16. September 2020
Vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren
Präventive Restrukturierung Restrukturierung und Insolvenz

Vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren: Dutch Scheme als Vorbild für den Restrukturierungsrahmen?

Der niederländische Gesetzgeber hat bereits einen gut gelungenen Entwurf für das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren vorgelegt.

Die europäische Restrukturierungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Umsetzung eines neuen Rahmens zur präventiven, also vorinsolvenzlichen Sanierung. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht steht in Deutschland noch aus. Die Umsetzungsfrist läuft bis Sommer 2021. Eine schnelle Umsetzung ist gerade vor dem Hintergrund der wirtschaftlich schwierigen Situation der Unternehmen im Zuge Corona-Pandemie wünschenswert. Vorbild für den deutschen Gesetzgeber könnte hier der niederländische Entwurf sein.

Dutch Scheme orientiert sich auch an EU-Restrukturierungsrichtlinie

In den Niederlanden hat das Dutch Scheme WHOA („Wer homologatie onderhands akkoord″ WHOA) mit der Verabschiedung durch die Zweite Kammer des niederländischen Parlaments eine erste wichtige Hürde genommen. Damit nehmen die Niederlande in der Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie eine Vorreiterrolle ein. Die Zweite Kammer stimmte einem Gesetzesentwurf im Mai 2020 zu. Die Zustimmung der Ersten Kammer des niederländischen Parlaments steht noch aus. Es gibt eine (inoffizielle) englische Übersetzung.

Der niederländische Gesetzesentwurf vereint Elemente aus dem amerikanischen Chapter 11 Verfahren, dem englischen Scheme of Arrangement und der EU-Restrukturierungsrichtlinie.

Das neue Verfahren setzt dabei konsequent auf eine geringe gerichtliche Beteiligung. Damit folgt der niederländische Entwurf dem Gedanken der EU-Restrukturierungsrichtlinie, welche das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren möglichst schlank halten will.

Vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren mit geringer gerichtlicher Beteiligung

Der niederländische Gesetzentwurf baut auf dem Gedanken auf, dass die wesentliche gerichtliche Beteiligung beim vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren allein in der Bestätigung des Restrukturierungsplans (Akkoord) liegt. Abseits davon soll die gerichtliche Beteiligung auf ein Minimum reduziert werden. Der Gedanke dahinter ist, dass das Verfahren so an Schnelligkeit gewinnt und die in Krisensituationen wertvolle Zeit optimal genutzt werden kann.

Vorgesehen ist, dass der Schuldner das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren durch Anzeige bei Gericht einleitet und auch das Planinitiativrecht bei ihm liegt. Eine Verfahrenseinleitung soll möglich sein, wenn vernünftigerweise angenommen werden kann, dass der Schuldner Verbindlichkeiten bei Fälligkeiten nicht wird bedienen können. Ab dem Zeitpunkt der Anzeige hat der Schuldner dann ein Jahr Zeit, die notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen vorzunehmen. Der Schuldner soll grundsätzlich während des gesamten Verfahrens in Eigenverwaltung tätig bleiben. Das erhöht die Attraktivität aus Sicht des Schuldners erheblich: Denn so muss der Schuldner nicht fürchten, durch die Einleitung des Verfahrens automatisch das Ruder aus der Hand zu geben. Auf Antrag eines Gläubigers, Anteilseigners oder Betriebsrates kann ein Restrukturierungsbeauftragter eingesetzt werden, welchem ebenfalls ein Planinitiativrecht zusteht.

Der Schuldner fungiert als Architekt der Restrukturierung und arbeitet einen Sanierungsplan aus. Dort werden alle Sanierungsmaßnahmen aufgeführt, welche für alle Planbeteiligten im Falle der gerichtlichen Bestätigung des Plans verbindlich werden. Der Restrukturierungsplan selbst sieht eine Einteilung der Betroffenen in Gruppen mit wirtschaftlich ähnlichen Interessen vor. Diese Gruppen stimmen anschließend über den Plan ab, wobei für eine gerichtliche Bestätigung in jeder Gruppe (nur) eine Zweidrittel-Summenmehrheit erreicht werden muss. Der Gesetzesentwurf liegt damit im Mittelfeld der ihm von der Richtlinie zur Verfügung gestellten Optionen: In der Richtlinie ist mindestens eine Zustimmung von mehr als 50 Prozent vorgesehen. Es steht den Mitgliedsstaaten aber frei, das Quorum auf bis zu 75 Prozent zu erhöhen.

Zustimmung nicht aller Gruppen erforderlich

Grundsätzlich sieht das Dutch Scheme vor, dass beim vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren alle Gruppen dem Plan zustimmen. Sollte das nicht der Fall sein, kann die verweigernde Haltung einer Gruppe unter bestimmten Voraussetzungen mittels des sogenannten cross-class cram-downs überwunden werden.

Eine Voraussetzung ist, dass mindestens eine Gruppe dem Plan zugestimmt hat, die im Liquidationsfall einen Wert erhalten würde (in-the-money). Ferner muss der Plan für alle ablehnenden Gruppen – außer den gesicherten Gläubigern – eine Cash-out Option zum Liquidationswert anbieten. Gesicherten Gläubigern müssen weiterhin zumindest zwei verschiedene Befriedigungsoptionen zur Verfügung stehen. Des Weiteren müssen beispielsweise Gläubigern von Forderungen aus Lieferung oder Delikt mindestens 20 Prozent ihres Forderungswertes angeboten werden, wenn nicht zwingende Gründe dagegensprechen. Dahinter steht der Gedanke, dass diese Gläubigergruppen typischerweise kleine Forderungen haben und besonders schutzbedürftig sind.

Schließlich ist Voraussetzung, dass der Plan die absolute Vorrangregel einhält. Diese erfordert eine volle Befriedigung ablehnender Gläubigerklassen, bevor eine Gruppe mit niedrigerem Rang einen Wert erhalten darf. Von dieser darf dann abgewichen werden, wenn dies notwendig und angemessen erscheint. Der Gesetzesentwurf folgt damit weder der vom Richtliniengeber präferierten relativen Vorrangregel noch einer zuvor im niederländischen Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagenen strengen absoluten Vorrangregel. Eine solche Änderung ist zu begrüßen, stellt die Inflexibilität der absoluten Vorrangregel im amerikanischen Restrukturierungsrecht doch seit vielen Jahrzehnten einen der zentralen Kritikpunkte in der amerikanischen Literatur dar. Auf der anderen Seite ist die relative Vorrangregel ein neues Instrument, welches sich in der Praxis noch nicht hat bewähren können. Eine solche Umsetzungsalternative ist auch für den deutschen Gesetzgeber sinnvoll.

Vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren kann nach Dutch Scheme vertraulich oder öffentlich durchgeführt werden

Das Dutch Scheme gibt dem Schuldner noch weitere Hilfen an die Hand. Es besteht etwa die Möglichkeit, das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren vertraulich (out-of-court work out) oder aber auch öffentlich durchzuführen. Gerade das vertrauliche Verfahren erscheint auch für eine deutsche Umsetzung des EU-Restrukturierungsrahmens interessant, ist die unternehmerische Krise doch in den Augen vieler mit dem Stigma des Scheiterns und der Insolvenz behaftet.

Ferner soll der Schuldner nach dem Gesetzesentwurf Zugriff auf ein Moratorium haben. Der Antrag auf Anordnung eines Moratoriums muss zwei Monate nach Anzeige der Durchführung des Verfahrens bei Gericht gestellt werden. Das Moratorium dauert dann bis zu vier Monate und kann auf maximal acht Monate verlängert werden, wenn dies für die Restrukturierung erforderlich ist. Zusätzlich muss eine Verlängerung im Gesamtinteresse aller Gläubiger und des Schuldners sein.

Eine weitere Besonderheit dieses vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens ist die Möglichkeit der Einwirkung auf bestimmte Dauerschuldverhältnisse. Darunter fallen vornehmlich Miet- und Leasingverträge. Vorgesehen ist ein Sonderkündigungsrecht des Schuldners oder Restrukturierungsbeauftragten für den Fall, dass die Verhandlungen zur Anpassung der jeweiligen Verträge scheitern. Die Ausübung des Sonderkündigungsrechts bedarf aber der gerichtlichen Zustimmung. Das Gericht kann dabei nach seinem Ermessen entscheiden. Stimmt es dem Sonderkündigungsrecht zu, so sieht der Gesetzesentwurf zum Schutz des Gläubigers einen Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner vor. Dies beeinflusst die Verhandlungen der Parteien und unterstützt eine einvernehmliche Lösung.

Fazit: Ein dringend benötigtes Sanierungsinstrument und Vorlage für Deutschland

Insgesamt setzt der niederländische Gesetzesentwurf die EU-Restrukturierungsrichtlinie maßvoll um und liefert interessante Anhaltspunkte für die Umsetzung des vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens in Deutschland. Bestehende Handlungsoptionen zugunsten des Schuldners werden nicht voll ausgereizt. Überraschend gering – und damit schuldnerfreundlich – erscheint die für den Plan erforderliche Zweidrittel-Summenmehrheit innerhalb der Gruppen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Möglichkeit der vertraulichen Durchführung des Verfahrens gelegt werden. Das bietet die Option, eine Restrukturierung still und effizient zu bewerkstelligen, ohne dass (potenzielle) Vertragspartner verschreckt werden.

Der deutsche Gesetzgeber sollte ein genaues Auge auf das Dutch Scheme werfen. Mit großer Spannung erwarten wir den deutschen Entwurf für einen präventiven Restrukturierungsrahmen.

Der Beitrag ist Teil unserer Blogreihe zum Präventiven Restrukturierungsrahmen. Es erschien bereits ein Beitrag zu den Moratorien und zu den Restrukturierungsplänen. Anschließend haben wir uns mit den Pflichten der Unternehmensleitung, dem Schutz von Finanzierungen und Finanzierungsgebern sowie den Restrukturierungsbeauftragten und Verwaltern befasst. Zuletzt sind wir auf die Entschuldung insolventer Unternehmer sowie arbeitsrechtliche Aspekte der Restrukturierungs-Richtlinie eingegangen.

Tags: Dutch Scheme Vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren