2. April 2020
Coronavirus Hauptversammlung AG
Coronavirus: Schutzschirm für die deutsche Wirtschaft Corporate / M&A

COVID-19-Pandemie: Erleichterungen für Hauptversammlungen – Update #1

Gesetzgeber beschließt Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlungen. Ziel der Regelung: Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit trotz Corona-Krise.

Bundestag und Bundesrat haben im Eilverfahren das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht″ verabschiedet. Das Gesetz wurde am 27. März 2020 im Bundesgesetzblatt verkündet.

Neben zivil-, insolvenz- und strafverfahrensrechtlichen Regelungen sieht der Entwurf Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlungen unter anderem von Aktiengesellschaften (AG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Europäischen Gesellschaften (SE) vor. Diese sollen damit in die Lage versetzt werden, auch bei fortbestehenden Einschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten alle erforderlichen Beschlüsse zu fassen und handlungsfähig zu bleiben; die Erleichterungen sind im „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie″ (Gesetz) geregelt, das bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten ist.

+++ Update +++ 2. April 2020 +++ Update +++

Das Gesetz sieht folgende Erleichterungen vor:

Virtuelle Hauptversammlung

Auch ohne Ermächtigung in Satzung oder Geschäftsordnung kann der Vorstand eine Teilnahme und Stimmabgabe der Aktionäre und Teilnahme der Mitglieder des Aufsichtsrats über elektronische Kommunikation sowie die Zulassung der Bild- und Tonübertragung der Versammlung anordnen.

Während nach geltendem Recht stets eine physische Präsenzversammlung stattfinden muss und eine Online-Teilnahme und Stimmrechtsausübung nur optional möglich sind, soll der Vorstand darüber hinaus entscheiden können, dass die Hauptversammlung auch ohne physische Präsenz der Aktionäre und ihrer Bevollmächtigten durchgeführt wird. Voraussetzung hierfür ist, dass:

  • eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung erfolgt;
  • die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie die Vollmachtserteilung möglich sind;
  • die Fragemöglichkeit der Aktionäre im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird; und
  • die Möglichkeit des Widerspruchs gegen Beschlüsse der Hauptversammlung sichergestellt ist.

Über die Beantwortung von Fragen soll der Vorstand nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen entscheiden können; möglich ist auch die Anordnung, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Damit bestünde die Möglichkeit, das Auskunftsrecht der Aktionäre stark einzuschränken.

Änderung der HV-Fristen

Die Einberufungsfrist kann durch den Vorstand auf 21 Tage vor dem Tag der Hauptversammlung verkürzt werden; die Tage der Anmeldefrist werden nicht hinzugerechnet. In diesem Fall hat sich der Nachweis des Anteilsbesitzes bei börsennotierten Gesellschaften auf den Beginn des zwölften Tages vor der Versammlung zu beziehen und muss bei Inhaberaktien der Gesellschaft spätestens am vierten Tag vor der Hauptversammlung zugehen (kürzere Frist in HV-Einberufung möglich). Sofern die Einberufungsfrist auf 21 Tage verkürzt wird, müssen die Mitteilungen nach § 125 AktG (Mitteilungen an Intermediäre, Aktionäre, Aktionärsvereinigungen) spätestens zwölf Tage vor der Versammlung bzw. bei Namensaktien an die zu Beginn des zwölften Tages vor der Versammlung im Aktienregister Eingetragenen erfolgen und Ergänzungsverlangen müssen der Gesellschaft 14 Tage vor der Versammlung zugehen.

Schließlich kann der Vorstand entscheiden, die Hauptversammlung nicht innerhalb der ersten acht Monate eines Geschäftsjahres abzuhalten, sondern innerhalb des gesamten Geschäftsjahres (Achtung: dies gilt nicht für die SE, dem deutschen Gesetzgeber fehlt hierfür die Regelungskompetenz). Entspricht das Geschäftsjahr dem Kalenderjahr, können Hauptversammlungen also bis zum 31. Dezember 2020 durchgeführt werden.

Einschränkung von Anfechtungsmöglichkeiten

Anfechtungsklagen können nicht gestützt werden auf (in Ergänzung zu § 243 Absatz 3 Nummer 1 AktG):

  • Verstöße gegen die Verpflichtung, bei elektronischer Stimmabgabe oder Briefwahl den Zugang der abgegeben Stimme zu bestätigen,
  • Verletzung von Formerfordernissen bei Mitteilung nach § 125 AktG, sowie
  • die Verletzung der Maßgaben für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung einschließlich der Beantwortung von Aktionärsfragen durch den Vorstand (siehe Abschnitt „Virtuelle Hauptversammlung″),

es sei denn, der Gesellschaft ist Vorsatz nachzuweisen; die Beweislast für den Vorsatz liegt damit bei den Aktionären, was Anfechtungsklagen erheblich erschweren dürfte.

Erleichterung von Abschlagszahlungen

Schließlich kann der Vorstand auch ohne Satzungsermächtigung entscheiden, an die Aktionäre einen Abschlag auf den Bilanzgewinn nach Maßgabe von § 59 Absatz 2 AktG zu zahlen. Entsprechendes gilt für eine Abschlagszahlung auf die Ausgleichszahlung (§ 304 Aktiengesetzes) an außenstehende Aktionäre im Rahmen eines Unternehmensvertrags.

Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats

Entscheidungen des Vorstands, die Erleichterungen in Anspruch zu nehmen, bedürfen jeweils der Zustimmung des Aufsichtsrats; dies gilt nicht für monistisch organisierte Europäische Gesellschaften. Ungeachtet der Regelungen in Satzung oder Geschäftsordnung soll der Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrats auch ohne physische Anwesenheit der Mitglieder schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Weise gefasst werden können.

Geltung der Erleichterungen

Die vorstehenden Erleichterungen sind auf Hauptversammlungen und Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn anwendbar, die im Jahr 2020 stattfinden, wobei eine Verlängerung durch Rechtsverordnung bis zum 31. Dezember 2021 möglich ist. Die Vorschläge beziehen sich auf die seit dem 1. Januar 2020 geltende Fassung des Aktiengesetzes (auch wenn bestimmte Vorschriften dieser Fassung erst ab dem 3. September 2020 Anwendung finden).

Unberücksichtigt: Wahl des Abschlussprüfers

Entgegen geäußerten Forderungen sieht das Gesetz keine Erleichterungen für die Wahl des Abschlussprüfers für den Jahres- und Konzernabschluss 2020 sowie bei börsennotierten Unternehmen für die prüferische Durchsicht des verkürzten Abschlusses und Zwischenlageberichts im Rahmen des Halbjahresfinanzberichts 2020 vor. Sollten Hauptversammlungen in die zweite Hälfte des Jahres 2020 verschoben werden, dürfte dies auch zu Verzögerungen bei den Abschlussprüfungen führen; hier sind im Einzelfall Lösungen zu entwickeln.

Digitale Hauptversammlung ein Thema auch nach der Corona-Pandemie

Der Gesetzgeber hat die Notwendigkeit erkannt, in Zeiten eingeschränkter Versammlungsmöglichkeiten die Handlungsfähigkeit der betroffenen Gesellschaften aufrecht zu erhalten. Die Erleichterungen zielen in erster Linie auf eine kurzfristige und möglichst reibungslose Vorbereitung und Durchführung präsenzloser Hauptversammlungen ab.

Auch wenn noch nicht alle offenen Fragen geklärt sind, sieht das Gesetz sinnvolle und pragmatische Erleichterungen vor. Mit der Zulassung der präsenzlosen, virtuellen Hauptversammlung eröffnet es Möglichkeiten für die Zukunft (v.a. Kostenersparnis und Anfechtungsrisikominimierung); möglicherweise wird nach der Bewältigung der Corona- Pandemie die vollständig digitale Hauptversammlung zum Regelfall.

Für kleinere, insbesondere nicht-börsennotierte Aktiengesellschaften könnte es sich anbieten, ihre Hauptversammlung zunächst zu verschieben und die weitere Entwicklung (sowohl der Pandemie und der damit einhergehenden Versammlungsbeschränkungen als auch der Rechtspraxis) abzuwarten. Entscheidend bei der Frage der Verschiebung ist aber das Unternehmensinteresse, was auch das Aktionärsinteresse umfasst.

Das ebenfalls am 27. März 2020 beschlossene Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF)ermöglicht es dem WSF, sich „an der Rekapitalisierung von Unternehmen zu beteiligen″, u.a. über Hybridanleihen, Genussrechte, stille Beteiligungen, Wandelanleihen und Unternehmensanteile. Aktiengesellschaften sollten erwägen, in ihren Hauptversammlungen vorsorglich die Voraussetzungen für eine Beteiligung des WSF, beispielsweise über ein genehmigtes oder bedingtes Kapital, zu schaffen.

In unserer Blogreihe „Coronavirus: Schutzschirm für die deutsche Wirtschaft″ informieren wir Sie über die getroffenen Hilfsmaßnahmen, deren Wirksamkeit und die sonst zu berücksichtigenden unternehmerischen „Stolpersteine″, die das Coronavirus mit sich gebracht hat. Bisher erfolgt sind Beiträge zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und wie dies bei M&A-Transaktionen hilft, zum CorInsAG, zum Kurzarbeitergeld und der Kurzarbeitergeldverordnung sowie den Auswirkungen auf Kreditverträge. Es folgten Beiträge zu den steuerlichen Auswirkungen, zur EU-Beihilfemöglichkeiten, zum Schutz vor Kündigungen von Wohn- und Geschäftsräumen und Mietverhältnissen allgemein sowie zum Wirtschaftsstabilisierungsfond und damit verbundenen, offenen Fragen zum WSF. Weiter beschäftigten wir uns mit dem Erlass des BMI zu bauvertraglichen Fragen, mit Finanzhilfen für Unternehmen, den Fördermöglichkeiten und mit den steuerliche Maßnahmen, mit Cash-Pooling und dem Gesetz zum Darlehensnehmerschutz sowie den alternativen Wegen zur Abhaltung von Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsratssitzungen.


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