schutz des Zeitarbeitnehmers durch eine Überlassungshöchstdauer in Kombination mit einem zwingenden equal pay ins Gegenteil verkehren. Dieser Aspekt möge im Rahmen der für das Jahr 2020 anstehenden Evaluierung bzgl. der Anwendung des AÜG mitbedacht werden (vgl. § 20 AÜG). Bei einer vernunftgeprägten Betrachtung gehört die Überlassungshöchstdauer wieder abgeschafft, wenn gleichzeitig an der nicht mehr abdingbaren Geltung des Gleichstellungsgrundsatzes hinsichtlich des Entgelts nach dem vollendeten 9. Monat der Überlassung festgehalten wird. Ob der Gesetzgeber insoweit tatsächlich Vernunft walten lässt, ist neben dem Ausgang der Evaluierung abhängig von den politischen Mehrheitsverhältnissen, die sich im Zweifel im Rahmen der Bundestagswahlen im Jahr 2021 ergeben werden, wenn und soweit die Große Koalition solange fortbestehen sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der Praxis freilich nichts anderes üblich, als mit der Überlassungshöchstdauer und deren (rechtlichen sowie praktischen) Anwendungsproblemen zu leben.
Nach dem Auftakt und den wesentlichen Grundsätze der Überlassungshöchstdauer sowie Informationen zu Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und Rechtsfolgen bei einem Verstoß und den Tarifverträgen der Einsatzbranche ist dies der letzte Teil unserer Reihe aus Praxissicht.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.