Das Thema Nachhaltigkeit ist auf dem Vormarsch - Welche Bedeutung hat es für die Vorstandsvergütung in börsennotierten Aktiengesellschaften?
Nachhaltigkeit, Environmental Social Governance (ESG) und Corporate Social Responsibility (CSR) – alle diese Begriffe bedeuten Themen, die derzeit für Unternehmen auf vielen Ebenen rapide an Bedeutung gewinnen. Praktische Relevanz hat diese Entwicklung auch für die Ausgestaltung des Vorstandsvergütungssystems in börsennotierten Aktiengesellschaften.
Ausrichtung des Vorstandsvergütungssystems auf eine nachhaltige und langfristige Unternehmensentwicklung
Durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II, verkündet im Bundesgesetzblatt am 12. Dezember 2019) haben auch die aktienrechtlichen Vorschriften über das Vergütungssystem des Vorstands in börsennotierten Aktiengesellschaften einige entscheidende Anpassungen erfahren. Durch die neuen Regelungen bringt der Gesetzgeber unter anderem zum Ausdruck, dass er bestrebt ist, den Aspekt der Nachhaltigkeit auch im Rahmen der Vorstandsvergütung stärker in den Fokus zu nehmen.
So heißt es seit Inkrafttreten der Regelungen des ARUG II in § 87 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AktG: „Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige und langfristige Unternehmensentwicklung auszurichten. Variable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben […].″ Hingegen hatte sich die Vorgängerversion der Vorschrift – ihrerseits eingeführt durch das Vorstandsvergütungsangemessenheitsgesetz (VorstAG) – „auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung″ beschränkt.
Eine noch andere Terminologie verwendete der Regierungsentwurf zum ARUG II mit der Formulierung „langfristige Entwicklung der Gesellschaft“ – laut Regierungsentwurf wollte die Bundesregierung auf diese Weise für eine einheitliche Terminologie in § 87 Abs. 1 Satz 2, § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und § 162 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG sorgen. Insoweit wurde betont, dass es sich bei der Ersetzung des Wortes „nachhaltig″ durch „langfristig″ allein um eine redaktionelle Anpassung handele, die ausdrücklich keinerlei inhaltliche Änderung nach sich ziehe.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wich dann aber gezielt vom Regierungsentwurf ab und stärkte den Aspekt der Nachhaltigkeit, indem er in seiner Beschlussempfehlung hervorhob, dass der bis dato gesetzlich verankerte Begriff „Nachhaltigkeit″ ganz überwiegend von Praxis und Literatur als „Langfristigkeit″ in zeitlicher Hinsicht, das heißt als dauerhafter, geschäftsjahresübergreifender Unternehmenserfolg, interpretiert worden sei. Durch die Dopplung der Begriffe „nachhaltig“ und „langfristig“ solle nunmehr deutlich werden, dass der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Vergütung, insbesondere der Festlegung der Vergütungsanreize, soziale und ökologische Gesichtspunkte „in den Blick zu nehmen″ habe. Dieser Wortlaut der Beschlussempfehlung wurde sodann nicht mehr angefasst und erlangte damit Gesetzesqualität.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber darauf hinwirken möchte, dass der Aufsichtsrat die Vorstandsvergütung nicht allein in zeitlicher Hinsicht auf eine langfristige Entwicklung des Unternehmens ausrichtet (und damit von einer Ausrichtung der Vergütung auf eine punktuelle kurzfristige Unternehmensentwicklung Abstand nimmt), sondern die Vorstandsvergütung auch in materieller Hinsicht „nachhaltiger″ ausgestaltet, etwa durch eine (verstärkte) Einbeziehung von nichtfinanziellen, insbesondere sozialen und ökologischen Zielen. Auch wenn nicht abschließend geklärt ist, ob der Aufsichtsrat durch die gesetzliche Änderung verpflichtet wird, auch Nachhaltigkeitsziele als Leistungsindikatoren festzulegen – die Kommentarliteratur zeigt sich insoweit gespalten –, so ist jedenfalls die Berücksichtigung derartiger Ziele im Sinne einer Auseinandersetzung des Aufsichtsrats mit diesen Zielen vor dem Hintergrund der neuen Regelungen ausdrücklich angezeigt. Es ist dem Aufsichtsrat anzuraten, soziale und ökologische Leistungsparameter in das Vergütungssystem aufzunehmen. Die Details der Einbeziehung solcher nichtfinanzieller Leistungsparameter ist gesetzlich nicht geregelt (siehe dazu auch sogleich) und es bleibt dem Aufsichtsrat überlassen, diese zu gewichten. Insbesondere ist auch das Verhältnis zu den finanziellen Leistungsindikatoren durch ihn zu bestimmen.
Erforderliche Angaben im Vergütungssystem zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft und zu nichtfinanziellen Leistungskriterien
Flankiert wird die Regelung des § 87 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AktG durch § 87a Abs. 1 Nr. 2 sowie Nr. 4 AktG.
§ 87a Abs. 1 Nr. 2 AktG verlangt im Vorstandsvergütungssystem Angaben zum „Beitrag der Vergütung zur Förderung der Geschäftsstrategie und zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft″, allerdings allein soweit diese tatsächlich Bestandteil des Vergütungssystems sind. Über die „langfristige Entwicklung″ wird eine Verknüpfung zu § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG hergestellt (siehe oben). Ziel von § 87a Abs. 1 Nr. 2 AktG ist es, dass sich der Aufsichtsrat mit der Ausrichtung der Vergütung auf eine langfristige Unternehmensentwicklung jedenfalls auseinandersetzt und dass er der Öffentlichkeit durch eine Offenlegung seiner diesbezüglichen Gedanken und Schlussfolgerungen eine kritische Beurteilung ermöglicht. Hingegen wird auch durch § 87a Abs. 1 Nr. 2 AktG keine rechtliche Verpflichtung des Aufsichtsrats geschaffen, ein Vorstandsvergütungssystem festzusetzen, das auf eine langfristige Entwicklung ausgerichtet ist. Damit bleibt das unternehmerische Ermessen des Aufsichtsrats maßgebend.
In der Kommentarliteratur geht man nichtsdestotrotz davon aus, dass allein diese Erläuterungspflicht das Potenzial hat, den Druck auf die Unternehmen zu erhöhen, zunehmend auf nachhaltiges Wirtschaften zu setzen. Insbesondere mangels konkreter Angaben im Gesetz sowie in der dem ARUG II zugrunde liegenden europäischen Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre (Richtlinie (EU) 2017/828) sind in Bezug auf die Erfüllung dieser Voraussetzungen durch den Aufsichtsrat keine hohen Anforderungen an die im Vergütungssystem erforderlichen Angaben zu stellen. Allgemeine und kurze Angaben bzw. Erläuterungen werden insoweit in der Kommentarliteratur als ausreichend erachtet.
Nach der Regelung in § 87a Abs. 1 Nr. 4 AktG sind im Vergütungssystem „alle finanziellen und nichtfinanziellen Leistungskriterien für die Gewährung variabler Vergütungsbestandteile″ anzugeben, allerdings auch nur „soweit diese tatsächlich vorgesehen sind″. Diese Norm nimmt insoweit auf § 87a Abs. 1 Nr. 2 AktG Bezug, als dass die vorgenannte Angabe der Leistungskriterien um eine „Erläuterung, wie die vorgenannten Kriterien zur Förderung der Ziele gemäß Nummer 2 beitragen″ (vgl. unter a)) zu vervollständigen ist. § 87a Abs. 1 Nr. 4 AktG – wie auch § 87a Abs. 1 Nr. 2 AktG – enthält keine rechtliche Verpflichtung, nichtfinanzielle Leistungsparameter, zu denen auch soziale und ökologische Leistungsparameter gehören, für die Gewährung variabler Vergütungsbestandteile in das Vergütungssystem aufzunehmen. Gleichwohl ermöglicht der Gesetzgeber den Gesellschaften über diesen Weg doch ausdrücklich ihre soziale, gesellschaftliche und ökologische Verantwortung auch im Vergütungssystem zum Ausdruck zu bringen und ihr auf diese Weise eine neue Bedeutung beizumessen. Indem der Gesetzgeber den Aufsichtsrat anregt, die Einbeziehung von nichtfinanziellen Vergütungsparametern, insbesondere sozialen und ökologischen Parametern, zumindest in seine Erwägungen einfließen zu lassen, bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er eine zunehmende Berücksichtigung dieser Parameter für geboten hält, auch wenn er im Ergebnis die Auswahl der Leistungsparameter (noch) in das Ermessen des Aufsichtsrats stellt.
Im Hinblick auf die (materielle) Ausgestaltung der nichtfinanziellen Leistungskriterien in der unternehmerischen Praxis gibt die Richtlinie (EU) 2017/828 den Gesellschaften nur wenig Konkretes an die Hand. Ihr Art. 9a Abs. 6 UAbs. 3 Satz 2 stellt allein auf „Kriterien im Zusammenhang mit der sozialen Verantwortung der Gesellschaften″ ab. In der Kommentarliteratur wird vorgeschlagen, an die nichtfinanziellen Zielvorgaben des § 289c Abs. 2 HGB anzuknüpfen.
Festzustellen ist noch, dass die betreffenden Angaben zu den nichtfinanziellen Leistungskriterien allein abstrakt erfolgen müssen, denn eine Detailtiefe würde den berechtigten Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaften zuwiderlaufen.
Vervollständigung der aktienrechtlichen Vorschriften durch die Vorschriften des DCGK
Die Frage, ob aktuell eine allgemeine Pflicht des Vorstands einer deutschen Aktiengesellschaft besteht, das Unternehmen nachhaltig zu führen, untersucht der Beitrag zum Thema „Vorstandspflichten im Hinblick auf Nachhaltigkeit, CSR & ESG“.
An dieser Stelle ist jedenfalls festzuhalten, dass die vorgenannten gesetzlichen Regelungen in guter Gesellschaft sind. Das Thema Nachhaltigkeit hat auch in den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) Eingang gefunden. Nachhaltigkeitsaspekte finden sich hier nicht nur im Hinblick auf die Vorstandsvergütung (in Grundsatz 23 Abs. 3 DCGK sowie in Empfehlung G.1 Spiegelstrich 3 DCGK), sondern es kommt vielmehr ganz allgemein im DCGK das Verständnis zum Ausdruck, dass das Thema Nachhaltigkeit aus einer modernen und verantwortungsvollen Unternehmensführung nicht mehr wegzudenken ist. So statuiert der DCGK in seiner Präambel und in seinem Grundsatz 1 (als Konkretisierung von § 76 Abs. 1 AktG), dass der Vorstand die Gesellschaft im Unternehmensinteresse zu leiten hat. Zum Unternehmensinteresse sollen unter anderem auch eine „nachhaltige Wertschöpfung″ zählen und man ordnet in der Kommentarliteratur diesem Begriff über eine ökonomische Komponente hinaus auch ökologische und soziale Aspekte zu. Zudem erfolgt ein Verweis auf die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen und den Einfluss von Sozial- und Umweltfaktoren auf den Unternehmenserfolg.
Durchaus denkbar ist, dass die Regierungskommission im Zuge der nächsten Reform des DCGK Nachhaltigkeitsaspekten insgesamt eine (noch) größere Bedeutung beimessen und diese entsprechend im DCGK verankern wird.
Ergänzung durch die Abstimmungsrichtlinien der Stimmrechtsberater sowie Best-Practice-Leitlinien
Die neuen gesetzlichen Regelungen werden überdies mehr und mehr durch die Abstimmungsrichtlinien einflussreicher Stimmrechtsberater und institutioneller Investoren ergänzt.
So wird etwa in den BVI-Analyse-Leitlinien für Hauptversammlungen 2021 als ein kritischer Faktor im Rahmen der Leistungsparameter zur Bestimmung der variablen Vorstandsvergütung die fehlende Berücksichtigung von ESG-Faktoren in der Zielerreichung genannt. Insoweit ist festzustellen, dass die Abstimmungsrichtlinien über die gesetzliche Regelung noch hinausgehen, da mit der Bezugnahme auf „ESG″ ausdrücklich auch auf Governance-Faktoren abgestellt wird. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz stellt in seiner Beschlussempfehlung ausdrücklich allein auf soziale und ökologische Gesichtspunkte ab.
Auch betrachtet Glass Lewis in seinen 2021 Proxy Paper Guidelines für Deutschland unter Bezugnahme auf § 87a Abs. 1 AktG sowie Empfehlung G.6 DCGK die fehlende Ausrichtung der Vorstandsvergütung auf eine langfristige Unternehmensentwicklung und auf Nachhaltigkeit als einen Faktor, der zu einer negativen Empfehlung (im Hinblick auf eine anstehende Abstimmung zum Vorstandsvergütungssystem in der Hauptversammlung) führen kann.
Ferner sind an dieser Stelle die Best-Practice-Leitlinien (Update 2020) für eine nachhaltige Vorstandsvergütung in deutschen börsennotierten Aktiengesellschaften, die durch einen Arbeitskreis bestehend aus Aufsichtsratsvorsitzenden börsennotierter Unternehmen sowie Vertretern institutioneller Investoren, Wissenschaftlern und Corporate-Governance-Experten erarbeitet wurden, zu erwähnen. Nach diesen Leitlinien sollen die langfristigen Unternehmensziele (neben strategischen und finanziellen Zielen) auch aus wesentlichen, materiellen Nachhaltigkeitsparametern bestehen. Es werden insoweit konkret „Innovation, ökologische und soziale Wirkung, Unternehmenskultur sowie Kunden und Mitarbeiterzufriedenheit″ genannt. Zudem wird gefordert, relevante ESG-Kriterien durch langfristige Key Performance Indicators (Vergütungsparameter und Bemessungsgrundlagen) abzubilden.
Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel sowie sozialer und gesellschaftlicher Entwicklungen sind die vorgenannten (gesetzlichen) Regelungen zu begrüßen. Allerdings wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre zeigen, ob und wie die Unternehmen diese Regelungen annehmen und umsetzen können bzw. wollen und ob sie damit tatsächlich einen substanziellen Beitrag im Sinne der Nachhaltigkeit leisten werden.
Unsere Beitragsserie „Corporate Governance & Risk Compliance″ startet mit Themen wie Frauenquote im Vorstand, Änderungen in der Compliance und beim Deutscher Corporate Governance Kodex sowie den aktuellen ARUG II und DCGK. Weiter ging es mit der CSR-Richtlinie, den Vorstandspflichten und Nachhaltigkeitsaspekten in der Gesellschaftsverfassung. Weiter befasst haben wir uns mit der ESG-Due Diligence und dem Greenwashing. Zuletzt sind wir auf das neue ElektroG sowie Nachhaltigkeit im Vorstandsvergütungssystem eingegangen.