Das Thema Nachhaltigkeit hat eine zunehmende praktische Relevanz im Bereich der Unternehmensführung. Welche Pflichten bestehen aktuell für den Vorstand?
Themen wie Nachhaltigkeit, Corporate Social Responsibility (CSR) und Environmental Social Governance (ESG) besitzen eine hohe Bedeutung im Bereich der Unternehmensführung. Zum einen verspricht man sich von der Beachtung dieser Kriterien eine langfristige und höhere Renditegenerierung des Unternehmens. Zum anderen ergibt sich die Relevanz aus den ökologisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel durch menschengemachte Einflussfaktoren und aus sozialen bzw. gemeinnützigen Aspekten.
Auch ist festzustellen, dass immer mehr Investoren mit internen Richtlinien arbeiten, die ein nachhaltiges Management des Unternehmens voraussetzen oder die Investoren dazu anhalten, ihre Stimmrechte an einem Unternehmen unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten auszuüben.
Nachhaltigkeitsaspekte auf dem Vormarsch auf EU-Ebene
Das Thema Nachhaltigkeit rückt immer mehr in den Fokus der EU. Der Aktionsplan der Europäischen Kommission vom Dezember 2019 zum „Europäischen Grünen Deal″ und der EU-Strategieplan für die soziale Verantwortung der Unternehmen vom Oktober 2011 stellen hierbei nur zwei Mosaiksteine dar.
Mit der CSR-Richtlinie 2014/95/EU vom Oktober 2014 und dem CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz vom Mai 2017 wurde das CSR-Konzept normativ verfestigt. Die CSR-Richtlinie führt für bestimmte große Unternehmen eine Mindestharmonisierung der verpflichtenden Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen, insbesondere über die Beachtung von Nachhaltigkeitsstandards, ein. Die Angabe nichtfinanzieller Informationen soll dabei helfen, das Geschäftsergebnis von Unternehmen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft zu messen, zu überwachen und zu handhaben.
Auch für die Zukunft wartet die EU mit neuen Regelungen in Sachen Nachhaltigkeit auf. Beispielsweise werden ab der am 10. März 2021 anzuwendenden Offenlegungsverordnung (EU) Nr. 2019/2088 vom November 2019 die Finanzmarktteilnehmer, z.B. Investmentfonds, Wertpapierfirmen und Kreditinstitute, dazu verpflichtet, Informationen zur Nachhaltigkeit ihrer Investitionsentscheidungen zu veröffentlichen. Daneben werden mit der Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 von Juni 2020, die ab dem 1. Januar 2022 anzuwenden ist, Vorgaben für nachhaltige Investitionen definiert und Kriterien aufgestellt, wonach zu ermitteln ist, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist.
Nachhaltigkeitsaspekte auf dem Vormarsch auch auf nationaler Ebene
Auch auf nationaler Ebene ist das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr wegzudenken. So hat beispielsweise die Bundesregierung im März 2019 einen „Sustainable Finance-Beirat″ ins Leben gerufen und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat im Dezember 2019 ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken herausgegeben.
Daneben wurde im Jahr 2011 vom Rat für Nachhaltige Entwicklung der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) entwickelt, der stetig aktualisiert wird. Der DNK ist ein international anwendungsfähiger Berichtsstandard für Nachhaltigkeitsaspekte und bietet einen Rahmen für die Berichterstattung nichtfinanzieller Leistungen, der von Organisationen und Unternehmen jeder Größe und Rechtsform international genutzt werden kann.
Gesetzliche Verpflichtung des Vorstands zur nachhaltigen Unternehmensführung?
Aufgrund dieser zahlreichen Regelwerke auf EU- und nationaler Ebene stellt sich für den Vorstand einer Aktiengesellschaft die Frage, welche Pflichten daraus für die Unternehmensführung resultieren.
Nach § 76 Abs. 1 AktG hat der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. Flankierend hierzu wurde § 76 Abs. 1 AktG im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), welcher u.a. Empfehlungen für börsennotierte Aktiengesellschaften beinhaltet, in der Präambel i.V.m. Grundsatz 1 DCGK dahingehend konkretisiert, dass der Vorstand die Gesellschaft in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (sog. Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung leiten soll.
Dieser vom DCGK festgelegte Stakeholder-Value-Ansatz steht dem Shareholder-Value-Ansatz gegenüber. Letzterer fordert, dass der Vorstand das Ziel der Maximierung des Unternehmenswertes, verstanden als Wert des Eigenkapitals, im Interesse der Aktionäre zu verfolgen hat. Seit der Finanzmarktkrise im Jahr 2007 hat sich der Fokus auf den Shareholder-Value-Ansatz abgeschwächt, da die alleinige Konzentration auf die Interessen der Aktionäre die Flexibilität des Vorstands einschränken kann.
Im Schrifttum haben sich im Wesentlichen zwei Auffassungen dazu herausgebildet, welche Interessen der Vorstand im Rahmen der Leitung der Gesellschaft zu berücksichtigen hat. Nach einer Auffassung hat der Vorstand die Aktionärsinteressen gegenüber anderen Interessen höher zu gewichten. Doch diese Auffassung verschließt sich nicht der Berücksichtigung von Nichtaktionärsinteressen, sofern deren Beachtung im wohlverstandenen Aktionärsinteresse liegen. Die wohl herrschende Meinung im Schrifttum betont hingegen ein interessenspluralistisches Zielsystem, in welchem sich der Vorstand zu bewegen hat und befürwortet mithin den Stakeholder-Value-Ansatz.
Nicht eindeutig beantwortet wird die Frage, ob eine allgemeine Pflicht des Vorstands aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage besteht, nachhaltig zu handeln. Gegen eine allgemeine Pflicht des Vorstands zum nachhaltigen Handeln spricht, dass bisher gesetzlich allein Berichtspflichten des Vorstands über die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards durch die Gesellschaft bestehen (vgl. § 161 AktG, §§ 289b-289e, §§ 315b-315d HGB). Daneben muss beachtet werden, dass dem Stakeholder-Value-Ansatz mangels einer konkreten Definition eine gewisse Unbestimmtheit innewohnt. Es fällt daher schwer, an dessen Einhaltung allgemeine Pflichten des Vorstands zu knüpfen.
Will man von einer Pflicht zu einer nachhaltigen Geschäftspolitik des Vorstands sprechen, wird diese insoweit angenommen, als dass der Vorstand seine Bemühungen darauf konzentrieren muss, dass die Gesellschaft in Höhe von jährlich (= nachhaltig i.S.v. anhaltend) vier Prozent des Grundkapitals ausschüttbaren Gewinn erzeugt. Denn der Aktionär kann grundsätzlich, soweit er seine Einlage geleistet hat, erwarten, dass ihm eine Dividende von mindestens vier Prozent jährlich ausgeschüttet wird (vgl. §§ 254, 60 Abs. 2 und 113 Abs. 3 AktG). Umgekehrt kann hieraus jedoch geschlussfolgert werden, dass sich der Vorstand um nachhaltige Geschäftsführungsmaßnahmen bemühen muss, wenn durch diese erst ausschüttbare Gewinne der Gesellschaft erzeugt werden können. Kann beispielsweise nur durch die Einhaltung von nachhaltigkeitsbezogenen Darlehensprinzipien eine erforderliche (Anschluss-)Finanzierung der Gesellschaft sichergestellt werden, wird man dem Vorstand insoweit die Pflicht zusprechen können, sich um die Einhaltung der nachhaltigkeitsbezogenen Darlehensprinzipien zu bemühen.
Zudem kann das öffentliche Ansehen eines Unternehmens und damit dessen Umsatz und Chancen auf dem Arbeitsmarkt gesteigert werden, je mehr sich ein Unternehmen zu einer sozialen Verantwortung und einer nachhaltigen Unternehmensführung bekennt. Können nachhaltige Geschäftsführungsmaßnahmen dazu beitragen, dass das Image, der Umsatz oder/und der Gewinn der Gesellschaft positiv beeinflusst werden kann, spricht insoweit eine Auffassung von einer „Bemühungspflicht″, wonach der Vorstand Aspekte der Nachhaltigkeit im Rahmen der Leitung der Gesellschaft zu berücksichtigen hat. Nach der oben dargestellten herrschenden Meinung steht es jedenfalls im Leitungsermessen des Vorstands, ob er freiwillige Mehraufwendungen für Umweltschutz, Sponsoring kultureller Veranstaltungen, Spenden (auch an politische Parteien; empirische Stiftungen, Stipendien, Beiträge zu Fördervereinen usw.) vornehmen lassen will. Aufwendungen dieser Art dienen der gesellschaftlichen Akzeptanz der Aktiengesellschaft als „good corporate citizen„, schaffen damit die Grundlage für langfristiges Wirtschaften im Rahmen der Gesellschaft und sind deshalb auch nach den Befürwortern einer stärkeren Shareholder Value-Orientierung grundsätzlich zulässig. Derartige Aufwendungen sind dann nicht zu beanstanden, wenn sie der Leistungsfähigkeit des Unternehmens sowie seiner sozialen und gesamtwirtschaftlichen Rolle entsprechen. Jedoch handelt der Vorstand pflichtwidrig, wenn die Belastung der Aktiengesellschaft durch soziale Kosten mit dem Unternehmenswohl schlechthin nicht vereinbar ist.
Nachhaltige Unternehmensführung: Heute noch in den Kinderschuhen, in Zukunft möglicherweise Gesetz
Die Frage, ob ein Vorstand aktuell gesetzlich verpflichtet ist, ein Unternehmen nachhaltig zu führen, lässt sich pauschal nicht beantworten. Es liegt in der Verantwortung des Vorstands das Unternehmen wirtschaftlich rentabel zu führen, was im Einzelfall ein nachhaltiges Handeln des Vorstands erfordern kann.
Es ist davon auszugehen, dass die CSR-Berichtspflichten einen ersten Brückenkopf des CSR-Konzepts und des Themas Nachhaltigkeit im Aktien- und Bilanzrecht bilden. Es steht daher zu erwarten, dass es hierbei nicht bleiben wird, sondern Aspekte der Nachhaltigkeit in der gesellschaftsrechtlichen Gesamtarchitektur noch fester verankert werden. So gibt es aktuell Überlegungen dahingehend, die soziale und nachhaltige Verantwortung des Vorstands in den §§ 76, 93 AktG zu verankern, die Pflicht einen CSR-Ausschuss einzurichten, Nichtaktionären ein eigenständiges Klagerecht zur Durchsetzung von CSR-Zielen einzuräumen oder neue Gesellschaftsformen einzuführen, die Gewinnerzielung und Gemeinwohlorientierung miteinander verbinden.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, dass jeder Vorstand die gesetzgeberischen Entwicklungen auf nationaler als auch auf europäischer Ebene verfolgt und sich schon jetzt mit der Frage auseinandersetzt, ob nach derzeitigem Recht CSR-Prinzipien bzw. Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden müssen, um hierdurch dem in § 76 Abs. 1 AktG postulierten Leitungsauftrag gerecht zu werden.
Unsere Beitragsserie „Corporate Governance & Risk Compliance″ startet mit Themen wie Frauenquote im Vorstand, Änderungen in der Compliance und beim Deutscher Corporate Governance Kodex sowie den aktuellen ARUG II und DCGK. Weiter ging es mit der CSR-Richtlinie, den Vorstandspflichten und Nachhaltigkeitsaspekten in der Gesellschaftsverfassung. Weiter befasst haben wir uns mit der ESG-Due Diligence und dem Greenwashing. Zuletzt sind wir auf das neue ElektroG sowie Nachhaltigkeit im Vorstandsvergütungssystem eingegangen.